Print_Olen Steinhauer - Die Spinne

Nichts für Weichlinge!

Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern? So oder ähnlich dürfte die Moral der Geschichte lauten, die uns US-Autor Olen Steinhauer in seinem dritten und letzten Thriller um Geheimagent Milo Weaver unterbreitet.    25.07.2014

Weaver war ein Tourist, eine neue Form amerikanischer CIA-Spione, die so geheim operieren, daß sie sich häufig selbst fremd bleiben. Klingt komisch, ist aber so, wenn man den Auftaktband "Der Tourist"gelesen hat, in dem Steinhauer das anonyme "Jet-set"-Leben der Touristen und insbesondere das von Milo Weaver schildert.

Doch seit "Last Exit", dem zweiten Weaver-Roman, liegt die "Tourismusbranche" am Boden, weil der chinesische Agent Xin Zhu quasi im Alleingang weltweit fast alle Touristen ausgelöscht hat - als Vergeltung für den Tod seines Sohns.

"Die Spinne" schließt nahtlos an diese Rachetat an. Doch die Geschichte des dritten Weaver-Thrillers in wenigen Worten zusammenzufassen, erweist sich als gar nicht so einfach. Nicht nur, daß Steinhauer immer wieder Querverweise auf die vorangegangenen Ereignisse herstellt, obendrein wechseln die Geheimagenten ihre Ideale so schnell wie andere ihre Unterwäsche: beinahe täglich.

Loyalität? Was für Weichlinge. Integrität? Kennen die wenigsten. Feinde werden überraschende Freunde, und Freunde plötzlich zu erbitterten Feinden. Ob chinesische Spione, deutsche, amerikanische, britische, kambodschanische, koreanische, russische - am Ende geht es keinem mehr um den Heldenkampf fürs Vaterland. Da wird jeder einzelne Agent getrieben von Macht, Geltungssucht und ganz eigennützigen Plänen; oder weil er nichts anderes gelernt hat im Leben als das Taktieren, Paktieren und Konspirieren.

Vielleicht ist das sogar die bitterste Pille, die der Leser am Ende schlucken muß.

Andererseits: Kennt man derlei Eogtrips nicht längst auch von hiesigen Politikern, die ihre Fähnlein in den Wind hängen, wie es ihnen gerade am besten paßt? Die geben sich ja nicht einmal mehr die Mühe, das zu verschleiern.

Und inmitten dieser dreckigen Spiele steckt nun Milo Weaver, dessen größter Wunsch es nach dem schmächlichen Ende der Tourismusabteilung ist, nichts mehr mit Spionage und Gegenspionage zu tun zu haben.

 

"Ich habe schon viel zu viel von meinem Leben und vom Leben meiner Familie für aussichtslose Kämpfe verwendet. ... Und ich will nicht Teil einer Maschinerie sein, die Menschen so zugrunde richtet. Nicht mehr."

 

Gerade dieser Wunsch treibt ihn dann doch ein letztes Mal in die Arena der Geheimdienste - weil auch er seine ganz eigenen Ziele verfolgt: Sicherheit für Frau und Kind. Doch er hat die Rechnung ohne seine Freunde gemacht. Oder sind es seine Feinde? Schwer für Milo, da noch den Überblick zu behalten.

Nicht aber für den Leser. Natürlich bedarf es bei "Die Spinne" einer erhöhten Konzentration während der Lektüre - und der Vorkenntnis der beiden vorangegangenen Romane "Der Tourist" und "Last Exit". Wer sich aber darauf einläßt, erlebt einen modernen Spionageroman voller Verstrickungen, einen genialen Thriller voller ungeheuerlicher Wendungen und ganz nebenbei noch eine Einsicht in das menschliche Wesen.

Wie lautet noch mal dessen Moral? Ach so, genau: "Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?"

Marcel Feige

Olen Steinhauer - Die Spinne

ØØØØØ

(An American Spy)

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Heyne (D 2014)

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