Der Hase im Pfeffer

Wenn ein anerkannter Historiker und Mittelalterexperte sich anschickt, die Geschichte neu zu schreiben, liegt der Hase im Pfeffer begraben, und zwar im wörtlichen Sinn. In zwei kurzweiligen Aufsätzen legt Carlo Cipolla schlüssig dar, wie der Pfefferimport in Europa zur Erfindung des Keuschheitsgürtels und schließlich der Renaissance führte, und welchen physikalischen Gesetzmäßigkeiten die menschliche Dummheit folgt.

Die Salto-Reihe des Wagenbach-Verlags - ansonsten bekannt für schön aufgemachte Literatur- und Geschichtsbände - wagt sich mit der vorliegenden Veröffentlichung an das etwas andere Genre nicht ganz ernstgenommener Geschichtswissenschaft. Damit ist ein Büchlein, das in Italien schon vor 13 Jahren für einen Überraschungserfolg sorgte, nun endlich auch im deutschsprachigen Raum zugänglich. Carlo Cipolla gewinnt einem angestaubten Forschungsgebiet neue Seiten ab.

Der Autor glaubt zu wissen, was die Welt in ihrem Innersten zusammenhält: Pfeffer, so meint er, ist das, was Hegel einmal so pathetisch als den "Weltgeist" bezeichnete, und Pfeffermangel der Motor, der die mittelalterliche Zivilisation am Laufen hielt. Eine ähnliche Rolle kommt vielleicht nur noch dem Wein zu. Pfeffer war also die anziehende, Wein die treibende Kraft hinter allen großen Bewegungen und Kriegen, von der Völkerwanderung bis zum hundertjährigen Ringen zwischen England und Frankreich.

Der Grund dafür scheint einleuchtend. Pfeffer ist ein starkes Aphrodisiakum, das dem lendenlahmen Frühmittelalter fehlte, weshalb man sich in Kreuzzügen das Fehlende zu beschaffen versuchte. Mit Erfolg - was die wieder zeugungsfähigen Männer vor folgendes Problem stellte: Wie sollten sie die Libido ihrer durch Pfefferkonsum brünftigen Gemahlinnen im Zaum halten, während sie im Heiligen Land weilten? Der Keuschheitsgürtel schaffte hier Abhilfe, allerdings nur vorübergehend. Die zu Hause gebliebenen Männer zeigten jähes Interesse an der Metallverarbeitung, was zwar die Industrie vorantrieb, zugleich aber auch die Zahl außerehelicher Affären in die Höhe schnellen ließ.

Eine beeindruckende Menge an Argumenten und Episoden wird aufgefahren, um eine wasserdichte Beweisführung zu erzielen. Und historische Persönlichkeiten dienen als Unterfutter - von Heinrich von Portugal, "der den Beinamen der Seefahrer erhielt, weil er andere auf die Meere schickte", über Eleonora von Frankreich, von der überliefert ist, daß sie Pfefferkuchen wie Schokolade verschlang und ihren Gatten Ludwig VII. damit schließlich erotisch überforderte, bis hin zu König Edward, der bankrottierte, weshalb sich die schockierten Florentiner in die Renaissance flüchteten. Darüber hinaus erfährt der Leser, welches die grundlegenden Prinzipien menschlicher Dummheit sind und was die aus dem wirtschaftlichen Bereich kommende Kosten-Nutzen-Rechnung damit zu schaffen hat.

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Über den Autor:
Carlo M. Cipolla wurde 1922 in Pavia geboren. Der Professor an der kalifornischen Universität Berkeley zählte zu den führenden Wirtschaftshistorikern. Seine erste belletristische Publikation "Allegro ma non troppo" wurde 1988 in Italien auf Anhieb zu einem Bestseller. Anfang 2000 starb der Autor in Pavia.