Print_Olen Steinhauer - Last Exit

Alles hat einen Grund

Zehn Jahre nach der Zerstörung des World Trade Center kämpfen Geheimdienstagenten längst nicht mehr für das Vaterland, sondern nur mehr für sich selbst.    29.11.2011

Kein Wunder also, daß Milo Weaver, Held aus Olen Steinhauers Debüt Der Tourist, zunehmend an seinem Job verzweifelt. "Touristen" sind CIA-Agenten, die weltweit derart geheim operieren, daß sogar ein Großteil der CIA-Führung nichts von ihnen weiß. Nach so vielen Jahren im Dienst weiß Milo selbst nicht mehr, wer er eigentlich ist. Weshalb er am liebsten quittieren möchte, um bei Frau und Kind endlich zu sich selbst zu finden. Doch was er auch versucht, die Vergangenheit holt ihn.

Sein neuer Auftrag: Er soll ein junges Mädchen in Berlin entführen und spurlos verschwinden lassen. Warum er das Kind töten soll, wird ihm nicht verraten. Eine der Richtlinien für Touristen lautet: Stell keine Fragen. Erledige den Job. Alles hat seinen Grund. Ein anderer Leitsatz besagt: Hab keine Gefühle.

Genau daran scheitert der Job. Denn Weaver, inzwischen Vater, weigert sich, Kinder zu töten. Damit ist er untragbar geworden - und gerät selbst ins Fadenkreuz seiner eigenen Kollegen, die inzwischen aber noch ganz andere Gründe haben, um ihn aus dem Weg zu schaffen.

 

Schwer zu sagen, ob das, was Olen Steinhauer schildert, der Realität entspricht. Aber Kritiker vergleichen die Thriller des US-Journalisten gerne mit denen von John le Carré und Graham Greene, und das soll bekanntlich was heißen.

Falls also ein Hauch Wahrheit an Steinhauers "spy"-Geschichten dran sein sollte - und man ist geneigt, ihnen tatsächlich Glauben zu schenken -, dann sind die Frauen und Männer, die sich weltweit als Agenten verdingen, nur bedauerliche Geschöpfe. Keiner kämpft mehr heroisch um das Wohl des eigenen Landes, sondern nur noch skrupellos ums eigene Wohl. Das wichtigste Credo lautet: Traue niemandem - wenn überhaupt, nur deinem ärgsten Feind. Auf dessen Haß ist wenigstens Verlaß.

 

Bei all dem verworrenen Taktieren und Intrigieren der deutschen, amerikanischen, chinesischen, russischen und sonstigen Agenten und Geheimdienste scheint Steinhauer seine eigentliche Geschichte - nämlich die des jungen Mädchens in Berlin - mehr als einmal aus den Augen zu verlieren, was den Roman auf den ersten Blick unnötig in die Länge zieht. Doch wie es sich für einen ordentlichen Spionageroman gehört, darf man sich davon nicht täuschen lassen. Denn wie gesagt, eine der Tourismus-Regeln lautet: Alles hat seinen Grund.

Am Ende fügen sich alle Fäden zueinander. Und es bleibt die Erkenntnis: Ja, wir leben in einer verkommenen Welt.

Marcel Feige

Olen Steinhauer: Last Exit

ØØØ

The Nearest Exit

Leserbewertung: (bewerten)

Heyne (D 2011)

Links:

Kommentare_

Print
Michael Connelly - Götter der Schuld

Der schmale Grat

"Götter der Schuld" werden die zwölf Geschworenen genannt, die im Gerichtssaal über die Schuld eines Angeklagten entscheiden. Nur was, wenn der unschuldig ist, die Beweise dafür aber fehlen? Marcel Feige klärt auf.  

Print
Katja Bohnet - Messertanz

Kleine Welt

Das Romandebüt der deutschen Autorin ist vieles: ein Thriller, ein Familiendrama, eine Rachestory. Vor allem ist es jedoch unbedingt lesenswert, wie Marcel Feige findet.  

Print
Stephen King - Basar der bösen Träume

Königliches Gemenschel

Hat´s der Schöpfer von Klassikern wie "The Shining", "Carrie" oder "Misery" nach all den Jahrzehnten immer noch drauf? Marcel Feige hat sich in seine neue Kurzgeschichtensammlung vertieft.  

Print
Michael Robotham - Der Schlafmacher

Mut und Konsequenz

Mit einem Robotham kann man für gewöhnlich nichts falsch machen, findet Marcel Feige. Sein neuer Roman ist allerdings eine Ausnahme.  

Print
John Grisham - Anklage

Seifenblase

Das muß einem Autor erst einmal gelingen: einen Roman schreiben, in dem nichts passiert. John Grisham hat es geschafft.  

Print
Greg Iles - Natchez Burning

WTF?

Der Rassenwahn in den Südstaaten Amerikas ist ein Thema, das den US-Autor Greg Iles nicht zum ersten Mal beschäftigt - diesmal allerdings ambitioniert und (fast) ohne Kompromisse.