Print_Clementine Skorpil - Fuchsgeister

Big trouble in bigger China

Krimiautoren, die sich im Umfeld ihrer Stories auskennen, sind selten - vor allem, wenn es sich um ein historisches Szenario handelt. Die niederösterreichische Sinologin gehört zu dieser raren Spezies und zeigt, daß Detailfreudigkeit der Spannung ganz und gar nicht abträglich sein muß.    18.06.2008

Beijing 1693: Der Jesuit Giuseppe Reni, Missionar und Kartograph, wird in seiner Zelle erschlagen aufgefunden. Kaiser Kangxi persönlich beauftragt Wang Wenming, Provinzrichter und nunmehr Sonderermittler in diesem Mordfall, den Tod des jungen Mannes aufzuklären.

Gleich im Anschluß daran wartet eine unliebsame Überraschung auf Wang, der sich im Grunde nur zufällig wegen einiger Amtsgeschäfte in Beijing befindet und auf dem schnellsten Wege zu seiner schwangeren Ehefrau Han Suyin zurückmöchte: In seiner Kammer findet er die Leiche eines Jungen. Wie sich herausstellt, handelt es sich um den Lustknaben des ersten Prinzen Yinreng. Wang wird daraufhin mit dem Tod bedroht, sollte er den Mord an dem Jesuiten weiter untersuchen. Doch der Detektiv wider Willen läßt sich nicht einschüchtern und schlittert unversehens in einen Sumpf aus Korruption, Machtmißbrauch, Lügen, sexueller Perversion und dem Zusammenprall zweier Kulturen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Auf der einen Seite steht das intrigengeschüttelte Großreich China, auf der anderen Seite der abendländisch-christliche Wertekanon der Jesuiten, die sich zudem von den in Europa aufkommenden und langsam auch in China einsickernden neuen und "blasphemischen" Ideen eines Galileo Galilei bedroht wähnen. Und innerhalb dieses Clashs der Kulturen zieht ein Killer seine blutige Spur, die auch vor den höchsten religiösen und politischen Kreisen nicht Halt macht.

Die Sinologin Clementine Skorpil schafft es, in ihrem Debütroman "Fuchsgeister" ihr fundiertes Background-Wissen in eine Geschichte einfließen zu lassen, die ausschließlich aus dem Blickwinkel des chinesischen Richters Wang Wenming geschildert wird. Das könnte die Leserschaft gelegentlich auch etwas befremden, wenn beispielsweise das mögliche Vorhandensein vergifteter Speisen durch Verfüttern an eigens zu diesem Zweck angeschaffte Hunde geklärt wird - oder das Windelweichprügeln von minderjährigen Dienern (auch durch Wang selbst) zur selbstverständlichen Normalität zählt. Doch ist´s genau diese Erzählebene, die das Buch letztendlich so faszinierend macht. Hier werden nicht aus Gründen fadenscheiniger political correctness Fakten verdreht oder zugunsten einer kulturellen Scheinkompatibilität abgemildert. Das Leben im China des 17. Jahrhunderts war nun einmal offensichtlich keine Kinderjause - und "Vier Pfoten" sowie "fortschrittliche" Pädagogen gab es damals noch nicht einmal in Ansätzen. Und auch die europäische Malerei stößt im China jener Tage nicht überall auf Gegenliebe, was zu einigen der witzigsten Szenen des Buches überhaupt führt (Stichwort: Rubens). Den historischen Hintergrund baut die Autorin dabei gekonnt als Bühne für einen wohldurchdachten Kriminalroman auf: Edutainment at its best, wenn man so will.

Einzig dem Lektorat von "Fuchsgeister" sollte man wünschen, daß es in Zukunft seine Aufgabe etwas ernster nimmt. Von schludriger Grammatik einerseits über einige äußerst "würde"volle Sätze bis hin zu vermeidbaren Wortwiederholungen liefert es Anzeichen einer sichtbaren Überforderung - und das sind Dinge, die man nicht unbedingt der Autorin anlasten darf. Dem Lesevergnügen tut all das sowieso keinen nennenswerten Abbruch; ein wenig verlegerische Umsicht hätte allerdings nicht geschadet.

Was die Person des hochanständigen und Traktate für alle Lebenslagen erstellenden Richters Wang betrifft: Seine literarischen Auftritte sollten eigentlich in Serie gehen. Wenn die Autorin seiner Gestalt auch noch ein paar Ecken und Kanten mehr angedeihen läßt, steht einer erfolgreichen Krimireihe nichts mehr im Wege. Clementine Skorpil, übernehmen Sie!

Thomas Fröhlich

Clementine Skorpil - Fuchsgeister

ØØØØ

historischer Kriminalroman

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Addita-Verlag (Tawern 2008)

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