Militanter Naturschutz

Doktor Salzer, studierter Botaniker, hat genug vom tristen Alltag als arbeitender Wissenschaftler. Er sieht sich als Aussteiger und inszeniert seinen eigenen Tod, um als Einsiedler im Wienerwald zurück zur Natur zu finden. Daß dies gar nicht so einfach ist, bemerkt er schon nach wenigen Tagen, als er fast vor Hunger stirbt und von einer militanten Umweltschützergruppierung gerettet wird.

Salzer schließt sich der Guerilla-Truppe "Die Unsterblichen" an, die als verdeckte Kampfeinheit im Wienerwald drei Hauptziele als Grundlage ihrer Aktionen beschreibt: man will die Staaten verbieten, Städte wieder bewalden und Besitz und Geld abschaffen. Wie das genau passieren soll, scheint keiner zu wissen, denn die einzelnen Einheiten sind untereinander zerstritten und verschiedenartigen Philosophien verpflichtet.

Eine Arbeitsmöglichkeit aller Truppen sind allerdings die sogenannten "Störaktionen", bei denen beispielsweise Autobahnen mit Geröll versperrt werden oder die Zäune des Lainzer Tiergartens versetzt werden, um dem Wild ein klein wenig mehr Lebensraum zu bieten. Salzer bekommt den neuen Kämpfernamen "Doktor Paranoiski" und arbeitet sich in der internen Hierarchie der Vereinigung kontinuierlich hoch, bis er schließlich die Kommandoebene erreicht. Sein letzter Akt ist der Auftritt in einer Fernseh-Nachrichtensendung, in der er sich als Vizekanzler ausgibt und live vor Publikum die Auflösung des österreichischen Rechtsstaates ausruft.

Was Moldens Roman ganz besonders auszeichnet, ist seine unheimlich präzise Darstellung der "österreichischen Seele". Die Charaktere in seinen Büchern sind allesamt so plastisch und wirklichkeitsnah beschrieben, daß man manchmal denkt, es komme jemand aus dem persönlichen Bekanntenkreis darin vor. Die Sprache ist stark österreichisch eingefärbt, und es wird mit regionalen Ausdrücken nicht gespart. Ebenso werden lokale Legenden und Mythen ganz bewußt mit der Wirklichkeit verwoben, sodaß wie bereits in seinen beiden letzten ausgezeichneten Romanen "Biedermeier" und "Austreiben" eine verzerrte Sicht der Realität entsteht. Damit siedelt sich der junge Autor irgendwo im Grenzbereich zwischen Phantastik und Realismus an, verweigert aber gleichzeitig jede exakte Klassifikation.

Auffallend ist bei Molden auch seine offensichtliche Verbundenheit mit der Geographie seiner Heimat - in all seinen Werken tauchen Straßennamen auf, die man selber kennt, es werden Wirtshäuser besucht, in denen der eine oder andere Leser vielleicht schon einmal zu Mittag gespeist hat, und in seinem neuen Buch wird die Wanderung seines aussteigenden Protagonisten durch den nördlichen und südlichen Wienerwald so akribisch genau beschrieben, daß man der Route fast parallel auf einer Wanderkarte folgen könnte. All das zusammen erzeugt im Leser ein Gefühl von hoher Authentizität, das sich auch noch dadurch steigert, daß der Vizekanzler in "Doktor Paranoiski" gewisse Ähnlichkeiten mit einem zeitgenössischen Regierungsmitglied aufweist

Molden zeichnet ein sehr ambivalentes Bild seiner Naturschützer-Truppe. Abgesehen davon, daß keiner weiß, wieviele Mitglieder sie eigentlich zählt, so darf auch niemand fragen, wie die Ziele ihres Handelns eigentlich zu erreichen wären. Wichtig ist ihnen eine ausgeklügelte Taktik, und das Bewußtsein, alternativ und radikal zu agieren. Daß sie dabei des öfteren ihren eigenen Idealen zuwiderhandeln, stört offensichtlich keinen, und auch die Realisierbarkeit ihrer Absichten ist niemals Thema. Dafür gibt es starre interne Hierarchien und Befehle, die widerspruchsfrei auszuführen sind. Parallelen zum Bundesheer drängen sich förmlich auf.

Bis zum Schluß des Buches ist sich der Leser nicht im klaren darüber, ob diese Truppe nun eine sympathische, wenn auch grün-militant angehauchte Gemeinschaft ist oder ein herumlaufender Haufen armer Irrer. Die letztendliche Entscheidung überläßt der Autor dann auch dem Leser selbst, denn er bietet keinerlei Erklärung für ihre Existenz und verweigert jegliche emotionale Stellungnahme. Ernst Molden ist zu intelligent, um mit "Doktor Paranoiski" ein simples Manifest für Globalisierungsgegner zu verfassen, und zu vielschichtig, um seinen Roman als Allegorie über tatsächliche politische Zustände im Land zu sehen. Er geht sogar so weit, den Text als eine Abschrift von drei Audiokassetten zu präsentieren, die vom Protagonisten einschließlich Begleitbrief an dern Herausgeber gesendet wurden. Somit kann der ganze Text noch zusätzlich als Phantasie eines kranken Aussteigers gelesen werden, der sich in eine Traumwelt zurückgezogen hat. Er schreibt: "Halten Sie sich auch vor Augen, daß, sollten die aus diesen Bändern entstandenen Papiere veröffentlicht werden, sie doch niemals zur Klarheit beitragen werden, denn alles, was Natur ist, strebt in die Verwirrung."

In diesem Sinne, viel Spaß beim Analysieren.

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Über den Autor:
Ernst Molden wurde 1967 in Wien geboren und lebt dort als Romancier, Songwriter und Musiker. Er erhielt mehrere Auszeichnungen, darunter den Österreichischen Förderungspreis für Literatur, und schreibt außer Belletristik auch Publikationen für diverse inländische Zeitschriften.