Verloren im Wunderland

Roboterkind Haley Joel Osment begibt sich, beflügelt durch eine alte Menschenfabel, auf eine phantastische Reise ans Ende der Welt. Steven Spielberg realisierte das Vermächtnis des großen Stanley Kubrick.

In einer Welt, in der künstliche, menschenähnliche Lebensformen, sogenannte "Mechas", den Blauen Planeten zu Millionen bevölkern, hat die Menschheit zwar einen bemerkenswerten technischen und wissenschaftlichen Level erreicht, die fundamentalen gesellschaftlichen Verhaltensmuster scheinen die Jahrzehnte jedoch unentwickelt überdauert zu haben. Einst als nützliche Arbeitskraft von Menschenhand erschaffen, ist das Robotervolk im Laufe der Zeit zum hilflosen Katalysator von Haß, Intoleranz und Willkür geworden. Dennoch versucht Professor Hobby (William Hurt), einer der wenigen Idealisten und führender Wissenschaftler der Androidenschmiede Cybertronics, auch die letzte Barriere im Evolutionsprozeß der Maschinenmenschen zu überwinden: Seine neueste Schöpfung soll nicht nur die menschliche Gefühlswelt simulieren können, sondern in der Lage sein, wirklich zu fühlen.

Die von tiefer Trauer gezeichneten Eheleute Monica (Frances O´Connor) und Henry Swinton (Sam Robards) wachen indes über ihren komatösen Sohn Martin (Jake Thomas). Die Ärzte sind ratlos und beschwören Monica, die sich vor der niederschmetternden Wahrheit verschließt, ihr todgeweihtes Kind loszulassen. Henry erkennt, daß ihm seine Frau langsam entgleitet, und beschließt zu handeln. Der verzweifelte Gatte setzt sich mit Cybertronics in Verbindung, um einen adäquaten Ersatz für Martin zu organisieren. Das Resultat seiner Bemühungen ist David (Haley Joel Osment), das erste Mecha-Kind und zugleich Prototyp einer neuen Generation von künstlicher Intelligenz. Nachdem Monica den neuartigen Gefühls-Chip Davids aktiviert hat, ist dessen Schicksal besiegelt: Das gestartete Programm erzeugt eine unauslöschliche Bindung des kleinen Mecha-Jungen an seine menschliche Mutter. Doch als der verloren geglaubte Martin unverhofft zurückkehrt, kompliziert dies die Situation der Eltern - und Davids. Als sich Monica zwischen ihrem leiblichen Sohn und dem elektronischen Ersatz entscheiden muß, fällt ihre Wahl klarerweise auf Martin. David wird an einer Waldlichtung ausgesetzt. Alleingelassen von seinen Adoptiveltern tritt das erste und einzige Mecha-Kind - durch seine Programmierung darauf fixiert, die Zuneigung Monicas um jeden Preis wiederzuerlangen - eine gefahrenreiche Reise an.

In "A.I." steckt ein Vierteljahrhundert Entwicklungsarbeit. Einst von dem unvergessenen Stanley Kubrick aufgegriffen, gelangte die Geschichte um den emotionsbeladenen Mecha-Jungen schließlich in die Hände von Blockbuster-König Steven Spielberg. Wer sich nun auf das Resultat dieser aufsehenerregenden Quasi-Kollaboration der beiden Giganten einläßt, muß bereit sein, Kompromisse einzugehen – und sollte vor allem ein unschuldiges Spielberg-Märchen und keinen pessimistischen "Post-Kubrick" erwarten. Der Film beginnt stark, dirigiert von Anfang an gekonnt die Emotionen des Betrachters - der große Manipulator spielt hier souverän seine Stärken aus. Im Mikrokosmos der amerikanischen Mittelstandfamilie fühlt sich Spielberg nach wie vor am wohlsten. Und so finden die großen Momente von "A.I." am familiären Essenstisch statt: Die tragisch-komische Gewöhnungsphase an den künstlichen Ersatzsohn wird von Spielberg gewohnt spielerisch in Szene gesetzt. Doch das aberwitzige Ambiente des Swinton-Haushalts weicht bald einer entschieden dunkleren Atmosphäre. Die verzweifelte Suche des verstoßenen Androidenkindes entwickelt sich zu einer schicksalhaften Odyssee - Davids Fähigkeit zu lieben kommt einem Fluch gleich. Osment meistert die schwierige Rolle mit Bravour - naiv, verletzlich und so voller Hoffnung, daß es schwerfällt, sich der ausdrucksstarken Performance des Jungen zu entziehen.

Steven Spielbergs Werk ist - den Effekt-Zauberern von ILM sei Dank - ein optischer Genuß. Selten zuvor wurde eine filmische Zukunftsvision derart glaubhaft aus dem (virtuellen) Boden gestampft.

"A.I." beschert dem Zuschauer allerdings eine qualitative Achterbahnfahrt mit einem unbefriedigenden Ende. Die überwältigende Präsentation und der großartige Haley Joel Osment kaschieren die Mängel des Scripts immer wieder, können den Film jedoch nicht davor bewahren, im Kitsch des absurden Schlußaktes zu ertrinken. Nach einer starken ersten Hälfte verfällt der Streifen in eine Art Auflösungsprozeß, verliert zusehends an erzählerischer Dichte und gerät schließlich völlig aus den Fugen. Spielberg begräbt hier sein Publikum unter einem zähflüssigen Brei aus melodramatischen Gefühlseruptionen. Was bleibt, ist ein in Teilen gelungener Film, dessen hochbegabter Hauptakteur den Zuschauer durch ein bemerkenswertes Stück Special-Effect-Kunst führt und ein Meisterregisseur, der den angestrebten Spagat zwischen kritischem Endzeitepos und pathetischem Gefühlskino nur teilweise bewältigt.

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