Musik_Our Ceasing Voice - When The Headline Hit Home

Klingendes Österreich

In den Tiroler Alpen begegnet man nicht nur Almröserln, Enzian, Sepp Forcher oder dem Geist von Luis Trenker, sondern auch musikalischen Asphaltblüten, deren Elaborate garantiert nie beim Schihüttenzauber erklingen werden.    09.04.2011

Sie liefern die so ziemlich unbuntesten Kopfbilder ab, die in den letzten Jahren das fahle Licht der österreichischen Musikwelt erblickt haben: Hört man sich die Stücke auf "When The Headline Hit Home" von Our Ceasing Voice an (kaum eins unter sieben Minuten), läuft man mitunter Gefahr, den strahlendsten Sommertag zu ignorieren und sich lieber in der kühlen und doch irgendwie heimeligen Schwarzweiß-Welt der vier Musiker zu verlieren. Fenster zu und durch. Denn Melancholie will anständig zelebriert werden und duldet keine Geräusche oder Lichtspiele von außen. Da laufen ganz andere Filme ab - mit forciertem Frohsinn oder gar der Beschwörung in der Sonne gleißender Bergspitzen hat das alles definitiv nichts zu tun.

Die Band wurde zwar (bereits 2006) inmitten der Tiroler Alpen gegründet; ihre Musik beschwört hingegen nächtliche Schönheit und Schrecken (groß)städtischen Lebens. Oder besser: die Quintessenz all dessen, was Leute wie Fritz Lang oder Walter Hill in ihren Filmen zum Thema "regennasse, einsame Großstadtstraßen" und deren Passanten abgeliefert haben. Aber auch Brian Enos gleichsam schwebende 80er-Jahre-Ambient/Video-Arbeiten wie "Mistaken Memories Of Medieval Manhattan" kommen einem in den Sinn (so man sich an derlei überhaupt erinnern kann, weil man die Gnade der frühen Geburt sein eigen nennt).

Der Bandname ist dabei durchaus Programm: Die "Verlöschende Stimme" geht großteils instrumental zu Werke. Und da haben wir’s einerseits mit ruhig dahinfließender Ambient-Fragilität zu tun, andererseits ist man treibenden Baßlinien, die auch zu einer heftigen Wall of Sound führen dürfen, nicht abgeneigt; und gelegentlich läßt man’s dazwischen herzhaft krachen, was dann eine eigenwillige Route von Eno zu den - sagen wir - britischen Düstermännern Gravenhurst ergibt. Wer hier nun eing’rauchte Beliebigkeit befürchtet, darf aufatmen: Die Herren Sebastian Obermeir (Gitarre), Christoph Graus (Baß/Akustikgitarre), Reinhard Obermeier (Gitarre/Gesang) und Markus Rappold (Drums/Sythesizer) gehen in ihrer Psychedelik noir überaus stringent ans Werk.

Wie man dieses Gebräu nun nennen will, sei dahingestellt: Nicht erst seit ihrer Debüt-EP "Steadied Stars In The Morphium Sky" hängt man ihnen gerne das Mäntelchen Postrock um. Was wiederum alles und nichts bedeutet.

Daß soviel Melancholiegetränktheit nicht immer ganz ohne Klischees abgeht, mag beanstanden, wer will. Und mir vielleicht eine Frage beantworten: Gibt’s denn ein Buch, einen Film oder ein Musikstück der letzten Jahrzehnte, das kein Klischee beinhaltet? Eben.

Wer aber wieder einmal Lust auf einen Soundtrack zu einem imaginären Film "über dunkle und beunruhigende Dinge" (Danke, Herr Lynch) bekommen hat, darf sich "When The Headline Hit Home" ung’schaut besorgen.

Und dem ansonsten vorherrschenden österreichischen Popkultur-Elend wenigstens eine Stunde lang entfliehen.

Thomas Fröhlich

Our Ceasing Voice: When The Headline Hit Home

ØØØØ

Leserbewertung: (bewerten)

Revolvermann RMR005 (Vinyl) (2011)

Wiseowl Records (CCDL) - free download (2011)

Self released CD (2011)

Links:

Kommentare_

Video
Blood on Méliès Moon

All you need is Love

Beim Festival des Phantastischen Films 2016 im katalanischen Sitges sorgte er für Standing Ovations: "Blood on Méliès Moon" von Luigi Cozzi gehört zum Eigenwilligsten und möglicherweise Schönsten, was einem Filmnerd, der im klassischen Genrekino zu Hause ist, derzeit passieren kann. Österreichs Kino- und Festivalbetreiber haben dieses Kleinod (bis auf eine einzige Ausnahme) völlig verschlafen. Gott sei Dank gibt´s seit kurzem die DVD.  

Termine
Termin-Tip: Konzert Paul Roland & Frenk Lebel

Professor Moriarty´s Jukebox

Zwischen Steampunk und Spukhaus, Sherlock Holmes und Jack the Ripper, Cthulhu und Captain Blood: Der britische Exzentriker Paul Roland gastiert mit seinen geisterhaften Klängen endlich wieder in Wien. Das sollte man sich wirklich nicht entgehen lassen.  

Print
Print-Tips Frühling 2015

Kellerkinder

"Es märzelt!" meinte Karl Farkas einst, wenn der Frühling nach Österreich kam. Wir bleiben ebenfalls im Lande, nähren uns redlich und führen uns drei frische Bücher aus heimischer Wortschmiede zu Gemüte. In denen wird A. gern gestorben und B. noch lieber in den Keller/Untergrund gegangen ...  

Print
Zöe Angel & Charly Blood - Morbus im Doppelpack

Wien ist anders

There´s more to a picture than meets the eye. Das sang schon Neil Young damals, als die 1980er vor der Tür standen. Er wußte nur nicht, wie recht er damit hatte. Klar: Er lebt(e) ja nicht in Wien. Denn gegen die Wiener Achtziger verblaßt selbst die Twilight Zone. Sie glauben uns nicht? Lassen Sie sich eines Besseren belehren ...
 

Print
Lisa Lercher - Mord im besten Alter

Waldesruh

Daß Seniorenheime einen Vorhof zur Hölle darstellen, fürchtet jeder, der einmal ein gewisses Alter erreicht. Daß es dort allerdings so zugeht wie in Lisa Lerchers neuem Krimi, wollen wir doch nicht hoffen. Schließlich ist auch der Rezensent nicht mehr der Jüngste ...
 

Print
EVOLVER-Porträt: Lisa Lercher

"Ich bin immer wieder grauslich"

Mit ihrer Mumien-Kurzgeschichte "Heimkehr" ist sie die Gewinnerin des EVOLVER-Literaturwettbewerbs 2012 "Harte Bandagen". Doch Lisa Lercher zieht schon seit mehr als zehn Jahren ihre dunklen Spuren durch die deutschsprachige Literaturlandschaft, als Krimiautorin und - exklusiv im EVOLVER - jetzt auch als frischgebackene Horrorschriftstellerin.