Stories_Viennale 2004/Empfehlungen (I)

Fürchtet den fernen Osten!

Der EVOLVER fungiert heuer als offizieller Viennale-Medienpartner. Grund genug für Christoph Prenner, einen kurzen Ausblick zu geben.    03.10.2004

 

Christoph Prenner

Old Boy


Südkorea 2003

Regie: Chan-Wook Park

 

Man könnte es kurz machen und sagen: Wenn es dieses Jahr nur ein Viennale-Film sein soll, dann dieser hier. Denn einen besseren werden Sie nicht finden. Aber Achtung! Unbeschadet werden Sie diesem in jeder Hinsicht halsbrecherisch konstruierten Vergeltungs-Thriller von Chan Wook-Park ("Sympathy For Mr. Vengeance") auch nicht entkommen.

Dafür gehört "Old Boy", diese kühn verschachtelte Geschichte eines Jedermanns, der sich - nachdem er für 15 Jahre scheinbar ohne Grund in eine Einzimmerzelle weggesperrt wurde - in einem gnadenlosen Rachefeldzug auf die Spuren seines Peinigers macht, nur um von diesem endgültig hinters Licht geführt zu werden; dafür also gehört diese existentialistische Parabel um Schuld, Erniedrigung und Macht mit ihrer vom ersten bis zum letzten perfekt durchkomponierten Bildsprache (inklusive einiger zutiefst kompromittierender Szenen) zum Besten und Eindringlichsten, das Kino derzeit zu bieten hat bzw. überhaupt bieten kann. Zu elegant wird man eingewickelt in des Antihelden tiefgreifende seelische Verstörtheit, die gar nicht anders kann, als sich in exzessiver physischer Brutalität zu entladen - um damit erst recht einer grausamen und präzisen Manipulation auf den Leim zu gehen. Denn selbst wenn man mit dem Rücken zur Wand, ohne Rücksicht auf Verluste und scheinbar unverwundbar drauflosstürmt, kann man immer noch etwas verlieren - und sei´s nur den eigenen Verstand ...

 

16. 10., 1 Uhr, Gartenbau (Nacht auf 17. 10.)

18. 10., 11 Uhr, Urania

 

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House of Flying Daggers

(Shimian maifu)


China/Hongkong 2004

Regie: Zhang Yimou

 

Ein großer Prophet muß man nicht sein, um zu behaupten, daß um die Karten keiner anderen Vorstellung dieser Viennale so ein G´riß sein wird wie um die von Zhang Yimous "House of Flying Daggers". Denn es wird leider nur ein einziges Screening geben vom Nachfolger des selbst in den USA unverschämt erfolreichen "Hero" (Platz 1 am Box-Office, und das für eine Non-US-Produktion mit Untertiteln!).

"HOTD" soll Insidern zufolge vom miefigen ideologischen Ballast des ersten Films befreit worden sein und dabei (kaum zu glauben eigentlich) noch epochalere und reichhaltigere Bilderwelten sowie noch eleganter durchexerzierte Wire-fu-Kämpfe bieten als der Erstling. Man darf sehr, sehr gespannt sein.

Übrigens: "Hero 2" läuft ebenso wie "Old Boy" im Rahmen von "Fear East", der sogenannten Mitternachts- und wohl empfehlenswertesten Schiene des Festivals. Im Zuge dessen werden z. B. auch neue Werke von Johnnie To ("Breaking News"), Takashi Miike ("One Missed Call") sowie alle drei Teile des Hongkong-Thriller-Opus "Infernal Affairs" zu sehen sein.

 

23. 10., 23 Uhr, Gartenbau

 

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5 x 2 (Fünf mal zwei)


F 2004

Regie: François Ozon

 

Scheidung - Ehekrise - Geburt des Kindes - Hochzeit und Hochzeitsnacht - Verlieben. Regievisionär Ozon stellt in seinem neuen Film die Liebe bzw. ihre Geschichte auf den Kopf. Er beginnt dort, wo´s fürchterlich wehtut, und endet dort, wo´s noch wild kribbelt. Fünf Szenen einer Ehe (und deren Zerbrechen), ganz einfach in "Memento"-Manier von hinten nach vorne zu erzählen, das mag gewöhnlich und banal klingen. Ist es aber nicht, denn hinter der alltäglich anmutenden Fassade von "5 x 2" steckt eine sehr schmerzliche, tiefsitzende Erkenntnis, die einen - hervorgerufen durch das eigentlich faulste Happy-End seit langem- mit einem dicken Kloß im Hals zurücklassen wird: Jede Liebe, und erscheint sie auch noch so perfekt, wird sich irgendwann in Haß und Frust auflösen. Ein Film mit gehöriger Nachwirkung - Ozon, der Meister der subtilen Täuschung, hat wieder zugeschlagen.

 

21. 10., 20.30 Uhr, Gartenbau

23. 10., 11 Uhr, Urania

 

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Die fetten Jahre sind vorbei


Ö/D 2004

Regie: Hans Weingartner

 

Wenn für jemanden oder etwas zuletzt die fetten Jahre vorbei waren, dann sicherlich für das österreichische Kino, vor allem, was seine Rezeption im Ausland betrifft. Da kann der hoffnungslos überschätzte Blender Haneke noch so viele seiner eindimensionalen Sozialpornos unters Volk werfen, um uns zu beweisen, wie schlecht denn nicht die menschliche Existenz sei - interessieren wird das bis auf die üblichen Klüngel ohnehin wenige.

Einen Ausweg aus diesem Dilemma der Trostlosigkeit und Selbstüberschätzung scheint nun der Vorarlberger Hans Weingartner ("Das weiße Rauschen") gefunden zu haben. Der verhandelt in der deutsch-österreichischen Koproduktion "Die fetten Jahre sind vorbei" mit wunderbar lakonischem Humor die Geschichte dreier rebellischer Jugendlicher, die mittels subversiver Guerrilla-Taktiken ("Erziehungsaktionen") Dampf über ihre Unzufriedenheit mit der Gesellschaft ablassen und sich dabei eher versehentlich in eine Entführung verstricken. Mutiger, vor allem aber lebendiger Stoff, dem Vernehmen nach mit sehr kontroversiellem Ende.

Der Film lief übrigens mit gehörigem Medienecho als Weltpremiere auf dem diesjährigen Festival von Cannes. Vielleicht kehren sie ja doch irgendwann zurück, die fetten Jahre ...

 

25. 10., 19.30 Uhr, Gartenbau

 

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Metallica: Some Kind of Monster


USA 2004

Regie: Joe Berlinger, Bruce Sinofsky

 

Der Metalriese in der Mentalkrise: das Dokufilm-Duo Berlinger/Sinofsky ("Brother´s Keeper") hat sich an die Fersen der einst größten Metalband der Welt geheftet und in eindringlicher Art und Weise den psychischen Totalkollaps der Mannen Hetfield, Ulrich und Hammett eingefangen, der der Produktion von "St. Anger" voranging. Der Zuschauer erhält überraschende Einblicke in ein längst in Scherben liegendes Band-Leben und dessen innere Struktur und Dynamik. Und Ex-Member Dave Mustaine hat einen äußerst tragischen Auftritt. Die Doku-Leiste der Viennale ist übrigens noch ein weiteres Mal auf den Rock´n´Roll gekommen: "DIG!" verfolgt über einige Jahre hinweg den unterschiedlichen Werdegang zweier Bands (Dandy Warhols und Brian Jonestown Massacre) mit völlig konträrem Ausgang: die einen wurden Superstars, die zweiteren versanken in Vergessenheit und Drogenmißbrauch.

 

22. 10., 23 Uhr, Gartenbau

23. 10., 16 Uhr, Urania

 

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Dandelion


USA 2004

Regie: Mark Milgard

 

Mit "Propositions" startet die Viennale dieses Jahr eine neue Programmschiene, ein "Festival im Festival". Darin sollen zwölf ausgewählte Arbeiten zu sehen sein (an jedem Tag des Festivals eine), die "ungewöhnliche, inhaltlich und ästhetisch relevante Positionen des zeitgenössischen state of production" beziehen. Hmm. Herausgegriffen sei Mark Milgards "Dandelion", ein in hypnotische Landschaftsbilder eingetauchtes Teenager-Drama, das auf den heurigen Festivals von Sundance und Rotterdam Kritiker zu Begeisterungsstürmen veranlaßte. Etwas übertrieben - doch zumindest die stärkste Eröffnungssequenz aller Festivalfilme dürfte "Dandelion" sicher haben. Aber sehen Sie selbst ...

 

17. 10., 24 Uhr, Urania

18. 10., 20.30 Uhr, Gartenbau

 

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Viennale 2004

15. bis 27. Oktober


Weitere Informationen und Neuigkeiten finden Sie auf der Viennale-Homepage.

 

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