Print_Vendetti/Weldele: The Surrogates

Körperwelten

Stellen Sie sich vor, Sie wären ein fetter und häßlicher Sack, der schon immer eine begehrenswerte Frau mit riesigen Titten sein wollte. Ok. Sie haben da schon öfter drüber nachgedacht, aber was wäre, wenn Sie sich plötzlich ihren Wunsch erfüllen könnten?    25.01.2010

2054 dürfte ein tolles Jahr für Sie werden. Endlich können Sie Ihre gesamten und gesammelten Spinnereien ausleben. Sie sind in der perfekten Welt angekommen. Nie mehr frieren oder schwitzen. Nie mehr einen Job nicht bekommen, nur weil man eine Frau ist. Endlich einen Job bekommen, nur weil man eine Frau ist. Immer jung sein. Immer begehrenswert. Und einmal angenommen, Sie sind bei der Polizei (oder dem organisierten Verbrechen) beschäftigt: Nie mehr Angst vor Übergriffen oder Angriffen haben. Stets auf der sicheren Seite stehen. Na, wäre das nicht toll?

Sie müssen auch gar nicht mehr lange warten. 2054 ist es soweit. Die paar Jahre bekommen Sie auch noch rum. Zur Not, indem Sie ein paar gute Bücher lesen. Oder Comics. Und hin und wieder gerät man auch mal an ein Meisterwerk. Wie im Fall von "The Surrogates".  

 

Endlich ist der Mensch die Last des eigenen Körpers losgeworden. Nie mehr duschen? Na, würde Ihnen das nicht gefallen? Was? Das machen Sie schon längst? Anderes Beispiel. Sie sind fett? Häßlich? Alles egal. Denn ab sofort müssen Sie nicht einmal mehr ihr Bett verlassen. Sie liegen einfach zu Hause herum und verlinken sich mit Ihrem künstlichen Ich. Das künstliche Ich ist ein Surrogat. Ein Geschöpf aus den heiligen Hallen der Industrie. Gefertigt für eine schöne neue Welt, die Sie gar nicht mehr erst betreten müssen. Was? Das erinnert Sie an Ihr momentanes Internetdasein? Interessant. Vielleicht müssen wir ja doch nicht bis 2054 warten. Vielleicht ist die Zukunft längst Gegenwart geworden und "The Surrogates" ein gewagt-aktueller Comic.

 

Ein Liebespaar. Er sieht gut aus. Sie sieht gut aus. Ein Gewitter kündigt sich an. Ein bißchen Sex. Warum nicht? Scheiß auf das Gewitter. Die Geilheit siegt. Plötzlich taucht ein Fremder auf. Und im nächsten Augenblick liegt das Paar tot auf dem Asphalt.

Polizist Harvey Greer soll den Mord an dem Paar aufklären. Die waren gar kein Paar, sondern zwei Surrogate, die mal einen draufmachen wollten. Mord war es also nicht. Eher schon Sachbeschädigung. Oder? Also macht er sich auf die Suche nach dem "Mörder". Als dieser Greers künstliches Ich schließlich auch noch aus dem Leben befördert, wird es höchste Zeit für den echten Greer, einzugreifen, um im "Mordfall" Greer zu ermitteln. Das ist nicht einfach in einer modifizierten Welt, die kaum noch jemand wirklich betritt. Seine Surrogatenfrau sieht Greer jeden Tag. Seine biologisch abbaubare Frau hat Greer dagegen schon länger nicht mehr gesehen. So muß sich Greer mit einer Welt herumschlagen, die irgendwo in einem Hinterzimmer rumliegt.

 

Einen Comic in Händen zu halten ist eine Sache. Nach einer Weile zu bemerken, daß man ein Meisterwerk lesen durfte, ist schon wieder etwas ganz anderes.

"The Surrogates" ist ein Comic der Extraklasse. Auf den Punkt gebrachte Gegenwart im Gewand der Science-Fiction-Story. Reduzierte Zeichnungen, die sich voll und ganz auf ihre Hauptpersonen und die erzählte Geschichte konzentrieren. Fingierte Werbeanzeigen. Zeitungsausschnitte. "The Surrogates" ist ein Kunstwerk. Eine Mischung aus Comic, Dokumentation, Zeitschrift. Ein perfektes Stück Literatur.

Und um es zu bekommen, müssen Sie nicht mal aus dem Bett raus, Sie fauler Sack. Sie verlinken sich einfach mit der Internetbuchhandlung Ihrer Wahl und bestellen es. Oder Sie schleifen wieder einmal ihren Körper vor die Haustür und leben. Ach, Schwachsinn. Sie können ja auch einen virtuellen Spaziergang machen. Das reicht bestimmt. Und Sie belästigen auch niemanden mit ihrem Schweiß.

Guido Rohm

Robert Vendetti, Brett Weldele - The Surrogates

ØØØØØ

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Cross Cult (D 2009)
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