Stories_Slayer

Christ, täusche dich nicht!

Die Thrash-Metal-Institution meldet sich in Originalbesetzung zurück. Und auch sonst ist alles, wie es vor 20 Jahren war. Zeitzeuge Walter Reiterer berichtet aus der Hölle.    23.08.2006

München, 1988. Ich wollte ja nicht hin. Ein Metal-Guru, heute Chronikchef der APA (wirklich!), entführte mich nach Bayern, weil ich, so sagte er damals, das unbedingt erleben müßte. Damals waren Metallica noch pickelige Rotzbuben, Iron Maiden traten in "Top of the Pops" auf, und U2-Alben waren im Schallplattenfachgeschäft unter "Indie" einsortiert.

Es war eine Zeit, in der gute Schallplattenverkäufer mit Stromgitarren ohnehin auf Kriegsfuß standen - außer die Klampfen waren auf Post-New-Wave gestimmt. R.E.M. durften schon mal in die Saiten hauen, weil die waren ja von sich aus voll cool und würden sich hoffentlich nie dem bösen Kommerz zuwenden. So kann man sich täuschen. Stipe, Bono & Co. haben uns alle Lügen gestraft: Bis man seinen 30. Geburtstag erreicht hatte, galten sie als Verräter der Prä-Generation-X, doch ab einem gewissen Alter wird man bekanntlich viel liberaler, was den Kontostand angehimmelter Künstler angeht. Und irgendwann denkt man dann frustriert: Vielleicht ist es ja doch nicht so scheiße, ein Star zu sein. Schade, daß man es selbst nicht geschafft hat ...

Nur der (gleichaltrige) Cobain machte den Heute-schon-Enddreißigern einen Strich durch die Rechnung. Offiziell war Suizid ja erst Mitte der 90er wieder angesagt. Trotzdem - was für ein Abgang. Warum hat den keiner von uns geschafft? Das ist böse. In zweifacher Hinsicht.

Na gut, zurück nach München, 1988. Ich stand dort, in einer Location, an die ich mich nicht mehr so recht erinnern kann (eine Oper?), mit riesigen Deckenlustern, Balustraden usw., und voll mit Menschen, an die ich mich nicht mehr so recht erinnern mag. Da war vor allem auch eine Bühne, und die wurde von einem kalifornischem Quartett betreten, das Thrash-Metal "machte". Das war dreifach pfui; sowas hatte man sich als guter Mensch mit bildungsakustischem Verständnis einfach nicht anzuhören. Der Musikfachmann, gern auch in alternativen Radioredaktionen beheimatet, suchte damals noch vielmehr die versteckte Oboe auf der neuen Kate Bush, versank in die (sehr gut) versteckte Subtilität der Pet Shop Boys, war eventuell mit dem kleinen Prinzen ein wenig "Lovesexy" - und wenn ihm auf unangenehme Fragen gar nichts einfiel, war die Rettung nah: "Was willst? Ich steh eh auf Zappa!" Ohne "Oida" danach, bitte. Man ist ja kein Prolet.

 

Slayer, die Musikkapelle, von der hier eigentlich schon die ganze Zeit die Rede ist, erfüllte keinen derartigen Anspruch. Die Herren waren weder offensichtlich subtil, noch biederten sie sich der seiden-intellektuellen Ich-Musikversteher-Elite an - die kam später sowieso von selbst, auch wenn sie keiner gerufen hatte.

Ich hatte mich getäuscht, wie so viele andere in dieser schweren Zeit: "South of Heaven", das damals aktuelle Album der Band und als Song auch der Opener des Konzerts, machte in vier Minuten einen völlig neuen Musikmenschen aus mir - was ich selbstredend jahrelang verschwieg. Ich mochte das, und ich mochte es nicht zugeben. Um mich herum standen Konzertbesucher, die ihre abgefuckten Röhrljeans in Westernstiefel gestopft und ein Pentagramm als dezentes Tattoo gewählt hatten. Was ist bloß aus den netten kleinen Delphinen geworden? Jo, derfen´s denn des?!

Erst nach der Veranstaltung wurde mir klar, worum es hier eigentlich ging. Werner Geier interviewte den Slayer-Gitarristen Kerry King für die Musicbox (Ö3), wir zwei (der heutige Herr APA und ich) durften mit dabei sein. Geier suchte händeringend nach Metaphern, legte Botschaften in die Texte Kings, die der wiederum mit fragenden Blicken quittierte ... Kurzum: Wir wurden Zeugen der puren Verzweiflung eines Journalisten. Ja, bitte, was zum Henker bedeutet dann der programmatische (?) Titel des Albums "South of Heaven"? Pause. "Hell", erklärte King. Seither liebe ich Slayer. Genau das ist es nämlich! Hölle, Hölle, Hölle! Da leben wir ja auch. Sie brauchen sich nur umzusehen, liebe Leser.

Jedenfalls war diese Musik, dieser unerklärbar flotte Lärm, die gedoppelte Baßtrommel des Schlagwerkers Dave Lombardo, das Gebrüll des Bassisten und "Sängers" Tom Araya, die - im Inlay sorgfältig als [Solo] angekündigten - Saitenhudeleien der beiden Duellisten auf der Gitarre, Jeff Hanneman und Kerry King, etwas, das mich völlig kirre machte. Ich wurde geil auf mehr, aber das sollte bitteschön niemand merken; man hat immerhin einen Ruf zu verlieren. Dazu diese seltsamen Texte - woher die wohl kommen? Die Wurzel alles Bösen ist das Herz einer schwarzen Seele. Ja, warum eigentlich nicht? Ungezügeltes Chaos. Ein Zeitalter des Mißtrauens. Konfrontation. Impulsiver Sabbat. Aha?

Und dann kommt es: immerfort "South of Heaven". Was für eine komische Offenbarung, vor allem im Konnex zu den 18 Jahren zwischen ´88 und ´06. Die Herrschaften behielten auf ihre Art verdammt punktgenau recht und machen heute daraus kein Tamtam. Ja, was denn? Wir haben es eh schon vorhergesagt. Die Menschheit ist ganz allgemein schlecht, Religion macht die Leute deppert im Schädel, und die Gesellschaft baut sie noch dazu zu einem Mordinstrument erster Klasse um. Das ist keine intellektuelle Erkenntnis, sondern eine Blaupause der Nachrichten. War ja klar!

 

Davon und darüber musizieren Slayer auch heute noch. Der Name Gottes lautet (seien wir uns doch ehrlich) Satan. Wir haben unsere Wahl getroffen, und die lautet: 666. Ganz nebenbei ist George W. Bush ein Idiot. Keine allzu brisanten Neuigkeiten, aber gut, daß dazu jemand noch Gitarre spielen mag. Slayers neues Album "Christ Illusion" ist ebenso laut und schnell und für den Durchschnittsverbraucher nur als Lärm erfahrbar wie die Vorgänger - darunter Meisterwerke wie "Reign in Blood", "South of Heaven" oder "Seasons in the Abyss". Es schließt sich kein Kreis, es werden keine Erwartungshaltungen geweckt, es passiert natürlich auch nichts Unerwartetes. Die Herren sind über vierzig, haben nichts an ihrer Haltung zu adjustieren und sprechen heute noch gelassen Wahrheiten aus, die in den 80er Jahren Eltern zum Himmel fahren ließen.

Mein Kind - ein Satanist? Schwamm drüber. Slayer machen saugute Metal-Musik und schreien recht wahre Texte dazu. Sie dürfen heute chillen. Bis zur Hölle.

Walter Reiterer

Slayer - Christ Illusion

ØØØØ 1/2


American/Warner (USA 2006)

 

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