Print_Joe Hill - Blind

Gefahr im Anzug

Der Prinz des Horrorgenres stößt seinen übermächtigen Vater, den bisherigen König des Schattenreichs, vom Thron - mit einem fulminanten Debütroman über einen Metal-Sänger und ein Gespenst.    10.05.2007

In jedem System kommt es mit der Zeit zwangsweise zu Veränderungen. Wenn die althergebrachten Methoden nicht mehr fruchten und sich Langeweile breitmacht, dann giert das Volk nach einem Umbruch. So ist das auch in der (populären) Literatur - und bei Stephen King.

Der einstige König des Schreckens hat in den vergangenen zehn Jahren derart langatmige Schwafeleien zu Papier gebracht, daß Horror-Fans längst nach einem würdigen Nachfolger Ausschau halten. Nun ist ausgerechnet Kings Sohn, der unter dem Namen Joe Hill schreibt, auf dem besten Weg, den vakanten Posten zu besetzen. Das mutet etwas überraschend an, weil man ja weiß, wie das so ist mit Prominentenkindern ...

Hills Erstlingswerk "Heart Shaped Box" (dt. Titel: "Blind") zeichnet sich im Vergleich zur väterlichen Produktion vor allem dadurch aus, daß der Autor die Geschichte auf den Punkt bringt, ohne sich mit einer endlosen Einleitung aufzuhalten. Der Roman erzählt die Geschichte des alternden Rockstars Judas Coyne, der im Internet einen Geist erwirbt. Für Coyne ist das kein ungewöhnlicher Kauf, besitzt er doch bereits eine Sammlung überaus makabrer Devotionalien aus verschiedenen Bereichen des Okkultismus. Die meisten Stücke hat der ehemalige Metal-Sänger von Fans geschenkt bekommen - zum Beispiel den Schädel eines Bauern aus dem 16. Jahrhundert, dem man die Hirnschale geöffnet hat, um ihm die Dämonen auszutreiben; oder eine Schlinge, mit der vor langer Zeit ein Verbrecher gehängt worden ist. Wer ein solches Gruselkabinett sein eigen nennt, zögert natürlich nicht lange, wenn der Anzug eines verstorbenen Predigers (inklusive Geist des Mannes, versteht sich) um läppische 1000 Dollar feilgeboten wird.

Als bald darauf der Postbote mit einer herzförmigen Schachtel auftaucht, kann sich Coyne zuerst gar nicht mehr erinnern, was er da bestellt hat. Erst als er gemeinsam mit seiner momentanen Mätresse Georgia - der supercoole Typ benennt seine Mädels nach US-Bundesstaaten - die Schachtel öffnet und ein schwarzer Anzug zum Vorschein kommt, fällt es ihm wieder ein. Sein reizendes Goth-Girl schlägt ihm prompt vor, den Zweireiher anzuzuziehen. Da der Rocker aber schon beim Gedanken daran Angst kriegt, verzichtet er lieber auf die morbide Modeschau. Und das ist gut so, weil der Geist sein Outfit selber braucht ...

Der tote Prediger ist ein höchst unangenehmes Gespenst, vor dessen Augen schwarze Striche tanzen. Coyne würde ihn am liebsten gleich wieder loswerden; doch das ist gar nicht so einfach: Wer für einen Geist bezahlt, muß ihn nämlich behalten. Der einst so furchtlose Rockstar stellt bald fest, daß er für den grauslichen Gast keinen Abnehmer findet - und zudem übel hinters Licht geführt wurde. Der Geist aus der Schachtel ist nämlich keineswegs zufällig zu ihm gelangt, sondern nach einem genauen Plan. Er handelt sich um den rachsüchtigen Stiefvater einer Selbstmörderin, die angeblich wegen Coyne aus dem Leben geschieden ist. (Sie war ein Groupie, das der Sänger nur als "Florida" kannte.) Schon zu Lebzeiten hat der Prediger beschlossen, es dem vermeintlichen Mörder seiner Tochter mittels übersinnlicher Kenntnisse heimzuzahlen. Coyne beschließt, sich dem Spuk nicht länger auszusetzen und ergreift samt Gespielin die Flucht. Und los geht die gruselige Jagd, die an Spannung und originellen Ideen nur schwer zu überbieten ist.

 

Joseph Hillstrom King entschloß sich bereits im zarten Alter von elf Jahren, nicht mehr mit seinem überlebensgroßen Vater in Verbindung gebracht werden zu wollen. Damals war in einer Lokalzeitung gerade ein Artikel des Jungtalents mit der Autorenzeile "von Joseph King, dem Sohn des Bestseller-Autoren Stephen King" veröffentlicht worden - nicht gerade das beste Renommee, wenn man es auf eigene Faust zu etwas bringen will.

Heute ist "Joe Hill" 34 Jahre alt, selbst erfolgreich und schon etwas gesetzter. Das merkt man allerdings am ehesten daran, daß er sich nun wieder zu seiner Herkunft bekennt. Joes Schreibstil hingegen wirkt jugendlich, zeitgemäß und gelegentlich fast so, als hätte er seine Story bereits als Drehbuch für die geplante Verfilmung von "Blind" angelegt. Dafür sprechen auch die Geisterkino-Klischees (Türen ins Jenseits und eiskalte Zimmer, wenn es spukt) sowie die eindeutig filmischen Elemente seines Romans - etwa die schwarzflackernden Striche vor den Augen des toten Predigers oder die abgehackten Zeitrafferbewegungen der Gespenster.

Daraus darf man dem Thronfolger allerdings keinen Strick drehen. Statt Joe Hill Hollywood-Kalkül vorzuwerfen, erinnere man sich lieber an die gelungenen Frühwerke seines Vaters, die stets Bezüge und Anspielungen auf die jeweils aktuellen Trends der Popkultur enthielten (und diesem Kunstgriff einen Gutteil ihres Erfolgs verdankten). Und was dem König recht war, wirkt auch bei seinem Sohn nicht billig ...

Nikolaus Triantafyllidis

Joe Hill - Blind

ØØØØ 1/2

(Heart Shaped Box)


Heyne (München 2007)

Links:

Kommentare_

Stories
In 3 Tagen bist du tot 2/Interview Pt. 2

Big Brother is watching you

Bei Sabrina Reiter hat sich der Einfluß des großen Bruders durchaus positiv ausgewirkt. Der EVOLVER unterhielt sich mit Österreichs erster Scream-Queen. Teil zwei: über die Anfänge als Schauspielerin, ihre Lieblings-Horrorfilme und den Hang zur Komödie.  

Print
Chuck Palahniuk/Porträt

Master of Puppets

The first rule of Chuck: you talk about Chuck. Seine Bücher erreichen zwar nicht alle die Genialität von "Fight Club" - aber besser als das meiste auf dem internationalen Literaturmarkt sind sie trotzdem noch. Und das ist Grund genug für den EVOLVER, das bisherige Schaffen eines seiner Helden etwas ausführlicher zu betrachten.  

Print
Rex Miller - Fettsack

Dunkler Speck

Während die Buchempfehlungen in allen Medien derzeit weihnachtlich andächtig ausfallen, sucht EVOLVER noch einmal die dunkle Seite der Trash-Literatur auf und warnt: Für stille oder gar heilige Nächte ist dieser Titel garantiert nicht geeignet.  

Stories
In 3 Tagen bist du tot 2/Interview

Blutiges Schneegestöber

Mit "In drei Tagen bist du tot" drehte Andreas Prochaska nicht nur einen gelungenen Horrorstreifen, sondern auch den meistbesuchten österreichischen Film 2006. Und weil sich das Publikum für gelungene heimische Unterhaltung sehr wohl ins Kino begibt, startet in Kürze das Sequel. Der EVOLVER traf Hauptdarstellerin Sabrina Reiter und sprach mit ihr über die Fortsetzung.  

Video
John Rambo

There will be blood ...

... und zwar ohne Ende. Während es sich beim Titel des Andersonschen Ölfilms jedoch eher um eine leere Drohung handelt, fliegen in der neuen "Dschungelbuch"-Adaption à la Stallone gehörig die Fetzen.  

Print
Charlie Huston - Blutrausch

Von denen Vampyren auf Drogen

Im zweiten Teil seiner Blutsauger-Reihe begibt sich der amerikanische Noir-Autor mit Joe Pitt in ein neues Territorium der nächtlichen Parallelwelt New Yorks: Er soll eine Droge finden, die die Untoten nur allzu lebendig macht ...