Print_Michael Connelly - Spur der toten Mädchen

Keine Spur davon

Eigentlich könnte man den brandneuen Roman des populären US-Autors als soliden Gerichtsthriller empfehlen - wäre da nicht Sorgenkind Harry Bosch.    22.11.2011

Lange Jahre war Verlaß auf Michael Connelly: In beinahe regelmäßigen Abständen warf er Thriller mit hohem Niveau auf den Markt, die seit 1992 (seit seinem Debüt "Schwarzes Echo") ebenso kontinuierlich vom Heyne-Verlag im deutschsprachigen Raum verlegt wurden.

Umso erstaunlicher, daß der Autor nach fast 20 Jahren zu Knaur wechselte. Dort mochten sich Verleger, Lektoren und Agenten die Hände gerieben haben über diesen Coup. Dumm nur, daß der vermeintliche Goldesel für seinen Einstand Neun Drachen nur einen kruden Thriller zustandebrachte, bei dem hinten und vorne nichts zusammenpaßte. Flugs warf man beim Verlag das Cover für den Nachfolgeband - das sich an "Neun Drachen" anlehnte und mit dem bereits im Handel geworben wurde - über den Haufen und verpaßte dem Roman einen Titel, der mörderische Spannung versprach: Die Spur der toten Mädchen.

Ja, das klingt gut, hat mit dem Inhalt aber (fast) gar nichts zu tun.

 

Denn es geht um den Abschleppunternehmer Jason Jessup, der vor 24 Jahren der Entführung und Ermordung eines jungen Mädchens für schuldig befunden wurde. Neue, technische Errungenschaften stellen das damalige Urteil in Frage - und ausgerechnet Michael Haller, der Lincolyn-Lawyer, der Strafverteidiger auf vier Rädern, soll jetzt als unabhängiger Anwalt im Auftrag der Anklage dafür sorgen, daß Jessup auch weiterhin hinter Gittern bleibt.

Haller ist nicht auf den Kopf gefallen, und ihm ist natürlich klar, daß er nichts weiter ist als ein potentielles Bauernopfer des zuständigen Staatsanwalts, der um seine politische Karriere fürchtet. Warum Haller, ehedem ein überzeugter Strafverteidiger, diesen Job also annimmt, bleibt unklar. Doch egal.

Nachfolgend erleben wir Haller at his best: Wie schon in den bravourösen "Der Mandant" oder So wahr uns Gott helfe entlarvt er das hirnrissige US-Gerichtssystem, liefert ein erhellendes Bild raffinierter Anwälte, die um jeden noch so kleinen Vorteil ringen. Kurzum: "Spur der toten Mädchen" ist ein solider Justizthriller, der zwar nichts bietet, was man anderswo nicht schon einmal gelesen hätte, aber dank Connellys fundiertem Wissen zu jeder Zeit authentisch und damit spannend ist.

 

Warum der Autor aber in diese an sich schon runde Geschichte noch eine zweite Handlungsebene einflicht, nämlich die mit LAPD-Cop und Ermittler Harry Bosch - Hallers Halbbruder -, bleibt ein großes Rätsel. Was im übrigen auch für die Hinweise gilt, die Bosch auf der Suche nach neuen Zeugen und Beweisen für das Gerichtsverfahren findet. Diese stellen Jason Jessup möglicherweise als Serienkiller unter Verdacht - aber nur möglicherweise.

Auch hier bleibt Connelly eine Antwort schuldig. Stattdessen bietet er im Finale ein krachendes Actionspektakel, das sich als so überflüssig erweist wie die ganze Harry Bosch-Chose. Vom Romantitel ganz zu schweigen.

Denn es gibt keine toten Mädchen, es gibt nicht einmal das Bedrohungsszenario, das der Verlag vollmundig im Klappentext verspricht: Weder Michael Hallers noch Harry Boschs Tochter geraten je in ernste Gefahr.

 

Fazit: "Spur der toten Mädchen" ist nicht das Gelbe vom Ei, aber - sieht man von Sorgenkind Harry Bosch ab, der bereits im ersten Knaur-Titel eine denkbar schlechte Figur machte - ist er dank Michael Haller immer noch besser als "Neun Drachen".

Marcel Feige

Michael Connelly: Spur der toten Mädchen

ØØØ

The Reversal

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Knaur (D 2011)

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