Print_Camilla Grebe und Åsa Träff - Die Therapeutin

Skandinavische Routine

Eigentlich, so sollte man meinen, dürfte inzwischen jeder skandinavische Krimi- oder Thrillerautor für den deutschsprachigen Markt entdeckt worden sein. Und doch jubeln uns die Verlage jedes Jahr neue, vermeintlich spektakuläre Schriftsteller/innen unter, die in der Tradition von wahlweise Sjöwall oder Mankell, Marklund oder Dahl stehen.    18.01.2011

Camilla Grebe und Åsa Träff sind zwei dieser Autorinnen, die der Verlag mit dem vollmundigen Cover-Aufkleber "Nr. 1-Besteller aus Schweden" anpreist. Ein Schwesternpaar; die eine Betriebwirtin, die andere Psychologin mit Schwerpunkt Verhaltenstherapie. Beide lieben sie - so klärt der Klappentext auf - Kriminalliteratur, weshalb sie irgendwann beschlossen, selbst einen Krimi zu schreiben.

Herausgekommen ist "Die Therapeutin". Das ist Siri Bergmann, die mit ihrer besten Freundin Aina und ihrem Kollegen Sven eine Gemeinschaftspraxis in Stockholm betreibt. Eigentlich braucht Siri selbst dringend Hilfe - erst hat sie ihr Baby vor der Geburt verloren, dann kam ihr Ehemann Stefan bei einem Tauchunfall ums Leben.

Bis heute hat sie die beiden Schicksalsschläge nicht richtig verdaut. Daß sie in einem einsam gelegenen Haus an der schwedischen Küste wohnt, wo sie jede Nacht von der Angst vor der Dunkelheit heimgesucht wird, macht die Sache nicht besser. Einzig der Alkohol bringt Licht in ihr düsteres Leben ...

 

Im Grunde ragt "Die Therapeutin" nicht aus dem Wust internationaler Krimi- und Thrillernovitäten heraus. Es ist ein konventioneller, routiniert geschriebener Spannungsroman, der langsam und bedächtig beginnt, indem er zunächst die Heldin vorstellt: Ihr Leben, ihr Leiden, all ihre Ecken und Kanten - und davon gibt eine Menge.

Immerhin, das gelingt den Autorinnen perfekt, sodaß man beim Lesen gerne am Ball bleibt. Denn zwischen die Zeilen mischt sich zunehmend eine Bedrohung, die für Siri erst einmal nicht greifbar ist - sie weiß nur, daß die Gefahr da ist. Täuscht sie der Alkohol?

Nein, bald gibt es keinen Zweifel mehr: Jemand verfolgt sie. Doch wer - einer ihrer Patienten? Durchaus möglich, denn durchgedreht sind die Meisten, die Siri in ihrer Praxis empfängt. Aber ist einer davon wirklich fähig zu einem Mord?

Eines Morgens nämlich findet sie am Ufer die Leiche ihrer jungen Patientin Sara. In einem Abschiedsbrief gibt sie ihrer Therapeutin die Schuld für den vermeintlichen Suizid; die Polizei jedoch findet bald heraus, daß Sara ermordet wurde. Wer also könnte Siri schädigen wollen?

Etwa ihr Kollege Sven, in dessen Besitz Saras Patientenakten gefunden werden - hat Sven es auf Siri abgesehen, weil sie sich seinen amourösen Offerten verweigerte? Oder könnte nicht sogar Aina hinter den seltsamen Vorfällen stecken, die langsam die Geduld mit ihrer traumatisierten Freundin verliert?

 

Grebe und Träff loten das Seelenleben ihrer Figuren stimmig aus und legen auf diese Weise viele falsche Fährten. Über 400 Seiten machen sie nahezu jede Person aus Siris Umfeld potentiell verdächtig, ehe sie mit einer großen Wendung zum Showdown ansetzen.

All das hat man zwar schon einmal irgendwo in dieser oder anderer Form gelesen. Dennoch ist "Die Therapeutin" eingängige Krimi-Lektüre für verschneite Wochenenden - und auch davon gibt es ganz bestimmt noch eine Menge ...

Marcel Feige

Camilla Grebe & Åsa Träff: Die Therapeutin

ØØØ

Någon sorts frid

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btb (D 2011)

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