Stolz, Neid und Samenstau

Guiseppe Tornatore, neben Roberto Begnini derzeit meistbeachteter italienischer Regisseur, entwirft am Schicksal einer sizilianischen Dorfschönheit ein vielfältiges, zwiespältiges Bild der süditalienischen Männergesellschaft.

Das urige sizilianische Dorf Castelcutò liegt tief im Mussolini-Fieber; über den hunderten Plakaten und Schriftzügen brüllt die Stimme des Duce unabläßlich aus den öffentlichen Lautsprechern. Renato (Guiseppe Sulfaro), dessen Vater (Luciano Federico) den Duce noch nie leiden konnte, schert sich wenig um die politischen Vorgänge: Sein Probleme drehen sich eher darum, wann er endlich lange Hosen tragen, beim Friseur in einem großen Stuhl sitzen und mit den älteren Jungs herumziehen darf. Sein neues Fahrrad verschafft ihn zumindest in der Halbstarken-Clique, die ständig am Hafen rumhängt, den nötigen Respekt. Sogleich wird er in eines ihrer Geheimnisse eingeweiht: Jedesmal, wenn sich die schöne Maléna (Monica Bellucci) auf den Weg zu ihrem Vater begibt, nehmen die Jungen Haltung an und starren ihr solange nach, wie es nur irgendwie geht.

Maléna hat es nicht leicht im Dorf: Egal, wo sie auftaucht, geraten die Männer vollends aus dem Häuschen. Nicht, daß sie etwa herumflirten würde - zwar ist sie sich ihrer Schönheit wohl bewußt, hält aber stets ihr Haupt gesenkt und spricht mit niemandem. Und zum Glück ist sie verheiratet - das rettet sie vor den zudringlichen Männern und dem Haß der neidvollen Frauen.

Als die Kunde ins Dorf gelangt, daß ihr Mann im Krieg gefallen sei, geht dann allerdings die Jagd los. Jeder noch so lächerliche Knilch erdichtet sich ein Verhältnis mit Maléna, und bald ist sie vollends in Verruf geraten. Sogar ihr Vater bricht aufgrund eines anonymen Briefes den Kontakt zu ihr ab. Was Maléna aber wirklich treibt, weiß nur einer: Renato, der sie in jeder freien Minute heimlich beobachtet und sich nach ihr in dem klaren Bewußtsein verzehrt, niemals eine realistische Chance zu haben. Aber auch Renato kann nicht verhindern, daß sich bald das ganze Dorf gegen Maléna wendet und sie in ein unwürdiges, unverdientes, grausames Schicksal zwingt...

Guiseppe Tornatore erzählt aus der Perspektive des jungen, pubertierenden Renato die Geschichte einer stolzen Frau, deren Schönheit ihr nur Neid, Haß und Unglück einbringt. So tragisch der Verlauf der Geschichte auch ist, gelingt es ihr doch, immer wieder zu amüsieren und zu romantisieren. Die süditalienische Volksseele, verkappt und vom Katholizismus geknebelt, untergraben von Doppelmoral und Scheinheiligkeit, aber zuletzt doch mit ausreichend sympathischen Zügen gesegnet - all diese Ambivalenz bringt Tornatore in umwerfend kunstfertiger Weise auf den Punkt. Auch sein Bild des Pubertierenden in dieser Gesellschaft ist nahezu lückenlos; das ganze Wettwichsen und Pimmelabmessen paßt sich perfekt ein in das Klischee des ewig notgeilen Italieners, der am Ende doch nur ein großes Mundwerk hat. Und auch wenn sich Renatos cholerischer Vater verbietet, von seinen Nachkommen mit Du angesprochen zu werden, und ihm immer wieder die Hand ausrutscht, ist er doch ein Lichtblick an Sympathie. Süditalien, vor allem Sizilien, mag Anfang des letzten Jahrhunderts für heutige Frauen der blanke Horror gewesen sein. Aber Tornatore hat es selbst miterlebt - und man arrangiert sich eben nicht nur mit dem Leben, sondern findet auch seine positiven Seiten. "Maléna" ist jedenfalls ein detailverliebter, psychologisch dichter, emotional extrem vielfältiger Film, der sehr nahe an ein Meisterwerk heranreicht - auch wenn viele Kritiker das nicht ganz so gesehen haben. Unbedingt die Originalfassung mit Untertiteln ansehen!!

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