Print_Natsuo Kirino - Teufelskind

Big Mother is watching you

Kinder sind Monster - das ist ja allgemein bekannt. Doch ein solches Bankert, wie es uns hier vorgestellt wird, ist noch nicht dagewesen. Man kann nur hoffen, daß diese neue Stufe infantiler "Verhaltenskreativität" auf Japan beschränkt bleibt.    03.02.2009

Hält eigentlich irgendjemand noch den Begriff "Serienkiller" aus, ohne selbst Mordgelüste zu hegen? Alles scheint sich aufs Hintereinander-Töten eingestellt zu haben. Seit Sophokles wissen wir: Das Volk will Sex and Crime. Soll es also bekommen, was es will. Das elisabethanische Zeitalter hatte Richard III., wir haben Hannibal Lecter. Die Sprachgewalt hat ab-, die Morde haben zugenommen.

Das neueste Mitglied im Clan der nimmersatten Tötungsmaschinen ist das "Teufelskind" Aiko Matsushima. Geboren wurde die Kleine an einer noch nicht näher bestimmten Hirnkreuzung der japanischen Autorin Natsuo Kirino, die in unseren Breitengraden durch den Roman "Die Umarmung des Todes" aufgefallen ist; einem sonderbaren Stück Literatur, das sich allein durch seine Figurenkonstellation empfiehlt (vier Arbeiterinnen einer Lunchpaket-Fabrik am Rande Tokios vertuschen gemeinsam einen Mord, indem sie die Leiche des Ehemanns einer der Frauen fein säuberlich zerlegen und in diversen Müllcontainern entsorgen). Der Skandal, den dieser Roman nach sich zog, begründete sich nicht alleine in der Auswahl seines Personals - Frauen sollten keine Männerleichen zerlegen, sondern Fisch -; vielmehr störte die japanische Männerwelt, daß sich solche Phantasien im Kopf einer verheirateten Frau und Mutter entladen hatten. Da konnte man ja langsam Angst bekommen; zumal die Heldin von "Die Umarmung des Todes" sich nicht gerade unglücklich über den Tod des Gatten zeigt. Das waren Sprengladungen an einem devoten System.

Aiko, die neue "Heldin" von Kirino, ist da nicht besser. Noch besser, sie ist schlechter. Sie hat es faustdick hinter den Ohren, nicht unbedingt im Hirn, aber wie sollte da auch etwas hingeraten sein, wurde ihr doch jede Schulbildung vorenthalten. Ohne ihre Eltern zu kennen, wächst sie in einem Bordell auf. Nachdem der Laden dichtmachen muß, wechselt sie in ein Kinderheim - samt ihrem Schuhkarton, mit dem sie sich rege unterhält, hat man ihr doch gesagt, die darin befindlichen dreckigen Schuhe hätten ihrer Mutter gehört. Aiko ist nicht eben einfach. Und wer sie zuviel ärgert, kann schon einmal Feuer fangen. Aber in einer Welt, die das Gleichgewicht schon länger verloren hat, fällt sie gerade noch durch die Härte ihrer Taten auf. Pervers sind alle. Sie auch. Aber sie tötet die Perversen auch gleich mit.

Klar: Die Inhaltsangabe alleine klingt schrecklich, als hätte sich ein versoffener Sozialarbeiter so nebenbei in Sachen Literatur versucht. Weil Kirino aber einen Märchenklang (wie für gaaanz liebe kleine Kinder) anschlägt, gelingt das Ganze dann doch besser als gedacht. Die Sprache kommt behäbig daher, tänzelt einen vorgestrig lahmen Foxtrott, lullt einen geradezu ein, um dann durch die Schilderungen Giftgas der bösesten Sorte freizusetzen.

Die Männergestalten in dem Roman sind allesamt Schlappschwänze, Weicheier, die sich nach der großen Urmutter sehnen, einem nicht gerade fernen Bild in der japanischen Ikonographie. Die, die Dinge am Laufen halten, sind die Frauen, harte Typen, die wissen, wie man Firmen führt und richtig fickt. Auch das ist Sprengstoff, und mit Sicherheit nicht nur für den asiatischen Kulturraum. Der Roman scheint eine verdrehte Manga-Ästhetik zu praktizieren. Lady Vengeance beißt hier den Männern mal ordentlich in die Schwänze und fackelt sie anschließend ab. Das ist Feminismus der härteren Art und wahrscheinlich nicht ganz im Sinne von Alice Schwarzer.

Außerdem ist "Teufelskind" auch noch verteufelt unterhaltsam geschrieben, gerade aufgrund des sehr ambivalenten Verhältnisses von Sprache und Story, und da schreien die Kulturwächter natürlich gleich im Kollektiv auf. Allein, um die zu ärgern, sollte man die 200 Seiten lesen. Atmen sich eh weg wie nichts.

Guido Rohm

Natsuo Kirino - Teufelskind

ØØØ

(I´m Sorry, Mama; Photo © Akihiko Uemura)

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Goldmann (München 2008)

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