Werkschau mit Stil

"A Family Affair" ist die erste Vienna-Scientists-Compilation, die sich nicht gleich im Titel als solche zu erkennen gibt. Welche Auswirkungen das auf ihre Qualität hat? Nur die besten: Wir hören Funk in all seiner zeitgeistigen Glorie und hundertprozentig kompatibel mit allen nur erdenklichen Aktivitäten auf dem Dancefloor, im Auto und im Schlafzimmer.

Es gehört zur Natur der Dinge, daß in den sogenannten progressiven, vom Mainstream abgewandten Szenen dieser Welt Erfolg stets mit Skepsis betrachtet wird. Schließlich kennt man genügend Beispiele von "reinen Seelen", die von den Sirenengesängen über Ruhm und Geld ins moralische Unglück gestürzt wurden. Das ist in Wien nicht anders als sonstwo, und daher wird natürlich auch der zunehmende Erfolg von Jürgen Drimals Vienna Scientists Recordings mit Argusaugen beobachtet. Doch selbst die schärfsten Kritiker tun sich schwer, dem Wiener Upstart-Label etwas in Sachen Ausverkauf anhängen zu können (siehe EVOLVER-Rezension "Vienna Scientists III").

Auch die neue Compilation "A Family Affair" ist weder eine appetithemmende Weihnachtsbaum-Lounge-Kollektion noch die lästige Drittverwertung verstaubter Label-Kataloge. Zwar wird man vom ideologisch korrekten Subkulturstammtisch wie immer weinerliches Wehklagen über das Ignorieren von Ecken und Kanten, das Vermeiden experimenteller Ansätze und die gefürchtete Massentauglichkeit zu hören bekommen, aber diese Leute finden ja bekanntlich alles schlecht, was einer Mehrheit des Publikums gefallen könnte. Was nur darauf hindeutet, daß sie wieder einmal nix verstanden haben... Die Kollaboration zwischen Jürgen Drimal und Raimund Flöck (Chef des Freiburger Jazzhauses) legt es nämlich nicht darauf an, irgendwelche Underground-Erwartungshaltungen in Sachen abstrakter Qualitätsansprüche zu erfüllen. Vielmehr ist "A Family Affair" eine großartige Collage der aktuellen Inkarnationen eines bewährten Musikstils: Funk à la 2001.

Zeit zum Eingewöhnen bleibt da kaum, denn das Bombardement der Gehörgänge beginnt gleich mit schwerer Artillerie. "Just Relax Yourself", eine Koproduktion von Freedom Satellite (siehe EVOLVER-Rezension von "Soul Samba Remixes") und Raimund Flöck, fährt mit seinen knüppeldicken Basslines, massiv funkigen Wah-wahs und dubbigen Grooves mit rücksichtsloser Geschwindigkeit ins Hirn und in die Gelenke - ein Track der Superlative und heißer Anwärter auf einen Stammplatz im gepflegten DJ-Plattenkoffer. Nicht weniger funky, nur von anderer Ästhetik sind die wunderschönen, jazzigen LoFi-Rhythmen von Mo´ Horizons "Walk Into Space Pt. I & II" und die smoothen, Dub-infizierten Grooves von "Inside" der Funky Lowlives. Härtere, schnellere Töne schlagen The Menheads mit "2000 Black" an: herb, deep und trotzdem geschmeidig und cool wie ein Seventies-Harlem-Pimp. Downbeat-Avantgarde und Ambient-Breakbeats sind mögliche Etiketten für "Funk On Pot" von Vinyl-Artist Darcosan und Überdrüber-Drummer Alex Deutsch alias aleXdrum, der bereits mit Legenden wie Freddie Hubbard, Erykah Baduh oder Woddy Shaw zusammengearbeitet hat und jetzt auch den donnerstäglichen Club "Gelee Royal" im Wiener Porgy & Bess leitet.

Das Duo Drimal/Flöck versammelte auf seiner Compilation einige der besten Resultate aus mehr als zwei Jahrzehnten Evolution des Rare-Groove-Genres. Daher kann man "A Family Affair" guten Gewissens allen Trendsettern, Opinion-Leadern, bongrauchenden Beatheadz und anderen Freigeistern empfehlen.

Alle 8 Kommentare ansehen

treffender Seitenhieb
(Roman, 06.12.2001 14:01)

go on vierecordings
(manisan, 11.12.2001 00:00)

Zeitgeist
(kevin, 11.12.2001 14:01)

Re: Zeitgeist
(oh, 11.12.2001 20:08)

Re: Re: Zeitgeist
(kevin, 12.12.2001 14:24)



Oben: Jürgen Drimal (re.) und Raimund Flöck (li.) in symbolischer Propagandapose - zwischen den etablierten Säulen. Unten: Joint verloren, Herr Drimal? Ganz unten: J. Drimal (li.) und R. Flöck (re.) nach vollendeter Arbeit: bleich wie zwei Gespenster, aber glücklich und entspannt.