Print_Nick Cave - Der Tod des Bunny Munro

Lost highway

Der Mann in Schwarz griff statt zum Mikro wieder einmal zur Feder und schickt in seiner "roadnovel" Vater und Sohn auf eine skurrile Seelenreise.    09.10.2009

Kennt noch jemand die Story von Peter Bogdanovichs Roadmovie-Klassiker "Paper Moon"? Ein verschlagener, aber sympathischer Trickbetrüger reist während der großen Depression mit seiner falschen Tochter durch die Staaten, um gutgläubigen Menschen, die gerade ihren Partner verloren haben, Bibeln anzudrehen. Die hätte der Verstorbene angeblich kurz vor dessen Tod noch bestellt ... Dabei flieht das Duo vor der Gesellschaft, vor dem Gesetz, vor allem aber vor sich selbst, um sich am Ende dann doch zu finden.

Die Parallelen zu Nick Caves neuem Roman "Der Tod des Bunny Munro": Der traurige Titelheld dreht an der Südküste Englands einsamen Ehefrauen zweitklassige Kosmetikartikel an und verkauft ihnen damit so etwas wie den Traum vom Glück. Bunny ist ein schlitzohriger Regionalliga-Meister des schönen Scheins im tristen Sein, glaubt aber seine Seele so im Griff zu haben wie sein Sexleben. Dann schleudert ihn der plötzliche Selbstmord seiner Frau aus der Kurve des Lebens. Auf sich allein gestellt und von Angst getrieben, krallt er sich seinen neunjährigen Sohn, steigt mit ihm ins Auto und fährt einfach los: Asphalt unter den Reifen als Therapie gegen seelische Orientierungslosigkeit - der Stoff, mit dem literarische Roadmovie-Klassiker Fahrt aufnehmen.

 

Zunächst ist Familie Munro (der Sohn kommuniziert häufig mit der toten Mutter, die als Geist in Hamletscher Manier den freien Sitzplatz im Wagen besetzt und ihren Sprößling mit der Verheißung eines guten Endes beruhigen will) einfach nur "on the road". Nach etlichen Episoden und Stationen im Geiste des klassischen Reiseromans des 19. Jahrhunderts begreift Bunny, daß diese dunkle Queste voller Komik, Tragik und Gewalt doch ein Ziel hat: Er muß die Route Richtung "Aufarbeitung der Vergangenheit" einschlagen und bricht zum Ort seiner Kindheit auf, um seinen altersschwachen, aber um so boshafteren Vater zu besuchen.

So kommt es am Zielsort der Reise zu einem komödiantisch-bizarren Familien-Showdown: Väter und Söhne sind durch Charakter und das Leben auf der Seelenstraße zu Reisenden, Verlorenen und Heimkehrern geworden, zu Vergeltenden und Vergebenden. Am Ende des Trips müssen sich der Protagonist und sein Umfeld mit den Untiefen der eigenen Seele auseinandersetzen und diese durchwaten, um das (vielleicht) rettende Ufer jenseits des "troublesome waters" zu erreichen, an dem Kylie Minogue und Avril Lavigne warten ...

Nick Cave, der sein schriftstellerisches Talent schon mit seinem Romandebüt "Und die Eselin sah den Engel" aus dem Jahr 1989 unter Beweis stellte und damit viele hochkarätige Kulturkritiker verblüffte, weil er eben keinen Musikerroman, sondern ein eigenständiges literarisches Werk mit Anspruch veröffentlichte, bewegt sich als Schriftsteller ebenso eigenwillig wie als Sänger auf der Bühne. Als Musiker und Komponist kennt und schätzt er Hölle und Himmel, und auch als Autor bleibt er sprachlich und erzählkompositorisch höllisch und humorig zugleich. Zwar bedient er sich als Songwriter wie als Storyteller traditioneller Topoi und Motive, durchwandert den bekannten Kosmos, findet aber stilsicher und selbst mit verbundenen Augen immer die finstersten und zugleich auch spannendsten beziehungsweise lustigsten Hinterhöfe und Winkel. Und daß er mit diesen Vorlieben inzwischen nicht mehr allein ist, zeigt die Tatsache, daß man seinen neuen Roman in fast 30 Ländern veröffentlichen wird.

 

Gleichzeitig mit der deutschen Romanausgabe präsentiert der Hörverlag die Hörbuchversion, gelesen von Cave-Intimus Blixa Bargeld. Cave und Bargeld sind schon seit Jahrzehnten Blutsbrüder in Sachen Musik und Multikünstlertum. Beide haben in den Achtzigern Bands initiiert, die bis heute zu Recht Kultstatus besitzen, und beide haben als wütend wütende Kunst-Avantgardisten mit ihren spitzen schwarzen Schuhen die Türen des Feuilletons eingetreten und sich rüpelhaft, aber selbstbewußt einen Platz an der Bar des globalen Kulturbetriebs erstritten.

Unter anderem haben beide auch zusammen musiziert, als Gäste in diversen Projekten, wobei Bargeld selbst seinen Frontman-Status bei den Einstürzenden Neubauten lange Jahre immer wieder gerne zugunsten einer Nebenrolle als Gitarrist bei Caves Band The Bad Seeds eintauschte. Nun erweist Bargeld seinem Blutsbruder Cave und den Hörern einen echten Freundschaftsdienst: Er erweckt die skurrilen Figuren des Caveschen Reiseromans für das Hörbuch zum Leben (in der englischen Fassung liest Cave höchstpersönlich!). Dabei gelingt ihm als Vorleser der stimmliche Spagat zwischen Witz und Wut ebenso, wie ihn der Autor im literarischen Plot selbst angelegt hat. Als Wermutstropfen bleibt zu erwähnen, daß die Hörbuchedition leider keine Komplettfassung ist, sondern nur eine "gekürzte Lesung". Die Verlage täten gut daran, diese Veröffentlichungspolitik noch einmal zu überdenken, vor allem bei Werken für eine sehr spezielle Leserschaft. Und die hat Cave gewiß ...

Emmerich Thürmer

Nick Cave - Der Tod des Bunny Munro

ØØØØ 1/2

(The Death of Bunny Munro)

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Kiepenheuer & Witsch (D 2009)

Hörbuch-Edition: Der Hörverlag (ca. 427 Minuten; D 2009)

 

Photos © Gavin Evans, Thomas Rabsch

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