Fortsetzung...

Das Gros setzt jedoch nach wie vor auf quietschende Turnschuhe, weiß, Nike, Puma und Adidas. Ja, festes Schuhwerk ist wichtig, denn Touristen arbeiten scheinbar im Transportwesen: Tausende voluminöser Rücksäcke halten Nahrungsnachschub für den greinenden Nachwuchs bereit. Selbst Paare oder Gruppen ohne Bälger tragen Rucksäcke mit Hektoliterkapazitäten spazieren. Handelt es sich vielleicht um Drogenkuriere der Mafia? Besonders füllige Menschen schnallen sich hingegen gern besonders winzige Rücksäcke um, als ob ein Zwei-Meter-Mann mit 120-Kilo-Bierbauch nicht schon lächerlich genug aussähe. Und ich muß es wissen...

Daphne du Mauriers Roman "Dreh dich nicht um" diente als Vorlage für den Film "Wenn die Gondeln Trauer tragen", eine früher mal recht kultige Horrorgeschichte vor der Kulisse Venedigs. Daphne hatte recht: Man darf sich hier nicht umdrehen, sich nicht mal umsehen. Denn überall lauert das Grauen. Auf Doppelkinnen und Stiernacken herrscht Sonnenbrand. Dicke Plauzen spannen Polo-Shirts über Bauchnabel. Stolze Wampen lappen schlapp über die Gürtel karierter Shorts; weiter unten verdecken Sandalen viel zu wenig von den beigen Socken. Plastikwasserflaschen beulen Jackentaschen aus - auch solche, die um ohnehin bereits recht füllige Hüften geschlungen wurden.

Wie überhaupt alles und jeder hier Jacken, Pullis und anderen Kram um die Hüften bindet, wodurch selbst akzeptabel gebaute Frauen noch godzillaeske Silhouetten erhalten. Das fällt im Gedränge der Phototaschen, Videocam-Taschen, Brustbeutel, Bauchtaschen und Vor-dem-Bauch-Rucksäcken allerdings kaum auf. Wenn außerirdische Parasiten die Erde invasieren wollten, brauchen sie sich nur als Nylonbeutel zu tarnen - niemand würde Verdacht schöpfen.

Unsere Empfehlung: Verzichten Sie auf Survival-Marschgepäck und Outdoor-Fashion. Haben Sie den Mut, sich in Venedig so auf die Straße zu trauen, wie Sie das auch zu Hause tun würden. Zum Beispiel mit einer Hose. Oder normalen Schuhen. Ohne idiotischen Fischerhut und ohne original venezianische Baseball-Mütze. Sie werden sehen, wie heilsam das für ihr Ego ist. Selbst wenn Sie in der Heimat der Mülleimer sind, werden Sie sich in langen Hosen wie ein Industriekapitän fühlen, sobald Sie sehen, wie sich x-beinige Idioten lächerlich machen.

Scanning Venice

Wer sich fragt, welche Menschen eigentlich das Kleingeld haben, sich all die sündhaft teuren Videokameras zu leisten, von denen wir nur lesen dürfen, der fahre nach Venedig. Wohl die Hälfte aller Rentner der führenden Industrienationen der Erde gastieren in der Adriastadt; das sind 99 Prozent der CamCorder-Besitzer weltweit. Visuell begabte Denker sehen sofort die schiere Masse der Videokameras vor sich, die täglich aufs neue Venedig filmen. Und wirklich: Wohin wir schauen, überall sehen wir ein Zoomen und Schwenken. Linsenmotoren und Bandtransporter surren, zugekniffene Augen blinzeln in Gummiflansche, Hände beschatten das sonnenscheue LC-Display, und frische Regisseure klammern sich mißtrauisch an die Taschen, in denen sie die Schätze ihres neuen Hobbys verbergen.

Modernste Technik erfaßt täglich tausendfach zerfallende Palazzi, stinkende Wasserstraßen, fette Tauben, vor weißgrauem Zuckerguß triefende Markus-Löwen, hilflos paddelnde Gondoliere und natürlich all die anderen sVHS/Hi8/DV-Hobbyfilmer. Selbst wenn Venedig irgendwann einmal im Meer versinken sollte, wird die Menschheit dank dieses Daten-Overloads in der Lage sein, die Stadt im Cyberspace 3D-mäßig hundertprozentig zu rekonstruieren.

Muß man gesehen haben...

Der Markusplatz ist toll, denn er ist so enorm riesig, daß all die Touristen nicht auffallen, sofern man in den Himmel guckt. Die romantisch gurrenden Tauben sind genauso, wie man sie sich vorstellt. Denn es gibt dort einige Stände, die Mais für 2000 Lire verkaufen, und um zu demonstrieren, daß die Tauben den Mais lieben, schippen die Verkäufer ab und zu eine Schaufel davon auf den Boden. Das Geflatter ist dann enorm, wahrscheinlich, weil die gemästeten Viecher vor ihrer eigenen Freßgier fliehen wollen, wegen des Übergewichts aber kaum noch in die Luft kommen.

Dann sind da noch die Cafés. Wir setzen uns natürlich ins Florian. Stunden vergehen, während sich der Jazz der Combo links mit dem Rondo-Veneziano-Gedudel der Combo rechts zu einer Kakophonie verbindet, die zeitgenössischer Musik nicht unähnlich ist. Wir sehen uns um: Im Kopfschwenk von 90 Grad stehen 72 leere Tische, sehr einladend, doch, doch. Vier Kellner ignorieren uns engagiert und besprechen wichtige Dinge - Börse, Frauen, neues Handy? Dann endlich, ein Ober in abgewetztem Dinner-Jackett, mit Gold-Kordel, vielleicht der Chefkellner. Wir bestellen: zwei Capuccini, Campari, Prosecco, eben die übliche Dröhnung aus Uppers und Downers.

Noch mehr Stunden vergehen. Was dann kommt, sieht gut aus. Später zahlen wir 47.000 Lire - etwa soviel nimmt das Kinderhilfswerk, um in der dritten Welt ein Kind einen Monat lang auf die Schule zu schicken. Bloß nicht darüber nachdenken. Fazit: Markusplatz muß sein, auch wenn das natürlich die allerletzte Touri-Ecke ist. Immerhin sind die Kaffeehäuser so teuer, daß kaum einer reingeht - da hat man seine Ruhe. Wohl dem, dem schon vorher klar war, daß man nach Venedig nicht zum Sparen fährt.



Alle 3 Kommentare ansehen

Venedig sehen und kotzen
(Peter J. Kraus, 30.07.2001 21:44)

mehr Winterer bitte!
(Petra van Cronenburg, 03.08.2001 14:02)

Venedig anders
(Petra Klein, 15.03.2002 18:24)