Österreichischer Lauschangriff

Eine Busreise mit dem 57A in Wien, eine U-Bahn-Station in New York und ein Markt in Taiwan - all das findet sich auf der neuen CD "Relisten" des jungen österreichischen Komponisten Bernhard Gal.

Die neue CD von Bernhard Gal ist eine streng reduzierte Bestandsaufnahme der Atmosphäre verschiedener Städte und des persönlichen Erlebens des jungen Komponisten an ebendiesen Orten. Dabei verschmelzen die originalen "Field Recordings" mit elektronischen Manipulationen und Stimmen und schicken den Hörer somit auf eine Reise, in der sich Alltag und Phantasie unmerklich vermischen.

"Relisten" ist der Titel der neuen CD von Bernhard Gal - und der Name ist Programm: Gal begann in den Jahren 1998-99 an ausgewählten Orten, zu denen er eine besondere Beziehung hatte, seine "Field Recordings" aufzunehmen, um ihre spezifische Atmosphäre einzufangen und später reproduzieren zu können. Dabei mußte er allerdings feststellen, daß der Soundtrack zu diesen Locations auf seinen Aufnahmen oft anders klang als in seiner persönlichen Erinnerung. Das erneute Hören eröffnete dem jungen Komponisten ein neues Klangerlebnis, und genau das wird mit dem Titel "Relisten" beschrieben.

Bernhard Gal wurde 1971 in Wien geboren und studierte an der Universität Musikwissenschaften. Seit kurzer Zeit beschäftigt er sich intensiv mit den Möglichkeiten der Klanginstallation - jüngstes Beispiel ist seine Vertonung einiger Gedichte des schizophrenen Schweizer Künstlers Adolf Wölfli im Rahmen des heurigen Wien-Modern-Festivals. "Relisten" ist seine dritte CD-Veröffentlichung und erscheint in den Vereinigten Staaten, wo Gal auch nach seinem Studium ein Jahr lang gelebt hat.

Er selbst beschreibt die Stücke des neuen Werks als seine persönliche Entdeckung der Musik in der Natur und dem alltäglichen Leben sowie den von Menschen geschaffenen Umwelten. Er kehre regelmäßig an gewisse Orte zurück, nur um ihrem Klang zu lauschen und ihn später aufzunehmen, erklärt Gal im Booklet der neuen CD.

So findet sich auf "Relisten" beispielsweise ein Stück mit dem Namen "Bee Bee", das als "Meditation auf den städtischen Verkehr, basierend auf dem Summen der Brooklyn Bridge" untertitelt ist. Das Resultat ist eine erstaunlich vielschichtige Komposition, dominiert vom Rauschen der Autos, aus dem allerdings immer wieder einzelne Klänge unerwartet und deutlich hervortreten.

Auf "57A" begibt sich der Hörer auf eine Rundreise durch Wien - mit Hilfe der öffentlichen Verkehrsmittel. Die Geräusche der U-Bahnen und Busse erinnern dabei exakt an eine wunderbare Sequenz aus Tarkowskijs Film "Stalker", in der zwei Männer eine Draisine kapern und auf dieser in eine gesperrte Zone der russischen Wildnis eindringen. Dabei verändert sich der ursprüngliche Klang der Räder auf den Schienen immer mehr in einen fast hypnotischen Rhythmus. Bei Gals Komposition kommen noch das Öffnen und Schließen von U-Bahn-Türen, die Gespräche der Fahrgäste und sogar die automatische Stationsansage der Züge dazu - langsam werden sie alle im Verlauf der Nummer elektronisch verändert und dabei abstrahiert, und die Fahrt wird immer mehr zu einem Trip durch eine Wiener Parallelwelt.

"Tong-Hua Yie-Shi" ist ein Spaziergang über einen taiwanesischen Markt, bei dem Ausschnitte von aktuellen Pophits ein- und ausfaden; ein anderer Track basiert auf den Sounds von Spielautomaten und einem Casino in Las Vegas. Das schönste Stück ist die Schlußnummer "68th Street", aufgenommen in besagter U-Bahn-Station in New York. Während der Stoßzeit wurden die verschiedenen Ursprungsklänge von Passanten (durch Entwerten von Fahrscheinen oder Schritte) sowie durch das Einfahren der Züge erzeugt und von Gal anschließend verfremdet und neu arrangiert. Das Resultat erinnert an Asmus Tietchens oder Robert Ashley, mit dem Bernhard Gal auch noch seine Vorliebe für den Einsatz von Sprache verbindet. Seine "Field Recordings" nehmen sich Zeit und entwickeln sich langsam - dies unterscheidet sie von wesensverwandten Kompositionen eines Andrew McKenzie, besser bekannt als The Hafler Trio.

Alles in allem ist "Relisten" ein Werk, das - ganz im Sinne des Komponisten - aufzeigt, wie melodisch und musikalisch unser Alltag klingt, wenn man es nur bemerkt. Damit wirft es wieder einmal die alte Frage nach der Definition und Abgrenzung von Musik gegenüber dem Geräusch auf - doch die muß und kann nur jeder für sich selbst beantworten.

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