Print_Klaus Dörner - Die Gesundheitsfalle

Jäger der verlorenen Patienten

Mit zwölf provokanten Thesen zeigt ein deutscher Arzt und Sozialpsychiater auf, woran das Gesundheitssystem krankt - und wie man es möglicherweise heilen kann.    13.01.2004

Klaus Dörners Ansichten über den Medizinbetrieb mögen als provokant gelten - aus der Luft gegriffen sind sie nicht. Den Tenor seines jüngsten Buches "Die Gesundheitsfalle" läßt der Arzt und Sozialpsychiater gleich zu Beginn erschallen und nicht mehr verstummen: "Mehr medizinische Leistung produziert mehr Kranke. Mehr Kranke kosten mehr Geld. Mehr Kosten machen das Sozialwesen kaputt. Wir waren noch nie so gesund, dennoch sind 40 Prozent der Patienten chronisch krank und verursachen 75 Prozent der Ausgaben im Gesundheitswesen. Die neuen medizinischen Trends, inklusive der Wellness-Industrie, treiben in Wirklichkeit der Gesellschaft ihre Gesundheit aus."

Dörner geht mit seiner Kritik in die gleiche Richtung wie der Wissenschaftsjournalist Jörg Blech mit seinem Bestseller "Die Krankheitserfinder": "Medizin ist zur Dienstleistung verkommen, die den Mechanismen des Marktes unterliegt und damit künstliche Bedürfnisse erzwingen muß." Längst ist die Mehrheit der Gesunden der Welt den Marketing-Aktionen der Pharmakonzerne erlegen und kann nicht mehr frei entscheiden, "was gesund und was krank ist."

Dörner beläßt es aber nicht bei der Kritik am Medizinbetrieb, der ein gesellschaftliches Phänomen ist, sondern zeigt in zwölf Thesen Wege auf, die möglicherweise aus "der Gesundheitsfalle" herausführen können. Heilsversprechungen macht er keine. "Gesundheit ist nicht ohne Leiden zu haben", bringt er seine am Ende des Buches gar nicht mehr so provokant scheinenden Ansichten auf den Punkt: "Erst wenn wir uns wieder um uns selbst sorgen und um die Menschen in der Familie und in der Nachbarschaft, können wir uns aus der Gesundheitsfalle befreien", meint er und bricht damit eine Lanze für mehr Eigenverantwortung und Selbstbestimmung.

Die Medizin ist keine Allmacht; wir müssen aufhören, sie als solche zu betrachten. Erst wenn wir Sterben nicht mehr als Versagen der Medizin, sondern als ihre natürliche Grenze anerkennen, sind wir auf dem richtigen Weg, "Gesundheit nicht mehr als unseren einzigen Lebenszweck zu begreifen". Patienten sind mündige Bürger, auch wenn die Ärzte das manchmal etwas anders sehen. Es ist Zeit, Schluß zu machen mit dem Diktat der Pharmaunternehmen, der Wellness-Industrie und dem dauermedikamentierten Wohlfühlstaat. "Eine Gesellschaft", so Dörner, "die Gesundheit zu ihrem höchsten Wert erklärt, treibt mit Hilfe ihres Gesundheitssystems sich selbst die Gesundheit aus."

Dem ist leider nichts hinzuzufügen.

 

Chris Haderer

Klaus Dörner - Die Gesundheitsfalle


Econ-Verlag (München 2003)

Links:

Kommentare_

Kolumnen
Ausweiskontrolle

Wie wir die NSA verwirrten ...

Im Internet sind die Lauscher immer und überall. Digitale Selbstverteidigung ist angesagt. Die notwendigen Tips gibt Steffan Heuer in seinem Buch "Mich kriegt ihr nicht!"  

Kolumnen
Ausweiskontrolle

The All American Big Data Online Election Show

Big Data und Social Media halten zusammen wie Pech und Schwefel. Ihnen verdankt Barack Obama seine zweite US-Präsidentschaft.  

Kino
Star Trek - Into Darkness

Phaserschmeichler

Zum zweiten Mal hat Regisseur J. J. Abrams den Motor der "Enterprise" angeworfen und sie auf eine für den Titel "Into Darkness" eigentlich recht gut ausgeleuchtete Reise geschickt. Chris Haderer ist eine Runde mitgeflogen.  

Termine
Festival des gescheiterten Films

Die große Show der tragisch Gescheiterten

Vom 8. bis 15. Februar geht das "Festival des gescheiterten Films" in den Breitenseer Lichtspielen vor Anker. Gezeigt werden Filme, für die es leider keinen kommerziellen Markt zu geben scheint.  

Termine
"Big Brother Awards" 2012

Name them & shame them!

Am 25. Oktober werden im Wiener Rabenhof die 14. "Big Brother Awards" verliehen. Traditionell finden sich unter den Nominierten illustre Namen von Beatrix Karl bis Marie Vassilakou.  

Kino
Die Wand

Bergsee mit Wand

Regisseur Julian Roman Pölsler hat sich an der Verfilmung von Marlen Haushofers "Die Wand" versucht - und ein schön photographiertes Hörbuch abgeliefert.