Atomkraftwerke und Schamanen

Eine junge Frau namens Diane Thiberge adoptiert ein Waisenkind aus Vietnam. Zurück in Paris, gerät sie mit ihrem Auto in einen schweren Verkehrsunfall, bei dem ihr Adoptivsohn lebensgefährlich verletzt wird. Die Ärzte geben den Kampf gegen den Tod des Kleinen nach zwei Wochen auf, doch plötzlich erscheint ein deutscher Alternativmediziner auf der Bildfläche und behauptet, das Kind mittels Akupunktur retten zu können.

Das Kind gesundet tatsächlich, der erfolgreiche Arzt wird am nächsten Morgen bestialisch ermordet aufgefunden. Als ein Kommissar die Umstände des Verbrechens aufzuklären beginnt, überstürzen sich die Ereignisse: Diane entdeckt, daß ihr "Unfall" in Wirklichkeit ein ausgeklügelt inszenierter Mordversuch war, denn ihr Sohn stammt ursprünglich nicht aus Vietnam, sondern von dem als ausgestorben geltenden Stamm der Tsewenen in der Mongolei ab. Er sei darüberhinaus noch ein sogenannter Wächter, ein Mensch mit übernatürlichen Fähigkeiten, der später zu einem Schamanen ausgebildet werden soll. Und aus unerklärlichen Gründen trachtet ihm deswegen jemand nach dem Leben.

Die Polizei findet heraus, daß der getötete Mediziner ein Flugticket in die Heimat des Buben in der Tasche hatte, und recherchiert, daß an jenem Ort ein Tokamak (ein Atomkraftwerk für Kernfusion) existiert, in welchem es auch eine Abteilung für Alternativ- und Parapsychologie gegeben haben soll. In welchen Zusammenhang dies mit den Mordversuchen steht, ist anfangs unklar.

Im Laufe der nächsten Tage werden mehrere Menschen, die einen Bezug zu der Heimat des kleinen Buben haben, auf die gleiche Weise wie der deutsche Arzt ermordet, nämlich eine Mutter, die ebenfalls ein Kind aus dem gleichen Waisenhaus adoptiert hatte, ein Ethnologe, der sich mit dem Stamm der Tsewenen beschäftigte, und schließlich auch der ermittelnde Kommissar, nachdem er offensichtlich zu viele Zusammenhänge verstanden hat.

Diane beschließt, selbst in die Mongolische Republik zu reisen, um den Fall aufzuklären und so das Leben ihres Sohnes zu schützen. Auf dem Weg dahin trifft sie in Moskau einen Experten für Atomphysik, der ihr das Wesen der Tokamaks erklärt und auch berichtet, daß jenes Kraftwerk in der Mongolei im Jahr 1972 geschlossen wurde, nachdem es einen gröberen Störfall mit radioaktiver Verseuchung gegeben habe. Er erzählt auch von den parapsychologischen Experimenten, die unter strengster Geheimhaltung durchgeführt worden seien und der Legende nach sensationelle Ergebnisse gebracht haben sollen, ohne aber je ans Licht der Öffentlichkeit gekommen zu sein.

Am Ziel ihrer Reise angelangt, versteht die junge Frau dann die Zusammenhänge zwischen dem Atomkraftwerk und den psychologischen Tests und erkennt, daß die Wahrheit noch viel komplizierter ist, als sie es sich je erträumt hätte. Sie lernt ihre eigene Rolle in der ganzen Geschichte und wohnt einem unglaublichen Showdown bei, der weit über die Grenzen des physikalisch Erklärbaren hinausgeht.

Jean-Christophe Grangé arbeitet als freier Journalist für diverse große Zeitschriften und reiste für seine Reportagen zu den Eskimos, den Pygmäen, den Tuareg und auch zu Schamanenstämmen in die Mongolische Republik. Aus diesem Grund sind seine Thriller immer ausgezeichnet recherchiert und brillieren durch interessante Details, die die Geschichten überaus glaubwürdig und lebendig machen. Sowohl die technischen Aspekte der Tokamak-Kraftwerke, als auch die Mechanismen der Psychologie und die Beschreibungen der Reise und der Geographie der Länder sind detailgetreu wiedergegeben.

Die Story selbst ist spannend aufgebaut und entwickelt sich im Laufe des Buches zu einem dichten und komplizierten Netz an Verschwörungstheorien und abenteuerlichen Hypothesen. Trotzdem verliert Grangé nie den Faden und löst all die Verstrickungen nach und nach auf glaubwürdige Weise auf. Das übernatürliche Element am Ende des Buches mag vielleicht nicht jedermanns Geschmack sein, doch ist es in sich schlüssig und immerhin so etwas wie ein Markenzeichen des Autors.

"Der steinerne Kreis" ist somit ein ausgezeichneter Thriller, der Fakten und Fiktion gekonnt vermischt und archaisches Wissen moderner Technologie gegenüberstellt. Die Bauweise der Tokamak-Kraftwerke erinnert an die Steinkreise, wie sie die Kelten in ganz Europa hinterlassen haben und symbolisiert somit genau jene Brücke zwischen den beiden Welten, die in dieser Story miteinander verknüpft werden.

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Über den Autor:
Jean-Christophe Grangé wurde 1961 in Paris geboren. Er arbeitet als freier Journalist unter anderem für den Spiegel, den Stern, die Sunday Times und den Observer. Sein letzter Roman "Die purpurnen Flüsse" verkaufte sich 450 000 mal und katapultierte den jungen Autor damit in die oberste Liga der Thrillerautoren.