1 Reitunfall + 1 totes Dienstmädchen

In den 20er-Jahren befindet sich Danzig in der Zeit des Aufbruchs in die Moderne. Doch auch Nationalismus flackert bereits auf. In diesem spannungsgeladenen Ambiente trifft aus Wien kommend Dr. Nina Norge ein und schon ist man mittendrin in Martina Bicks neuem Roman "Spur der Träume".

Die junge Ärztin hat sich nach dem Tod der Mutter entschlossen, Wien und den Kreis um Sigmund Freud zu verlassen, um in der Praxis ihres Onkels mitzuarbeiten. Bald ist sie zumindest bei den Danziger Frauen beliebt - die Männer lassen sich weiterhin lieber von einem männlichen Arzt behandeln. Zu allen anderen Vorurteilen kommt, daß Nina Norge zum Heiraten nicht geschaffen zu sein scheint - was in der besseren Gesellschaft damals als Faux-pas galt.

Bald wird Nina Norge in die depressiven Leiden von Almut Levendiek, einer schönen Kaufmannstochter aus wohlhabender Familie, eingeweiht. Seit dem Tod ihres Verlobten geht Almut Levendiek nicht aus dem Haus, ißt kaum und verschließt sich vor der Außenwelt. Die jüngere, weitaus weniger hübsche und ständig hungrige Schwester Charlotte scheint ihre einzige Vertraute zu sein. Jetzt hat sich Almut sogar das Leben zu nehmen versucht. Die Familie Levendiek setzt ihre Hoffnungen auf die junge Frau Doktor.

Nina Norge spricht mit Almut alleine und schlägt vor, den Ursachen für Almuts Leiden mit Traumdeutung auf die Spur zu kommen, um ihr helfen zu können. Almut stimmt zu, und Doktor Nina Norge scheint zunächst auch Erfolg zu haben. Brieflich bittet sie auch Professor Freud um Hilfe, den sie schmerzlich vermißt. Alles scheint sich um Almuts toten Verlobten Leo zu drehen, doch die genauen Zusammenhänge bleiben zunächst verborgen.

Das ändert sich, als Greta, das Dienstmädchen der Levendieks, tot aufgefunden wird. Hier übernimmt Kriminalkommissar und Kettenraucher Peter Jordan den Fall. Er wurde aus Berlin hergeschickt, um der etwas zurückgebliebenen Danziger Kriminal-Polizei mit modernen Mitteln auf die Sprünge helfen und eine Mordkommission nach Berliner Vorbild aufzubauen. Naturgemäß trifft das Vorhaben auf erheblichen Widerstand der kritisierten Danziger Beamten. Doch der Fortschritt ist bekanntlichermaßen unerbittlich.

Nun kümmern sich Nina Norge und Peter Jordan gemeinsam um die Familie Levendiek. Auch Leos Reitunfall, der nie eingehender untersucht wurde, wird neuaufgerollt. Und wie könnte es anders kommen, sind der Kommissar und die Ärztin aneinander interessiert - zum Leidwesen von Ninas polnischem Jugendfreund Jan. Leider werden sie durch den Gang der Ereignisse immer wieder an der Erfüllung dieser Interessen gehindert, obgleich diese letztlich zur Aufklärung führen.

Daß die Todesfälle überhaupt eine Aufklärung erfahren, ist in diesem mehr gesellschaftshistorischen denn kriminalistischen Roman fast Nebensache, doch gleichsam spannend. Die detailreiche Schilderung der alten Stadt Danzig, ihrer Einwohner und deren Sitten kommt dabei keineswegs zu kurz: die Kluft zwischen Armut und Reichtum, mitsamt den immer noch verbreiteten Machtallüren der gar nicht so feinen Herrschaften, sowie die dagegen kämpfenden sozialistischen und faschistischen Bewegungen. "Die Spur der Träume" ist anspruchsvoller als normale Krimis geschrieben und eine unterhaltsame Lektüre über eine Zeit und einen Ort, die bei uns schon fast in Vergessenheit geraten sind.

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Über die Autorin:
Martina Bick wurde 1956 in Bremen geboren, studierte Philosophie, Musikwissenschaft und Germanistik. Sie hat mehrere Kriminalromane sowie Kurzgeschichten veröffentlicht und als Herausgeberin an Anthologien mitgearbeitet. Sie lebt heute in Hamburg und ist Mitglied im "Syndikat" und bei den "Sisters in Crime".