Print_Manfred Wieninger - Prinzessin Rauschkind

Mord und Totschlag an der Traisen

Wozu in die Ferne schweifen? Wer braucht die Bronx, Whitechapel oder nordische Wälder, wenn er die niederösterreichische Landeshauptstadt als Hort des Verbrechens haben kann. Auch wenn diese hier nicht St. Pölten, sondern Harland heißt ...    14.09.2010

Mein Kopf fühlte sich an wie der Krakatau wenige Minuten vor dem Ausbruch. Etwas Blut war über meine Stirn und mein Jochbein in meinen linken Mundwinkel gelaufen, es schmeckte lauwarm und salzig. Noch selten, dachte ich, hat ein Fall von mir gleich mit einem derartigen Fiasko begonnen.

 

Marek Miert, übergewichtiger Rotweinliebhaber und seit seinem Rausschmiß bei der Polizei als "Diskont-Detektiv" in der fiktiven Stadt Harland tätig, leidet unter chronischer Auftragsflaute. Seine Finanzen sehen alles andere als rosig aus; er selbst lebt in einem Abbruchhaus und besitzt im Grunde nichts mehr außer einem rostigen Ford Granada.

So ist er gezwungen, beinahe jeden Klienten anzunehmen, der sich ihm nähert. Einen älteren Mann etwa, dessen Wellensittich entflogen ist - oder eine junge Dame namens Silvia Sladki, deren Lebensgefährte Lászlo Zsigmund seit einiger Zeit wie vom Erdboden verschwunden ist. Miert soll ihn aufspüren.

 

Der erste Haken bei der Sache ist allerdings, daß die Zahnarzthelferin und Gelegenheits-Fischverkäuferin Sladki noch weniger Geld hat als er selbst. Also lehnt er es vorerst ab, den Fall zu übernehmen; und auch das Angebot der mäßig attraktiven Blondine, ihm sein Honorar in Naturalien abzugleichen, kann ihn nicht wirklich umstimmen.

Der Auftrag scheint geplatzt. Doch ein paar Minuten später wird in der Nähe des Bahnhofs ein Mann, der dem Gesuchten wie aus dem Gesicht geschnitten scheint, nur wenige Meter neben Miert erschossen. Der Detektiv, der immer noch das Foto des Abgängigen in der Hand hält, steht nun da wie ein Auftragskiller neben der eben exekutierten Leiche.

Was seinem notorischen Widersacher Oberleutnant Gabloner gerade recht kommt. Dieser hat es nämlich schon seit Mierts Ausscheiden aus dem Polizeidienst auf ihn abgesehen. Und so bleibt dem ewig abgebrannten Provinz-Ermittler nur eines übrig: In Rekordzeit seine Unschuld zu beweisen und die wahren Hintergründe des Falles aufzudecken.

Unter Mithilfe von Kommerzialrat Sabitzer (einem pensionierten Taxiunternehmer, mit Freunden an sehr merkwürdigen Orten) und zweier ehemaliger Schulkollegen (einem verkannten Mathematikgenie sowie einem schmierigen und relativ erfolglosen Pensionsbetreiber) geht Miert ans Werk. Was ihn wieder einmal an die Randzonen der Legalität bringt - und darüber hinaus. Dabei bewegt er sich naturgemäß in seinem Stamm-Biotop Harland, das der niederösterreichischen Landeshauptstadt nicht nur ähnelt, sondern mit selbiger zu 99,99 Prozent identisch ist. (Für Ortsfremde: Harland ist in Wirklichkeit ein Stadtteil von St. Pölten.)

 

Kam sich der Krimi-Autor und Historiker Manfred Wieninger früher gelegentlich mit übertriebener Flapsigkeit durch den Ich-Erzähler sowie ein paar vergangenheitsbewältigenden Einschüben, die dramaturgisch nicht immer ganz schlüssig waren, selbst in die Quere, so ist sein sechster Miert-Roman Prinzessin Rauschkind ein Buch "wie aus einem Guß", in dem die einzelnen Elemente perfekt zueinanderpassen.

Nicht, daß er Zeitgeschichtliches komplett weggelassen hätte; doch diesmal zielt jede Passage darauf ab, in erster Linie eine gute und glaubwürdige Geschichte zu erzählen. Und auch die Schnoddrigkeiten, die Marek Miert diesmal von sich gibt, sind adäquat in den Handlungsfluß eingebettet und sehr schön im Niemandsland zwischen Witz und Verzweiflung verortet.

Völlig frei von jeglicher schicker Ironie verkommt auch der Miert-typische Regionalismus - vulgo Lokalkolorit - nicht zum Marktkalkül. Der Hintergrund Harland / St. Pölten ist ebenso stringent wie die Personen selbst, die Wieninger agieren läßt: Die Kleinstadtidylle präsentiert sich als Sammelsurium von Autobahnauf- und abfahrten, Nacht-Tankstellen, Baumärkten und Container-Puffs - eine einzige überdimensionierte Peripherie. ("Der häßlichste österreichische Ort ist der Vorort", meinte Autorenkollegin Margit Schreiner schon vor einigen Jahren. Dem ist wenig hinzuzufügen.)

Erfreulich ist nicht zuletzt, daß wir es aufgrund der ökonomischen, "amerikanischen" hard boiled-Erzählweise mit einem lesbaren 204-Seiten-Buch zu tun haben, und nicht mit einem aufgeblasenen 1000-Seiten-Wälzer à la mode. In der Kürze liegt mitunter mehr Würze als in erzwungener Breite. 

 

Mit "Prinzessin Rauschkind" ist Manfred Wieninger auf jeden Fall ein formal und inhaltlich auf den Punkt gebrachter Detektivroman gelungen, der Freunden von in der Realität geerdeter Kriminalliteratur genauso gefallen dürfte wie, sagen wir, "Pat Connor"-Lesern.

Und der Verfasser selbst hat sich damit wohl endgültig in die erste Reihe (nicht nur) österreichischer Krimi-Autoren katapultiert.

Thomas Fröhlich

Manfred Wieninger: Prinzessin Rauschkind

ØØØØ

Ein Marek Miert-Krimi

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Haymon Verlag (Ö 2010)
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