Stories_Ketzerbriefe: Hirnwäsche am Arbeitsplatz

Brain-Wash and Go

Was versteckt sich eigentlich wirklich hinter all diesen seltsamen Veranstaltungen, die sich "Konfliktmanagement" oder "Training für Führungskräfte" schimpfen? Die Kollegen von den "Ketzerbriefen" meinen: nicht viel mehr als eine unverhohlene Konditionierung auf von Firmenseite erwünschte Verhaltensweisen.    25.06.2009

Während sie die Erkenntnisse der klassischen Psychoanalyse unermüd­lich mit allen Mitteln entstellen, bekämpfen und vom Volk fernzuhalten wissen, wird von den Herrschenden wiederum nichts versäumt, wenn es darum geht, psychologische Methoden sowie Erkenntnisse der Ver­haltensforschung für Erhalt und Festigung ihrer Herrschaft einzuset­zen. Simone Reißner hat dies am Beispiel der Sozialpsychologie und des finsteren Elliot Aronson vorgeführt (1), und "Ketzerbriefe"-Leser konnten an diesem und anhand zahlloser weiterer Beispiele etwas über die wichtigste Funktion der Medien erfahren, nämlich die der standar­disierten Bahnung kognitiver Dissonanzreduktion in den Köpfen ihrer Rezipienten. Es ist wohl überflüssig anzumerken, daß die meisten Er­kenntnisse der Arbeits- und Organisationspsychologie seit 1945 "made in USA" sind. Nun macht Herrschaft intelligent, und die sie ausüben­den Subjekte haben sich daher im Gegensatz zu ihren Objekten, von wenigen historischen Ausnahmen abgesehen, instinktiv auch psycho­logisch meist geschickt und richtig verhalten und sind, zumindest in dieser Hinsicht, sehr lange sehr gut mit Empirie und ohne jede wissen­schaftlich gewonnene Einsicht oder Hilfestellung ausgekommen. Ihre Einschätzung der jeweiligen Kräfteverhältnisse spiegelte die tatsächli­chen Gegebenheiten gewöhnlich ohne dysfunktionale Verzerrung wider, der Erfolg beweist es. Warum dies so ist, konnte erst die klassische Psychoanalyse vollständig beantworten. (2) Aber es ist dennoch sehr ernüchternd und schmerzlich zu beobachten, wie die einstmals zu bes­seren Zwecken erkämpften und gewonnenen Erkenntnisse nur mehr ausschließlich im Sinne der Gewalt, d. h. für Folterzwecke, zur Knech­tung und Niederhaltung der Menschheit ausgeschlachtet statt zu deren Befreiung und Nutzen eingesetzt werden. Begeben wir uns nach die­sem eher tristen Einstieg jetzt auf einen ganz bestimmten Schauplatz des täglichen Klassenkampfes: die Lohnarbeit und ihre Organisation.

Wie beim Design der politischen Propaganda bedient man sich auch in den Konzernen psychologischer Methoden, um in erster Linie vor allem in Zeiten der sogenannten Globalisierung, des Kapitalexports ("Outsourcing") und der stets zu befürchtenden Massenentlassungen ("Um­strukturierungen") für weitgehende Reibungsfreiheit zu sorgen. Da es bei derlei einschneidenden Operationen für die Konzernherren vorran­gig darauf ankommt, keine Risse in der Loyalität ihrer Arbeitskräfte ("Mitarbeiter") entstehen zu lassen, die sich auf deren Produktivität - auch wenn auf diese zunehmend und demonstrativ geschissen wird, denn ohne Markt bzw. eben auf Monopolbasis ist sie unwichtig - und vor allem Lenkbarkeit auswirken könnten, werden Arbeits- und Organi­sationspsychologen eingesetzt. Gebraucht und bezahlt werden auch diese natürlich nur, solange es noch etwas zu verschlechtern gibt. Daher ist diese Erscheinung in jüngster Zeit auch schon wieder rückläufig.

Wir haben in dieser Zeitschrift bereits schon öfter ausgeführt, was es mit dem sogenannten Total Quality Management (TQM) auf sich hat und wie der, neben den sogenannten Zielvereinbarungen, wohl effektivste Transmissionsriemen für den Transport der von Ausbeuterseite er­wünschten Gedanken und Empfindungen, sozusagen vom Reißbrett ihrer Handlanger in die Köpfe ihrer Opfer, aussieht. In der Regel handelt es sich um meist mehrtägige Veranstaltungen, deren Themen ("Intercultural communication", "Konfliktmanagement", "Training für Führungskräfte" etc.) und Anlässe reinen Vorwandscharakter besitzen. Ihr Ziel ist immer die Demütigung und Infantilisierung der Teilnehmer, um deren Hirne für die Aufnahme der von ihnen geforderten Sicht- und Verhaltensweisen gefügig zu machen. Aus diesem Grunde finden solche Veranstaltungen bevorzugt in ungewohnter, oftmals abgeschiedener Umge­bung statt. Sie setzen durch straffes Programm, hohes Tempo des Ablaufs (steter Wechsel von "Übungen", Gruppenaufgaben, Rollenspielen), Infantilisierung und Demütigung auf Erschöpfung und Erlahmung der Kritikfähigkeit (die berüchtigte "weichgeklopfte Birne"), die erst die beabsichtigte Programmierung entscheidend ermöglicht.

Wir können diesen Vorgang daher kurz als Reaktivierung der als Kind in der Familie er­lebten Schwächesituation zum Zwecke optimierter Dressur (Konditionierung) auf von Firmenseite erwünschte Verhaltensweisen, Ansichten und Empfindungen charakterisieren. In den Belegschaften werden sie deshalb zwar hin und wieder vollkommen richtig als Gehirnwäsche bezeichnet, doch spätestens nach Absolvierung derselben ist dann alles schon gar nicht mehr "so schlimm" gewesen. Man wird auf jeden Fall vergeblich auf den offenbar nur für die Sektenhetze reservierten Aufschrei der Empörung warten. Alles gaaanz anders und nicht zu vergleichen? Wem Zweifel an unserer Einschätzung kommen sollten, der sollte sich in Ruhe klarmachen, worum es geht. Lassen wir dazu am besten die Gegenseite zu Wort kommen, die die Dinge im Gegensatz zu ihren Opfern immer nüchtern und illusionslos betrachtet. Die folgenden Zitate entstammen einer aus dem Internet heruntergeladenen x-beliebigen, aber repräsentativen Dissertationsschrift ("Organisationale Identifikation im Unternehmenskontext – Treiber, Wirkungen und Ansatzpunkte für das Management"); es ist nicht uninteressant, einen Blick in solche Kaderschmiedenerzeugnisse zu werfen:

"So zeichnen sich die Mitarbeiter einer Abteilung durch ein hohes Maß an Iden­tifikation aus, wodurch sie die Ziele des Unternehmens als die eigenen Ziele wahrnehmen. (…) versuchen sie, einen höheren Beitrag zur unternehmenswei­ten Zielerreichung beizusteuern, sie sind intrinsisch motiviert, mehr für ihre Organisation zu leisten und motivieren sich hierzu gegenseitig (…)." In den zitierten einschlägigen Untersuchungen, die die "ganzheitliche Bindung" an die Unternehmensorganisation preisen, ist immer wieder von "Iden­tifikation", "organisationaler Identifikation", "kollektiver Identifikation" etc. als einer für die Mitglieder einer Organisation wünschenswerten Ei­genschaft, die es anzustreben gilt, die Rede. "Während bereits die Identifi­kation von einzelnen Mitarbeitern positive Wirkungen hat, stellt gerade deren kollektive Form eine wichtige Einflußgröße im Unternehmensalltag dar. Speziell die Reduzierung der kollektiven Kündigungsabsicht sowie die Steigerung des Commitments und der Leistungsbereitschaft von ganzen Gruppen und Abteilungen können als unmittelbare Folgen von kollektiver Identifikation ange­sehen werden." Identifikation wird gar als "bedürfnisbasierter Prozeß, welcher sowohl für das Individuum als auch für die Organisation erhebliche Vorteile mit sich bringt" bezeichnet.

In Wahrheit legen Vernunft (lat. ratio = Berechnung) und Lerntheorie dem Individuum natürlich keineswegs nahe, daß es "erhebliche Vorteile" mit sich bringt, gegen die eigenen Interessen zu handeln, d. h. standardmäßig Demütigungen und schlechte Behandlung, unerträgliche und noch immer steigende Arbeitsbelastung usw. einfach unwidersprochen und ohne Gegenwehr zu schlucken (wie war das doch mit dem "Burnout-Syndrom", und wo geht eigentlich all der schöne Mehrwert hin??). Im Gegenteil erwachsen daraus ausschließlich Nachteile. Noch nie hat es sich für die Opfer ausgezahlt, im Mißhandlungsfalle die berühmte "an­dere Wange" auch noch hinzuhalten, das steigert nur die Gier der sprichwörtlichen dummdreisten Distelfinken. Auf der anderen Seite können die Untertanen gar nicht "individuell", d. h. atomisiert genug bleiben, wenn es darum geht, ihren Zusammenschluß zum Zwecke all­seitiger Freiheit und Selbstbestimmung zu verhindern. Die Arbeiterbe­wegung wußte dies in ihrer Glanzzeit nur allzu gut, wofür nicht nur die von ihr erzwungenen - gegenwärtig wieder zerstört werdenden - Kranken- und Rentenversicherungen Zeugnis ablegen. Oder sollte der "erhebliche Vorteil" für das Individuum etwa darin bestehen, durch Identifikation drohenden Strafen bei Gegenwehr oder Zuwiderhandlung gegen die Interessen der "Organisation" zu entgehen? (3) Damit kommen wir dem eigentlichen finsteren Gehalt der Sache schon viel näher.

Die klassische Psychoanalyse, die den Vorgang der Identifikation überhaupt entdeckte (was auch in obiger Schrift nicht verschwiegen wird), beschreibt ihn als den verzweifelten Versuch des Kindes, der vom gleichgeschlechtlichen Elternteil ausgehenden Kastrationsdrohung zu entgehen. Dieser schmerzhafte Abwehrkampf endet mit der Aufgabe der bedrohten und daher angstauslösenden eigenen Wünsche, die von nun an als fremd empfunden werden, und damit der psychischen Kapi­tulation vor dem übermächtig erscheinenden Gewalthaber. Der Kern der Identifikation aber, was so häufig übersehen wird, ist die Phantasie, eine andere Person zu sein - nämlich eine in einer unendlich besseren Stellung als man selbst. Nur die totale Auslöschung der Selbstwahrnehmung ermöglicht diese Phantasie; sie wird daher nur in tiefster Verzweiflung ausgeheckt, kann ohne diese Voraussetzung nicht entstehen.

Ist sie aber entstanden, führt sie zur Übernahme der Normen und (auch unwichtigen) Verhaltensweisen des Gewalthabers bzw. Aggres­sors. "In allem wie der Vater sein, ist sozusagen die sicherste, am ehesten vor Strafe schützende Form des Gehorsams (Identifikation mit dem Aggressor)." (4) Das Ergebnis dieser Selbstverstümmelung ist nichts Geringeres als die Auslöschung der Identität (diese Hervorhebung erfolgt, um der geplanten Begriffsverwirrung vorzubeugen, da von den Hand­langern, als deren Altmeister ein gewisser Erikson gelten muß, das Identifikationsergebnis, also die Zerstörung derselben, verfälschender- und perfiderweise als "Identität" bezeichnet wird). Es hat sich immerhin bei der, wenn wir so wollen, verschärften Anwendung der Organisati­onspsychologie, nämlich in den KZs (die ja die Wiederauflage der Familiensituation bedeuteten; mit Sicherheit wurden hier auch so man­che brauchbaren Methoden für die betriebspsychologische Praxis gewonnen), erwiesen, daß die "Identifikation mit dem Aggressor" den Häftlingen niemals einen Ausweg aus ihrer Misere bot, dafür aber un­weigerlich ihren Untergang als Person besiegelte. Die Überlebenschancen dieser in ihrer Identität erloschenen Opfer sanken gegen null, sie vegetierten vor sich hin und starben sehr rasch. (5) Bettelheim konnte seine Person ausschließlich vor dem Untergang bewahren, indem er aufmerksam beobachtete und vor allem versuchte, die Abläufe sowohl im KZ-Betrieb wie auch, als deren Wirkung, in sich selbst zu begreifen. So gelangte er zum Verständnis des Systems und seiner Mechanik und konnte sich in Situationen richtig verhalten, die andernfalls einen tödlichen Ausgang für ihn gehabt hätten.

Um - wie in den KZs - permanent und gezielt an den familienbedingten Haftschaden anzuknüpfen und auf diese Weise das Ich maximal zu schwächen und dessen Widerstandskraft erodieren zu lassen, wurden die Arbeitsverhältnisse zumindest in den Konzernen und Groß­firmen derart umgewandelt und -benannt, daß sie stets an die Familien­situation erinnern: z. B. in Gestalt sogenannter "Jobfamilien" (Arbeitsgruppen, deren einzelne Mitglieder sich nun als "Familienmitglieder" zu verstehen haben), sogenannter Linien-Manager, die die elterliche Schnüffel-, Beobachter- und Gängelfunktion ausüben (sie haben daher selbst in der Regel Familie mit Kindern und versuchen unentwegt, ihre miesen Schweinerüssel auch in die Privatangelegenheiten ihrer Untergebenen zu stecken), durch die gläserne Hölle der Großraumbüros (6), die keine unbeobachtete Minute zulassen (d. h. keinen toten Winkel gegen den Televisor im Sinne Orwells bieten), oder Einzelbüros, deren Türen wie die des Kinderzimmers niemals geschlossen werden dürfen, etc. Aus eigener Erfahrung kann ich bestätigen, daß der bei Arbeitskollegen zu konstatierende Persönlichkeitsverlust bereits nach wenigen Jahren entsprechender Behandlung gravierend ist. Die unsolidarischen Züge (Klatsch-, Intrigen- und Denunziationsbereitschaft) wurden ausnahms­los verstärkt, Unrechtsempfinden, Empörung oder Zugänglichkeit Argumenten gegenüber angesichts der pausenlosen Demütigungen sind nur noch selten zu beobachten - es ist wie bei Victor Klemperers berühmten "Arsendosen": plötzlich ist ihre Wirkung da.

 

Als Gegengift und der Anschaulichkeit halber jetzt noch ein paar Beispiele zur Vorgehensweise des Arbeitspsychologen ("Trainers", "Coaches" etc.), oder treffender: Psychosynthetikers, wie ihn F. E. Hoevels in seinem Stück "Waitoreke" vorführt. Er wirkt eher unauffällig bis farblos, beherrscht aber dafür den Elternpart und dessen Gefühlskla­viatur aus dem Effeff. Seine wohleinstudiert wirkende Rhetorik, Mimik und Gestik sind die Frucht jahrelang erfolgreich absolvierter Seminare; schon lange hat er erfolgreich am eigenen Hirn vollzogen, was er auch jetzt, möglichst weitgehend, bei den Kursteilnehmern anstrebt: die wasserdichte Identifikation mit den Zielen seiner Auftraggeber. Wirkungsvoller natürlich im Duett mit seinesgleichen, aber auch wenn er alleine auftritt (nach dem Motto: Ich bin dir Vater und Mutter zugleich), wechselt er, je nach Bedarf, zwischen Sanftstimmigkeit, Schulterklopfen, Augenzwinkern, kleinen Ködern in Form von "Plaudereien aus dem Nähkästchen", die tatsächlich die Neugier wecken können, und plötzlicher Strenge bis Schärfe (wenn er z. B. Unpünktlichkeit bemerkt) oder gar Ironie. Seine Angriffe auf die Würde seiner Opfer führt er meist sanftstimmig und freundlich lächelnd durch, um auf diese Weise den psychischen Druck noch zu erhöhen, die eigene Wahrnehmung und Empfindung zugunsten der gewaltsam eingeforderten auf­zugeben (dieser gewaltinduzierte Mechanismus wird als kognitive Dis­sonanzreduktion bezeichnet).

Er führt also die bewährte, fatal ­wirkungsvolle Arbeitsteilung zwischen "gutem" und "bösem Polizisten" in einer Person vor und oszilliert zwischen den Polen Zuckerbrot und Peitsche - wie man es eben aus der Familie kennt. Bei all dem legt er stets Wert auf das Element der Unberechenbarkeit und Überra­schung und nutzt insbesondere die Phasen nachlassender Anspannung und Habachtstellung bei seinen Opfern (v. a. nach Mittags- oder Kaf­feepausen) für Demütigungsübungen nach folgendem Muster: "Soll ich Euch was sagen?" (der Psychologe gluckst fröhlich) "Ich möchte jetzt singen. Ihr müßt nicht mitmachen, aber Ihr könnt." (Beginnt plötzlich im Wechsel mit den Fingern seine Fußspitzen, Knie, Brust, Schultern und Augen zu berühren und dazu ein entsprechendes Kin­derlied zu singen.) Einige Teilnehmer beginnen sofort, die Bewegungen nachzuahmen, andere zuerst noch etwas zögerlich. Eine zu spät gekommene Teilnehmerin, die den Raum just in diesem Augenblick betritt, bleibt kurz mit offenem Munde wie angewurzelt stehen, was ob der grotesk anmutenden Szene nicht verwundert, ihr Blick verrät ihre Gedanken, die sie offensichtlich am Verstand der Runde zweifeln las­sen. Nach einer kurzen Weile hampeln und "singen" jedoch alle mit, der aufmerksame Blick des Psychologen schweift stets in die Runde. Nach ca. zwei Minuten ist diese "Übung" vorbei, und der Psychologe schließt, dabei gespielt-schelmisch lachend, mit den folgenden Worten: "Aber erzählt bloß niemandem, was wir hier machen! So was mache ich sonst nur mit meiner Tochter zu Hause, die ist sechs."

Der Psychologe hat eine Weile gewissermaßen aus dem Nähkäst­chen geplaudert. Thema: Verhaltensforschung, insbesondere das menschliche Territorialverhalten. Erinnerungen an die interessanteren Themen der Schulzeit werden bei einigen Teilnehmern wachgerufen (vorab, zur Einstimmung, wurde bereits ein Link zu dem sehenswerten Dokumentarfilm "Der nackte Affe" von Desmond Morris verschickt). Nachdem er auch einige Photos gezeigt hat, die den statistisch ermittelbaren Mindestabstand demonstrieren - eine Armlänge -, der im Gespräch zwischen Vorgesetztem und Untergebenem sowie zwischen Gleichrangigen nicht unterschritten werden darf, soll dies nicht als Angriff empfunden werden, fordert er dazu auf, sich zu zweit in deutlich geringerem Abstand (!) gegenüberzustellen und zu versuchen, das Ge­genüber durch plötzliche, mit den flachen Händen ausgeführte leichte Stöße gegen die Schultern aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Kurzum: Es geht um die Infantilisierung. Das Opfer derselben soll durch Wiederholung ungewohnter motorischer Abläufe, deren Tempo stetig gesteigert wird (den linken Arm, rechten Arm, beide gleichzeitig heben, dazu laut Buchstaben vorlesen), oder betont alberner Sätze und Wortungetüme ins Stolpern geraten, ihm soll ein lächerliches "Mißgeschick" passieren, um auf diesem Wege an seine mangelhafte Beherrschung der Sprache und Motorik in der frühen Kinderzeit und entsprechende peinliche Erfahrungen anzuknüpfen. Deshalb auch solche Sätze wie: "Das mache ich zu Hause auch immer mit meiner kleinen Tochter, die macht dabei nie einen Fehler", "Vorschüler haben diese Fragen meistens richtig beantwortet" oder: "Ich hoffe, ich habe Euch jetzt nicht gekränkt!" Ih­re Botschaft lautet: Du bist nur ein kleiner verachtenswerter Hampelmann, der nach der Pfeife seines Herrn zu tanzen hat. Solche Erniedrigungsspiel­chen werden aber auch im Rahmen sogenannter "Teambuilding"-Aktivitäten (7) von Vorgesetzten ohne psychologische Ausbildung er­zwungen, die ihre Lektion gut gelernt haben.

Auffällig ist auch die "Begleitmusik", die ihre Anleihen bei der Religion nicht verhehlen kann, v. a. ein penetranter, salbungsvoll-pathetischer Ton, der zumindest die größeren Firmen schon seit geraumer Zeit wie Weihrauchschwaden durchzieht ("Bitte steht jetzt alle gemeinsam mit mir auf", "Ich möchte, daß wir uns jetzt alle zu einem Kreis aufstellen" etc.), und wie die Aufforderung zum gemeinsamen Gebet wirkt. Auch die oft per Videoaufzeichnung festgehaltenen Ansprachen von Firmen­chefs, die man sich gemeinsam anzusehen hat, lassen sich von Predigten kaum unterscheiden. Zur Einstimmung gibt´s Musik, die die gewünschten "Emotionen weckt". Gleiche Ziele legen eben den Einsatz gleichartiger und erprobter Mittel nahe, und nachzubeten gibt es ja tat­sächlich einiges - es sollen ja die Lügen des gierigen Monopolkapitals geschluckt werden.

In diesem Falle lautet die Formel für Gebet "feedback". Es ist nach jeder Predigt, d. h. Gruppenübung, Rollenspielrunde etc. zu verrichten, "rein freiwillig", versteht sich, jedoch wird die Runde der Teilnehmer peinlich genau durchgegangen; man muß z. B. im Kreis stehend seine Zustimmung zum Gehörten oder Gesagten durch einen Schritt nach vorne, in den Kreis hinein, bekunden. Natürlich lehnt keiner diese "Einladung" ab (das wäre auch tatsächlich töricht und könnte u. U. für die Teilnahme am nächsten Psychokurs qualifizie­ren). Das "feedback" dient auch der Kontrolle, inwieweit das Vorge­gebene erfolgreich geschluckt wurde. Entscheidender ist aber - wie in der Kirche, also auch im Psychokurs - der erzwungene Aufwand: Formuliere das Gehörte mit deinen eigenen Lippen, und es wird haftenbleiben. Als in einem "Kurs" eine Teilnehmerin, die zu den etwas älteren, ruhigen und arbeitsamen Bürokollegen zählt (also auch angstfreiere und bessere Zeiten erlebt hat), nach dreitägiger Gehirnwäsche plötzlich die Nerven verlor und minutenlang weinte, wurde noch ein­mal die Wirkung der erlittenen Gewalt und Anspannung deutlich; immerhin hat dieses unglückliche Opfer sie noch als solche empfunden. Jedenfalls spürt man nach einer solchen Vergewaltigung und mentalen Intoxikation neben der Erschöpfung die Gewalt sehr körperlich: Der Kopf gleicht einem summenden Bienenschwarm, und geistige Dekontamination ist dringend vonnöten. Die erlittenen Demütigungen lassen sich freilich nicht abwaschen, dazu müßte man schon die Täter ihrer verdienten Strafe zuführen. Für künftige unfreiwillige Opfer von Ge­hirnwäscheveranstaltungen am Arbeitsplatz könnten die folgenden praktischen Überlebensregeln von Nutzen sein - gewissermaßen das rote Rettungsseil gegen drohenden Identitätsverlust:

 

1. Unbedingt und unermüdlich die "Bettelheim-Perspektive" einnehmen, d. h. niemals den Beobachterstandpunkt verlassen; von diesem aus die äußeren Abläufe sorgfältig registrieren und mit den inneren Vorgängen (begleitende Empfindungen und Gedanken) abglei­chen. Dadurch schaffen Sie erst einmal das Wichtigste: Distanz zum Geschehen und zu dessen "Echo" im eigenen Kopf.

2. Prägen Sie sich die Einzelheiten der äußeren und inneren Abläufe genau ein und versetzen Sie sich in die Täter-Perspektive. (Was ist deren Absicht? Wie könnte ihr nächster Schritt aussehen?)

3. Lügen Sie mechanisch (aber natürlich glaubhaft!) bei allen Fragen, die Ihre Person betreffen (8), und scheinen diese selbst noch so harmloser Natur zu sein (z. B. nach Ihrer Lieblings-Eissorte etc.). Solche Fra­gen werden meistens im Zuge von Erniedrigungsübungen (z. B. sogenannten "Motivations- und Lockerungsübungen", "body exercises", "energizer" oder "ice-breaker") gestellt. Es geht - neben der Erniedrigung - darum, daß Sie lernen, von sich etwas preiszugeben und Ihre Hemmschwelle gegenüber den von Ihnen geforderten Zumutungen herabsetzen, indem man Sie dazu nötigt, einen gegen Ihre Interessen gerichteten Aufwand zu bringen. Damit haben Sie jedoch bereits verloren. Die Sozialpsychologie (Festinger) hat für diesen wahrnehmungsverändernden Vorgang den Terminus "forced compliance" geprägt.

4. Tauschen Sie sich bei nächster Gelegenheit mit Freunden, d. h. absolut vertrauenswürdigen Personen, über Ihre Erfahrungen aus. Überlebende KZ-Opfer haben leider meist nie über ihre Erlebnisse berichtet, zur Freude der Täter. So bleibt jedoch immer etwas an Ihnen haften. Folgen Sie statt dessen lieber Bruno Bettelheims Beispiel, und vergessen Sie niemals: Die Stärke der Täter besteht v. a. in dem schlech­ten Gedächtnis und der fehlenden Absprache ihrer Opfer!

 

So besitzen Sie trotz der in solchen Fällen unvermeidlichen Einbahnstraße an geballter Beschmutzung und Zumutung wenigstens eine Strategie zur Selbstbehauptung, ohne "Kamikaze"-Gefahr, d. h. ohne sich selbst zu schädigen. Wer nicht die Auslöschung, sondern die Integrität der Person (die Unantastbarkeit ihrer Würde) für wünschenswert er­achtet, wird keine substantiellen - nur graduelle - Unterschiede zwi­schen KZ-Methoden/US-Folter in Auschwitz oder Guantánamo und Gehirnwäsche-Veranstaltungen im Rahmen der Arbeit entdecken kön­nen. Beide führen ja für ihre finsteren Zwecke die frühkindlich erlebte Schwächesituation und geistige Desorientierung gezielt herbei, sie bilden demnach nur die Kehrseiten derselben schmutzigen Medaille und schützen die bestehende Herrschaft. Wer sich jedoch seine so vielfältig geraubte und erodierte Würde zurückerobern will (wozu sollte man sonst noch leben wollen?), verachtet und bekämpft ein System, das sich nur mittels Lüge und Gewalt am Leben erhalten und daher auf den Einsatz solcher Mittel nicht verzichten kann.

Ketzerbriefe

aus: Ketzerbriefe Nr. 153

Bund gegen Anpassung/Ahriman-Verlag


(erschienen Mai/Juni 2009)

 

Text: V. K.

 

(1) Siehe KB 120, Rezension "Social Psychology", S. 67 ff.

(2) Vgl. den nicht nur in diesem Zusammenhang sehr zu empfehlenden Vortrag von F. E. Hoevels: "Steht das Rückgrat rechts?", erhältlich beim Ahriman-Verlag.

(3) Eine solche Zuwiderhandlung wäre z. B. der berühmte "Bummelstreik": "Nahezu neun von zehn Mitarbeitern hierzulande (87 %) verspüren keine echte Verpflichtung gegenüber ihrer Arbeit. 69 % der Beschäftigten machen lediglich Dienst nach Vorschrift, 18 % haben die innere Kündigung bereits vollzogen." (Gallup-Studie von 2005). Und weiter: "Häufige Ar­beitsplatzwechsel und Kündigungen durch die Arbeitnehmer, mangelnde Motivation sowie hohe Fehlzeiten und eine niedrige Produktivität sind nur einige der möglichen Auswirkun­gen von mangelnder emotionaler Bindung und Identifikation mit der Organisation. Gallup Deutschland beziffert die unmittelbaren Kosten für Unternehmen, die sich hieraus ergeben, auf 88-92 Milliarden Euro pro Jahr."

(4) Siehe F. E. Hoevels, Der Ödipuskomplex und seine politischen Folgen, S. 39.

(5) Siehe Bruno Bettelheim, Aufstand gegen die Masse, Fischer Taschenbuch, Kap. 4 u. 5.

(6) Als gewissermaßen perfides Gegenstück zur Isolationshaft wirken diese zeitge­mäßen KZs der Monopole, die man in der besseren Zeit nur aus US-Streifen kannte (bevor sie dann importiert wurden), ebenso zerrüttend. "L´enfer c´est les autres" – hier bekommt man die grausame Wahrheit dieses Satzes besonders deutlich zu spü­ren, die vor kurzem auch von den gleichgeschalteten Medien herausposaunt wurde ("Großraumbüros machen krank") – der Arbeitsplatz als Folterwerkzeug.

(7) Diese werden auch dazu eingesetzt, Arbeitskollegen gezielt (durch Einpeitscher der Personalabteilung) gegeneinander aufzuhetzen, v. a. im Zuge des "Hierarchie-Abbaus" und um die Verunsicherung angesichts der Arbeitsbedingungsverschlech­terung zu maximieren.

(8) Ein äußerst plastisches Beispiel für diese Selbstbehauptungsstrategie in Bedräng­nis bietet Leopold Treppers Reaktion auf die ihm in stalinistischer Haft angebotene, so verlockende Zigarette: "Nein, danke, ich rauche nicht!" Eine Zigarette nehmen, das bedeutet bereits, bei ihrem Spiel mitzumachen, es ist der Beginn der Kapitulati­on. (Cf. L. Trepper: Die Wahrheit, p. 281, Ahriman, 1995).

Durch diese Ichleistung vermag auch das Kind, den Kern seiner Person gegen Zer­störung zu bewahren: Solange es nicht glaubt, wenn es, um den Schlägen der Eltern zu entgehen, sagt, Naschen sei schlecht, hat es kein Überich (Cf. F. E. Hoevels: Mar­xismus, Psychoanalyse, Politik. p. 35, Ahriman, 1983).

Links:

Kommentare_

Stories
Ketzerbriefe

Sonderkommandos in Basel

Ein Interview mit Alexander Dorin am 3. Oktober 2015 - einen Tag nach seiner Haftentlassung.  

Akzente
Ketzerbriefe

Auf freiem Fuß

Ein Update des "Ketzerbriefe"-Teams in Sachen Alexander Dorin.  

Akzente
Ketzerbriefe

Unrechtsstaat Schweiz

Das "Ketzerbriefe"-Team meldet sich wieder zu Wort. Diesmal geht es um die neuerliche Verfolgung des Autors Alexander Dorin durch die Schweizer Behörden. Ob zu Recht oder Unrecht, darüber machen Sie sich - geschätze Leserin oder geschätzter Leser - am besten selbst ein Bild.  

Akzente
Ketzerbriefe: Brief Roman Polanski /Update

Polanski revisited

Schon einmal haben die "Ketzerbriefe" über die Hexenjagd auf Roman Polanski berichtet (auch im EVOLVER) - und wären dafür beinahe der Zensur zum Opfer gefallen. Hier berichten sie, wie der Angriff des Unrechtssystems abgewehrt wurde.
 

Stories
Ketzerbriefe

In Uncle Sam's Sexualhölle

Die moderne Inquisition läuft reibungslos - ob in den USA oder in Europa. Im folgenden Gastbeitrag aus den KETZERBRIEFEN geht es um Neuigkeiten im Fall Kaitlyn Hunt, oder: So werden unschuldige Menschen zertreten, ganz wie bei den Hexenprozessen vor zwei und mehr Jahrhunderten.
 

Stories
Ketzerbriefe

Geschichten aus der Anderswelt

Wir vom EVOLVER haben mit Politik bekanntlich nichts am Hut. Weil Alternativmeinungen und -ansichten zum Weltgeschehen jedoch immer spannend sind, übergeben wir das Wort wieder an die Kollegen vom Bund gegen Anpassung.
Dieses Mal dreht sich alles um das "Rätsel" der ISIS.