Print_Chandler McGrew - Eiskalt

Zum Fürchten

Krimiautoren werden oft als reine Handwerker ohne echtes literarisches Talent abgestempelt. Daß auch Handwerk eine Kunst ist, an der man scheitern kann, zeigt dieser Mann.    03.09.2004

Vom Verlag groß angekündigt, breit beworben und mit knalligem Aufkleber - "Krimi des Monats" - versehen, erschien dieser Tage der Debütroman des bei uns zu Recht völlig unbekannten Amerikaners Chandler McGrew.

Worum es darin geht: Die Polizistin Micky Ascherfeld fährt in Houston mit ihrem Partner und Freund Wade Streife, als zwei durchgeknallte Typen in einem gepanzerten Truck ihren Wagen rammen und das Feuer auf sie eröffnen. Im folgenden Schußwechsel stirbt Wade. Micky überlebt knapp und ist für ein paar Monate außer Gefecht gesetzt. Sie beschließt, ihr Leben zu ändern, und folgt der Einladung von Damon, einem befreundeten Psychologen, in ein Nest in Alaska. Dieses Dorf namens McRay liegt weitab von jeglicher Zivilisation, und die Leute dort werden mitunter eigentümlich. Eines Tages dreht der von allen gefürchtete El durch, schnappt sich seine Waffen und nietet alles um, was ihm vor die Flinte kommt. Ganz auf sich allein gestellt, versucht Micky nun, ihr eigenes Leben und das von Dawn, einem Teenager, zu retten.

Obwohl der Plot nicht sonderlich originell oder ausgefeilt ist - eine Art "Stirb langsam in Alaska" - hätte man daraus durchaus einen flotten kleinen Reißer basteln können. Leider ist McGrew ein derart unfähiger Autor, daß man nach wenigen Seiten ob seiner fürchterlichen Prosa nur noch leidet. Die Figuren sind kaum mehr als Namen mit Berufsbezeichnungen; individuelle Charakterisierungen sucht man hier vergebens. Micky ist eine blasse und langweilige Frau, die sexlos glücklich ist und in ihrer Freizeit Buntglasarbeiten macht; Rosamunde Pilcher läßt grüßen. Die Dialoge sind von einer Plattheit und Banalität, daß sie oft unfreiwillig komisch wirken, so gestelzt und floskelhaft kommen sie daher ("Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll" etc.).

Zudem hat das Buch keinerlei Atmosphäre. Pflichtschuldigst streut der Autor ab und an ein paar Beschreibungen der Landschaft ein, wie sie beliebiger kaum sein könnten. Das wäre ja noch tolerierbar, hätte der Roman zumindest Drive und wäre er in einer Sprache geschrieben, die sich positiv von der des Jerry-Cotton-Universums unterscheidet. Tja, Pech gehabt. Anstatt zu versuchen, verschiedene Erzählbögen zu konstruieren, reiht McGrew einfach eine Szene an die andere. Da kann es dann schon mal vorkommen, daß von einem Absatz auf den anderen schlappe sechs Monate vergehen.

Dazwischen wird immer wieder auf das traumatische Erlebnis in Mickys Jugend angespielt. Ein Junkie hat ihre Eltern ermordet, und sie wurde Zeugin. Anstatt die Szene einfach zu erzählen, raunt und flüstert der Autor geheimnisvoll herum und läßt nicht nur die Hintergründe unbeleuchtet, sondern nervt auch noch gewaltig. McGrew ist einer dieser Schriftsteller, die glauben, eine gründliche Exposition wäre ein überflüssiger Luxus, was dann dazu führt, daß er mitten im Buch plötzlich gezwungen ist, lauter Informationen, die zu diesem Zeitpunkt - die Schießerei hat längst begonnen - vollkommen uninteressant sind, nachzuliefern. Wir erfahren zum Beispiel, wann und wie genau Micky die Hütte, in der sie seit vier (!) Jahren lebt, gekauft hat, oder daß der alte Nachbar nur blaue Hemden trägt. Selten mußte man mitverfolgen, wie in derart ungeschickter Manier versucht wurde, eine Geschichte zu erzählen. Geschrieben ist das Ganze in einer dürftigen, armseligen Sprache, die sich damit zufrieden gibt, ein Vokabular von wenigen hundert Wörtern auszuschöpfen, und so ist es nicht verwunderlich, daß der Klappentext der am besten geschriebene Teil des ganzen Buches ist.

Nun ja, zumindest das Cover ist nett. Ansonsten gibt es für diesen sauschlechten Mist nur eine Empfehlung: eiskalt abservieren.

Jürgen Benvenuti

Chandler McGrew - Eiskalt

Ø

(Cold Heart)


Knaur (München 2004)

 

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