Print_Christoph Scholder - Oktoberfest

"Atombombe im Bierzelt?"

Eine Story wie aus einem Hollywood-Blockbuster: Dieser Katastrophenthriller aus der Feder eines deutschen Autors schreit förmlich nach Verfilmung.    09.11.2010

Ein Trupp skrupelloser, russischer Militärs kapert - enttäuscht vom Ausverkauf einstmals stolzer, sowjetischer Ideale - das Müncher Oktoberfest, nimmt 70.000 Geiseln und schickt danach ein Fax an den bayrischen Ministerpräsidenten, den Münchner Oberbürgermeister und den Polizeipräsidenten: Ungeschliffene Diamanten im Wert von 2 Milliarden Euro gegen das Leben der Wiesn-Gäste.

Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, feuern die Geiselnehmer eine Boden-Luft-Rakete auf einen Hubschrauber, den die Polizei nicht schnell genug aus dem Luftraum über München evakuiert hat.

Schock!

Für den bayrischen Ministerpräsidenten ist der Hubschrauberabschuß eine Kriegserklärung. Obwohl inzwischen auch im Berliner Kanzleramt ein Krisenstab tagt, setzt er auf die Hohheit der Bundesländer und gibt einer Sondereinheit grünes Licht zur Erstürmung der Bierzelte - ein verhängnisvoller Beschluß. Denn die Geiselnehmer bekommen Wind von der Aktion und leiten Nervengift in eines der Wiesn-Zelte.

2.000 Tote!

Als die Presse davon erfährt und gar mit der Schlagzeile aufmacht: Atombombe im Bierzelt?, bricht in München Panik aus. Die Bundesregierung beschließt den Ausnahmezustand. Das Militär kommt zum Einsatz. Allen voran Wolfgang Härter, Geheimdienstler im Solde des Verteidigungsministeriums ...

 

Den 600 Seiten-Thriller liest man problemlos in zwei Tagen aus - nicht zuletzt, weil er so spannend ist. Da gibt es Geheimdienste, die so geheim sind, daß selbst der Regierungschef nicht von ihrer Existenz weiß; Politiker, die sich aus reiner Geltungssucht zu Entscheidungen hinreißen lassen, die sie schon bald bitter bereuen; Boulevardreporter, die mit Schlagzeilen unnötige Panik schüren; den einsamen Wolf, der morgens nach dem Aufstehen 150 Liegestützen und 150 Sit-Ups absolviert, bevor er sich zur Verbrecherjagd aufmacht; und natürlich die besten Freunde einiger Protagonisten, die (deus ex machina) Jobs ausführen, die für die finale Lösung der dramatischen Angelegenheit von Relevanz sind.

Okay, zugegeben, was den Realismus betrifft, überspannt Autor Christoph Scholder an nahezu jeder Stelle den Bogen. Denn natürlich würden Politiker, Militärs und Polizisten in einer Situation wie dieser nicht reagieren, wie sie es in "Oktoberfest" tun. Freilich würde die Rettung aller Geiseln nicht auf den Schultern einer einzigen Person lasten. Und natürlich würde keine Supernase wie Wolfgang Härter solch offensichtliche Spuren übersehen, wie sie die Russen bei der Planung der Geiselnahme hinterlassen haben.

Aber einmal ganz ehrlich: Ging es jemals in einem James Bond-Streifen realistisch zu? Fieberten wir nicht trotzdem immer wieder gerne mit dem Agenten im Dienste seiner Majestät mit? Und, am allerwichtigsten: Schaudern wir nicht jedes Mal aufs Neue angesichts der grundlegenden Wahrheit, die allen 007-Storys und auch Scholders "Oktoberfest" zugrunde liegt - daß nämlich ein solcher oder ähnlicher terroristischer Akt heutzutage jederzeit denkbar ist?

Eben das verleiht der Geschichte jene Prise Realismus, die notwendig ist, damit sie unter die Haut geht.

Marcel Feige

Christoph Scholder: Oktoberfest

ØØØØ

Leserbewertung: (bewerten)

Droemer (D 2010)

 

auch als Audiobook erhältlich

Links:

Kommentare_

Print
Michael Connelly - Götter der Schuld

Der schmale Grat

"Götter der Schuld" werden die zwölf Geschworenen genannt, die im Gerichtssaal über die Schuld eines Angeklagten entscheiden. Nur was, wenn der unschuldig ist, die Beweise dafür aber fehlen? Marcel Feige klärt auf.  

Print
Katja Bohnet - Messertanz

Kleine Welt

Das Romandebüt der deutschen Autorin ist vieles: ein Thriller, ein Familiendrama, eine Rachestory. Vor allem ist es jedoch unbedingt lesenswert, wie Marcel Feige findet.  

Print
Stephen King - Basar der bösen Träume

Königliches Gemenschel

Hat´s der Schöpfer von Klassikern wie "The Shining", "Carrie" oder "Misery" nach all den Jahrzehnten immer noch drauf? Marcel Feige hat sich in seine neue Kurzgeschichtensammlung vertieft.  

Print
Michael Robotham - Der Schlafmacher

Mut und Konsequenz

Mit einem Robotham kann man für gewöhnlich nichts falsch machen, findet Marcel Feige. Sein neuer Roman ist allerdings eine Ausnahme.  

Print
John Grisham - Anklage

Seifenblase

Das muß einem Autor erst einmal gelingen: einen Roman schreiben, in dem nichts passiert. John Grisham hat es geschafft.  

Print
Greg Iles - Natchez Burning

WTF?

Der Rassenwahn in den Südstaaten Amerikas ist ein Thema, das den US-Autor Greg Iles nicht zum ersten Mal beschäftigt - diesmal allerdings ambitioniert und (fast) ohne Kompromisse.