Print_Sam Hayes - Stumm

Familienbande

Zufälle gibt's, die gibt's gar nicht. Zumindest nicht im wahren Leben. Aber schließlich haben wir es hier mit einer Geschichte zu tun – und als Psychothriller unterhält "Stumm" von Samantha Hayes ganz vortrefflich.    10.05.2010

Von einem Moment auf den anderen steht das Leben der Lehrerin Julia Kopf. Gerade erst hat sie ihren versoffenen Ehemann vor die Tür gesetzt (und steht nun alleine mit den Kindern da), als sie beim Spaziergang mit dem Hund eine ihrer Schülerinnen im Straßengraben findet - grausig verstümmelt.

Zur gleichen Zeit erleidet Julias Mutter Mary einen Schlaganfall. Zumindest ist dies die erste Diagnose von Dr. David Carlyle.

Was Julia allerdings nicht weiß: Erst wenige Stunden zuvor hat ihre Mutter wegen eines entzündeten Fingers den Hausarzt aufgesucht. Doch anstatt des vertrauten, alten Doktors öffnete ihr sein Nachfolger die Tür - ebendieser Dr. Carlyle. Den aber kennt Mary aus vergangenen Tagen leider nur zu gut: Vor 30 Jahren hatte der Mann sie im Drogenrausch mißbraucht und war straffrei davongekommen. Der Schock über das Wiedersehen sitzt bei Mary so tief, daß sie fortan kein Wort mehr über die Lippen bringt.

Tochter Julia indes ist froh, daß der neue Hausarzt sich so rührend um ihre Mutter zu kümmern scheint; auch seine bald folgenden Avancen bleiben nicht ohne Wirkung auf die frisch Getrennte. Bis der smarte Doktor als Verdächtiger im Mißbrauchsfall der Schülerin verhaftet wird. Und zwar obendrein von Julias Bruder Ed, der als Ermittler bei der Polizei arbeitet.

Julia - inzwischen schwer verliebt - kann und will nicht glauben, daß der fürsorgliche, warmherzige Mediziner für dieses abscheuliche Verbrechen verantwortlich sein soll. So bittet sie schließlich ihren Noch-Ehemann Murray um Hilfe, der nämlich zufällig Anwalt ist. Obwohl Murray klarerweise nichts lieber sähe als den neuen Schwarm seiner Frau hinter Gittern, übernimmt er den Fall - hofft er doch, mit diesem Liebesdienst seine Frau und die Kinder zurückgewinnen zu können. Wobei ihm ausgerechnet seine Schwägerin Nadine (Eds Ehefrau!) zur Seite steht: Selbige ist nämlich Krankenschwester und hat auch so ihre Zweifel an den Absichten des guten Doktors ...

 Kurzum: Alle - aber auch wirklich alle - Protagonisten, Nebenfiguren, Ermittler oder Verdächtige eint der familiäre Zusammenhang. Ein wenig zuviel des Zufalles, für das wahre Leben. Sieht man darüber einmal hinweg, bleibt ein solide konstruierter Psychothriller; durchaus spannend, und mit kuriosem Ende. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Marcel Feige

Sam Hayes: Stumm

ØØØ

Unspoken

Leserbewertung: (bewerten)

Ullstein Verlag (D 2010)

Links:

Kommentare_

Print
Michael Connelly - Götter der Schuld

Der schmale Grat

"Götter der Schuld" werden die zwölf Geschworenen genannt, die im Gerichtssaal über die Schuld eines Angeklagten entscheiden. Nur was, wenn der unschuldig ist, die Beweise dafür aber fehlen? Marcel Feige klärt auf.  

Print
Katja Bohnet - Messertanz

Kleine Welt

Das Romandebüt der deutschen Autorin ist vieles: ein Thriller, ein Familiendrama, eine Rachestory. Vor allem ist es jedoch unbedingt lesenswert, wie Marcel Feige findet.  

Print
Stephen King - Basar der bösen Träume

Königliches Gemenschel

Hat´s der Schöpfer von Klassikern wie "The Shining", "Carrie" oder "Misery" nach all den Jahrzehnten immer noch drauf? Marcel Feige hat sich in seine neue Kurzgeschichtensammlung vertieft.  

Print
Michael Robotham - Der Schlafmacher

Mut und Konsequenz

Mit einem Robotham kann man für gewöhnlich nichts falsch machen, findet Marcel Feige. Sein neuer Roman ist allerdings eine Ausnahme.  

Print
John Grisham - Anklage

Seifenblase

Das muß einem Autor erst einmal gelingen: einen Roman schreiben, in dem nichts passiert. John Grisham hat es geschafft.  

Print
Greg Iles - Natchez Burning

WTF?

Der Rassenwahn in den Südstaaten Amerikas ist ein Thema, das den US-Autor Greg Iles nicht zum ersten Mal beschäftigt - diesmal allerdings ambitioniert und (fast) ohne Kompromisse.