Fahrscheine, bitte!

Sie reisen nicht gern mit dem Flugzeug, weil sie Angst vor einem Absturz haben? Sie fahren nur selten mit dem Auto, weil ihnen ein Geisterfahrer begegnen könnte? Nun, nach der Lektüre des "Mord-Express" nehmen Sie garantiert auch nicht mehr den Zug!

Die Eisenbahn hat seit jeher ihre ganz eigene Faszination auf den Menschen ausgeübt: die Geschwindigkeit, das Abenteuer einer langen Zugfahrt oder einfach die Kraft der brüllenden Lokomotive, die da durch die Landschaft rast. Doch die Bahn und ihr Milieu üben nicht nur auf hoffnungslose Romantiker ihren Reiz aus, sondern auch auf zahlreiche zwielichtige Gestalten. Taschendiebe, Triebtäter, Serienmörder und anderes Gesocks - sie alle haben sich die Orte rund um die "Höllenkutsche" als Schauplätze für ihre Verbrechen ausgesucht. Das True-Crime-Ermittlerduo Peter Hiess und Christian Lunzer wollte es genauer wissen und machten sich ans Recherchieren. Mit ihrem Buch "Mord-Express" gewähren die beiden dem Leser nun Einblick in die düsteren Kapitel des einst so romantischen Fortbewegungsmittels.

Aufgeteilt in drei Großkapitel, nimmt "Mord-Express" zuerst den Tatort Zug genauer unter die Lupe und erzählt unter anderem die Geschichte von Donato Bilancia, dem Monster der Riviera, einem bahnfahrenden Serienkiller, der sich lange Zugfahrten am liebsten mit der brutalen Ermordung von Frauen versüßte. Nach weiteren zehn Stationen, in denen der Leser vom Mörder mit dem Engelsgesicht erfährt oder Bekanntschaft mit dem Amokschützen Thomas Rücker macht, widmen sich die Autoren ganz dem Tatort Bahnhof. Kaum zu glauben, was sich in den dortigen Gepäckaufbewahrungshallen schon so alles in verdächtigen Koffern gefunden hat... Zu guter Letzt findet natürlich auch der Tatort Strecke ausführliche Erwähnung; als wohl beliebtester "Tatort" für terroristische Anschläge, Überfallkommandos oder legendäre Gentleman-Gauner wie den guten alten Ronnie Biggs. Da in einem Buch über die Geschichte der Eisenbahn auch der "Wilde Westen" nicht vergessen werden darf, kommen auch die Gebrüder James oder Butch Cassidy und der Sundance Kid zu zweifelhaften Ehren.

Peter Hiess und Christian Lunzer haben nach "Mordschwestern" und "Jahrhundertmorde" mit dem "Mord-Express" nun schon ihr drittes gemeinsames True-Crime-Werk abgeliefert und damit erneut bewiesen, wie spannend (Kriminal-)Geschichte sein kann. Was ihr Sachbuch neben seinem Informationsgehalt und der flüssigen "Schreibe" vor allem zu einem Lesevergnügen macht, ist die von den Autoren abgedeckte Bandbreite von Verbrechen. Hier werden nicht nur die größten und spektakulärsten Fälle wie die "Great Train Robbery" oder die mörderischen Eskapaden von "Angel Eyes" Resendez abgehandelt, sondern auch die kleineren Schmankerln, wie beispielsweise der Postraub im Pendlerzug 2053, Strecke St. Pölten-Wien, oder die Geschichte des schüchternen Erpressers, der die deutsche Bundesbahn lange Zeit in Aufregung versetzt hat. Dazwischen eingestreut finden sich immer wieder Exkurse zum Thema Spurensicherung oder der Geschichte des Bahnhofs - und auch den Hobos (= Eisenbahntramps) wird verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt.
Man muß absolut kein Crime-Buff sein, um den "Mord-Express" genüßlich lesen zu können. Wer jedoch beabsichtigt, das Buch als unterhaltsame Lektüre für eine lange Bahnfahrt mitzunehmen, wird sein blaues Wunder erleben. Denn einen Gärtner gibt´s im Zug nicht, nur viele, viele Passagiere und ... natürlich den Schaffner. In diesem Sinne wünschen wir noch eine gute Reise!

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(Pia F., 16.03.2006 01:28)



Über die Autoren:
Peter Hiess, geb. 1959, lebt als freier Kulturjournalist, Autor und Übersetzer in Wien. Zu seinen bisherigen Veröffentlichungen zählen: "Die Mordschwestern" (mit Christian Lunzer, 1992), "Richtig wandern im Wienerwald" (mit Helmuth Singer) und "Das Geheimnis der toten Tänzerin" (mit Günter Brödl, 1998). Außerdem ist er der gütige Chefredakteur des EVOLVER.
Christian Lunzer, geb. 1943 in Salzburg, lebt als Buchhändler und Verleger in Wien. Veröffentlichungen zur Photographie, u. a. "Wiens Bezirke in alten Photographien" (mit Helfried Seemann), "Das süße Mädel - Aktphotographie in Wien um 1900" (1996), und zur Sozialgeschichte, u. a. "Das Mädchenballett des Fürsten Kaunitz - Kriminalität im Biedermeier" (mit Susanne Feigl, 1989).