Willkommen im vurtuellen Raum!

Schon mal was von Fleischcore oder Digitaler Kastration gehört? Vielleicht auch keinen Schimmer, was das Wort Vurt bedeutet? Dann ist höchste Zeit, diese literarischen Wissenslücken schnellstens zu füllen und sich Jeff Noons LSD-getränkten Phantasien hinzugeben. Als Vorspeise servieren wir ein wenig "Pixelsalat"...

Was wäre wohl, wenn Franz Kafka heute noch am Leben wäre und sich statt mit Käfern und ähnlichem Ungeziefer mit Science Fiction auseinandersetzen würde? Gar nichts - denn er wäre bereits zu alt und würde wahrscheinlich als hundertsiebzehnjähriger, inkontinenter Greis mit Vaterkomplex ganze Pflegeheime in den Wahnsinn treiben.

Jeff Noon hingegen lebt im Hier und Jetzt und läßt als Kind des zwanzigsten Jahrhunderts das SF-Genre in eine ganz andere Richtung fließen. An der Zukunft, die er seinen Lesern präsentiert, hätten Timothy Leary und Konsorten ihre wahre Freude gehabt. Sein Erstlingsroman "Gelb" schlug vor ein paar Jahren wie eine psychedelische Bombe ein, da er uns den "Vurt" (eine Art virtuelle Drogenrealität) in all seiner Schönheit zeigte. Ganz ohne technischen Krimskrams, nur mit einer bunten Feder bewaffnet und vielleicht mit einer Portion Vaz eingecremt, konnte man in diese wunderbar poetische Parallelwelt eintauchen.

Es folgte "Pollen", ein Quasi-Sequel zu "Gelb", in dem Noon sein Publikum an all den vurtuellen Geheimnissen teilhaben ließ, die er bis dahin verschwiegen hatte; später kam "Alice im Automatenland", eine Art Neuinterpretation des Carrollschen Märchens. Nun ist es an der Zeit für den Noonschen "Pixelsalat" - eine Kurzgeschichtensammlung, in der man Gelegenheit hat, die verschiedenen Facetten des Autors auskosten zu können.

In dem in drei Teile gegliederten Buch begegnet man alten Bekannten wie Scribble, erfährt lebensnotwendige Dinge über Stigmatika 13, die ultimative Diebstahlsicherung, oder wird in das Geheimnis eingeweiht, wie Schriftsteller zu ihren Buchstaben kommen. Getränke, deren Geschmacksrichtung man mittels Verschlußkappe selbst bestimmen kann, sind in "Pixelsalat" ebenso anzutreffen wie minderjährige Zuhälter oder eine Zukunftsvision von "Windows", genannt "Mirrors". Sogar der Abschaltknopf für den menschlichen Körper ist hier zu finden.

Fernab jeglicher Cyber-Romantik faszinieren diese literarisch-futuristische Eskapaden den Leser und machen ihn süchtig nach den bunten Federn. Die Visionen des Autors sind einzigartig und schaffen es, aus dem langweiligen Manchester eine der schillerndsten Zukunftsmetropolen des Genres zu machen. Wer die Droge Jeff Noon einmal gekostet hat, dem kann Morpheus mitsamt seinen Pillen gestohlen bleiben. Wozu noch Halluzinogene einwerfen, wenn man "Pixelsalat" lesen kann?

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Über den Autor:
Jeff Noon, geistiger Vater der "Federn", lebt am Rande von Manchester, wo er sich unter anderem der Malerei, der Musik und dem Schreiben von Bühnenstücken widmet. Sein Erstlingsroman "Gelb" ist inzwischen in fünfzehn Sprachen erhältlich und gilt als das "Clockwork Orange" der neunziger Jahre. An der Verfilmung wird bereits gearbeitet.