Man tut, was man kann

Sabine Derflingers erster Spielfilm "Vollgas" will eine ziellose Seele bei ihrem Kampf gegen die Überforderung durch das Leben beobachten, erweckt aber statt Verständnis eher Voraussehbarkeit.

Man muß Sabine Derflinger, bevor man Kritik an ihrer Arbeit übt, zu allererst Respekt aussprechen - sie hat den klassischen Karriereweg der österreichischen Filmemacherei eingeschlagen und ist gut dabei. Nach abgeschlossener Filmakademie, zwei Kurzfilmen ("Es war einmal" 1991, "Aus Liebe" 1998) und drei Dokumentarfilmen ("The Rounder Girls" 1999, "Achtung Staatsgrenze" 1995-1996, "Geraubte Kindheit" 1994) hat sie nun ihren ersten Kinofilm gedreht, im Vorfeld bedacht mit dem Förderpreis der Jury des Saarbrückener Max-Ophüls-Festivals 2002, dem Thomas Pluch Förderungspreis 2001 und dem Carl Mayer Drehbuchförderungspreis 1998 sowie bezahlt wie üblich mit dem Geld öffentlicher Förderstellen und des ORF. Eine österreichische Film-Bilderbuchkarriere, möchte man sagen. Ganz nach oben ist natürlich zu stellen, daß ihre Arbeit - öffentlich zu sehen waren bisher nur ihre Dokus - stets mindestens grundsolide war. Das kann man von vielen etablierteren, mit entscheidend mehr Steuergeld geförderten heimischen Film-Künstlern keineswegs behaupten.

Spielfilme sind aber unvergleichlich komplizierter als Dokumentationen - vor allem Dramen und Sozialstudien, bei denen etwaige Unzulänglichkeiten nicht mit Materialschlachten auf Hollywood-Budgetniveau zugekleistert werden können. Da geht es dann um tiefgehendes soziales Verständnis und Welteinsicht, gepaart mit Erfinungsgeist und Talent zum Geschichtenerzählen - also um genau das, was z. B. Kenneth Lonergan mit "You Can Count On Me" so fantastisch gelungen ist. Und es reicht hier leider nicht, Tatsachen mit aller Kunstfertigkeit abzulichten und wortgewandt zu beschreiben.

Die dokumentarischen Wurzeln sieht man dem Schicksal einer Saisonkellnerin in einem angesagten Schiort an, auch die handwerkliche Routine ist spürbar. Aber leider weiß man schnell, was es geschlagen hat: Die Geschichte spielt in einem beispiellosen Horrorszenario. Wer die im Film dargestellte typische Schifoan-Spaßgesellschaft liebt, braucht sich den Film entweder nicht ansehen, weil er/sie ihn nicht verstehen wird, oder er/sie kann vielleicht noch was daraus lernen. Alle anderen wissen sofort, daß sie mit Leuten wie Evi nie zusammenkommen würden, weil sie um deren Umfeld stets einen gigantischen Bogen zu machen wissen. Daraus ergibt sich leider auch, daß die gute Evi (Henriette Heinze) eben nicht interessant genug ist, um einen abendfüllenden Streifen über sich zu rechtfertigen. Sie hat keine erklärten Ziele im Leben, deshalb macht sie den bestens bezahlten Hilfsjob, um zumindest keine Geldsorgen zu haben und ihre sechsjährige Tochter ernähren zu können. In der geringen Freizeit muß auch nicht gespart werden, da kann man ordentlich auf den Putz hauen und sich den Spaß hineinschütten, weil ohne gehts ja nicht im permanent penetrant kreuzfidelen Schigebiet. Daß die Tochter dabei zu kurz kommt, ist klar. Und daß die "immer am Limit mit Vollgas" dahinbrausende Evi sich lieber mit One-Night-Stands das nötige Minimum an Emotionalität vorgaukelt, als echte Perspektiven zu suchen, trägt auch nicht gerade zum Glücklichsein bei, wie man weiß. Die Figur der Evi würde genügend Möglichkeiten für eine vielschichtige und umfassende Darstellung bieten; ihre Situation und ihr "seelischer Überlebenskampf" hätten verständlich und symphatisch (weil symptomatisch wiedererkennbar) sein können. Aber ihre liebenswerten Seiten kommen zu kurz. Am Ende kann man aus den im Film gebotenen Informationen über Evi nur schließen, daß sie eigentlich ein Trampel ist. Und das Vorhersehbare daran: so etwas geht auf Dauer nicht gut.

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