Georgische Melancholie

Osteuropa reizt nicht nur mit Zwiebeltürmchen, Babuschkas und Samowaren, auch auf dem Gebiet des modernen Elektropop gehts hinter dem einst eisernen Vorhang heiß her.

Berlin ist als neuralgischer Punkt elektronischer Musik längst bekannt. Dort tummeln sich neben namhaften Lables (z. B. WMF, Morr) und bestsortierten Plattenläden (z. B. Hotwax) auch noch tolle Clubs (z. B. Ocean Club). Weniger bekannt ist die Achse nach Georgien, wo offenbar ein ganzes Netzwerk findiger Frickler nur darauf wartet, entdeckt zu werden. Im Falle von Nikakoi ist eine Entdeckung erst gar nicht nötig, gewann er doch 1999 das EMF in Paris, ist also ein alter Hase der Ostelektronica.

Nikakoi (Nika Machaidze) wurde 1972 in Tiflis geboren und machte sich als Produzent elektronischer Musik, Film- und Videoregisseur und Schriftsteller einen Namen. Wenn Nikakoi (Russisch für "Niemand") gerade nicht an neuen Filmen arbeitet, komponiert er Tracks oder unternimmt ausgedehnte Wanderungen. Vielleicht findet er dabei die nötige Ruhe, die seinen Kompostitionen jene melancholische Strimmung gibt, die "Elektronikern" so vertraut ist.

Nikakois vorliegendes erstes Komplett-Album für das Berliner WMF-Label besticht sofort durch seine ungeheure Vielfalt an klanglichen Impressionen (14 Tracks). Feinste "sloppy beats" und smartes Sequenzing, gekoppelt mit typisch britischem Glitchsounds - davon ist hier tatsächlich die Rede, und dazu gibt es noch gelegentliches Singen. Auf "PP" und "City Lights" ist Tusia von Goslab zu hören, eine feenhafte Stimme aus den kauaksischen Bergen. Fallweise greift Nikakoi selbst zum Mikrofon und frönt dem sanften Sprechgesang. Dazwischen liegen knisternde Stücke wie "Dzzenn" oder "Adamy"; fast könnte man glauben, die britischen "Plaid" wären ins georgische Heimstudio auf einen Kaffee vorbeigekommen und hätten beim Mixdown ein bißchen Hand angelegt, wohlwollend wie unter Freunden, sozusagen. Tracks wie "Maia" erinnnern an Alben der unvergessenen "ISAN" - es bedarf ja nicht viel, um Kinderherzen höher schlagen zu lassen: hier das Aphexsche Schlumpfklavier, dort das xylophone Trippeln der Zwerge aus dem Kaukasus. Dazu noch eine Handvoll fleißige Beserl und Highhats aus dem Samplepool, und so reiht sich Überraschung an Überraschung. Noch ein Pluspunkt: Hie und da schummeln sich asiatische Harmonieabfolgen unter das bunte Treiben und sorgen für wohltuendes Lokalkolorit.

Nikakoi zeigt uns mit Sestrichka (Schwesterchen), daß intelligenter Eletropop noch lange nicht tot ist. Interessant, daß ausgerechnet ein georgischer Filmemacher uns das auf so drastische Art und Weise näherbringt. Bestimmt ist Nikakoi einer von vielen in der ehemaligen UdSSR, die ihr Equipment beispielhaft beherrschen und auch nach westlichen Gesichtspunkten erstaunliche Alben produzieren. Bis jetzt ist aber recht wenig zu uns durchgedrungen, allein "Novel 23: Melodies of childhood for advanced imagination" (Pitchcadet Records 2000) sorgte zum ersten Mal dafür, daß ein Raunen durch die sonst so anglophilen Fan-Reihen dieser Musikrichtung ging.

Das Berliner Label WMF rund um Gudrun Gut und Thomas Fehlmann dringt in unbekannte Gefilde vor. Und das ist gut so. Musik kennt sowieso keine Grenzen - und wenn, dann nur jene der Qualität. Bei Musikern wie Nikakoi braucht man sich keine Sorgen zu machen: Die saturierte Klientel der zentraleuropäischen Clubber wird ihn schnell ins Herz schließen. Besondere Empfehlung!

WMF Records presents NIKAKOI (Georgien) on Tour:
08.03.2002 Electroosho Goettingen
09.03.2002 A.R.M. Kassel
16.03.2002 Ultraschall München
23.03.2002 LoLiTa Barcelona/E
05.04.2002 EXIT FESTIVAL CRETEIL / PARIS/ F
06.04.2002 Tanzhalle Hamburg
08.04.2002 Golden Pudel Club Hamburg

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Nikakoi in Leipzig
(Rappo, 12.09.2005 23:16)