Stories_Viennale 2004/Guerilla: The Taking of Patty Hearst

Guerillas in the mist

Wie man die Entführung einer Millionenerbin zum flotten Pop-Mythos umdekoriert, zeigt Robert Stone in seiner Doku.    28.10.2004

Entgegen vieler Voruteile können Dokus unterhaltsam sein - nicht erst seit Michael Moore. Um dies gleich klarzustellen, unterlegt Robert Stone seine geschickte Eröffnungssequenz mit flottem Alternative-Rock. Immerhin ist die hier erzählte Real-Life-Story besser als jede Fiktion, auch wenn sie heute schon etwas vergessen scheint. Mittels Archivmaterial und Interviews mit Ex-"Terroristen" sowie Zeitzeugen berichtet "Guerilla" über die seltsame, aber wahre Geschichte der Symbionese Liberation Army (SLA), die in den 70er Jahren die Welt (oder wenigstens die Amis) mit ihren Aktionen in Atem hielt.

Aus Unmut über den Vietnamkrieg und Richard Nixon gründeten einige junge Studenten damals eine bewaffnete Aktivistentruppe, deren politische Ziele nie wirklich klar wurden. Black-Panther-Ideologie wurde da mit "Make love, not war"-Botschaften und persönlichen Robin-Hood-Faibles aus der Kindheit zum radikalen Programm verquickt: Abschaffung der Armut, Absetzung der Regierung in den USA. Die kleine Gruppe, der mehr Frauen als Männer angehörten, trat mit der Erschießung eines schwarzen Schuldirektors ans Licht der Öffentlichkeit. Zwei kurz darauf zufällig verhaftete Mitglieder landeten umgehend in der Todeszelle. Das Interesse der Medien war sofort sehr groß, weil die SLA sie gezielt für ihre Zwecke einspannte: Zeitungen druckten Manifeste ab und erhielten die im Film oft und gern verwendeten Tonbandaufnahmen, deren griffigste Parolen sich heute gut als HipHop-Samples eignen würden.

All das steigerte sich zur Hysterie, als die SLA Patricia Hearst, die Tochter des millionenschweren, einflußreichen Zeitungsverlegers William Hearst, entführte. (Großvater William Randolph hatte Orson Welles bekanntlich als unverhohlene Vorlage für sein Meisterwerk "Citizen Kane" gedient.) Fortan belagerten die Reporter sowohl Familie als auch Freunde und Umfeld des jungen Opfers rund um die Uhr und berichteten minutiös von Polizeiermittlungen. Der Fall lieferte zum ersten Mal jene Zeilen und Bilder, die wir seither von Silke Bischof, Waco und New York bis Beslan mehr als gewöhnt sind. Und das erste Mal waren Kameras und Mikrophone beim tödlichen Shootout zwischen Gesetzeshütern und Ganoven live dabei.

 

Die Entführer erpreßten Papa Hearst zu einer zwei Millionen

Dollar teuren Armenausspeisung in San Francisco, unterstützt von Hunderten freiwilligen Helfern und Kirchenvertretern. Dafür ernteten sie Sympathien und Sympathisanten aus allen Lagern. Die dramatische Wende, die vor allem die weiße Mittel- und Oberklasse in ihren Grundfesten erschütterte, passierte dann, als Patty nach Monaten verkündete, sie sei unter dem Kämpfernamen Tania der SLA beigetreten. Modisch gestylt nahm sie an einem Banküberfall teil und war danach jahrelang auf der Flucht. Ihre Rolle wurde nie restlos geklärt: War sie ein Opfer brutaler Gehirnwäsche, eine freiwillige Täterin aus romantischer Verliebtheit, oder wollte sie nur gegen den übermächtigen Papa rebellieren?

Niemand kann das beantworten - nicht einmal Patty, die aus den kriminellen Vorgängen ganz amerikatypisch später eine Karriere machen sollte: als Bestsellerautorin, Talkshow-Gast und Schauspielerin. Weniger gut erging es ihren Kidnappern, denen 27 Jahre später und nach einer braven bürgerlichen Existenz noch einmal der Prozeß gemacht wird. Die bis dato beispiellose Politgeschichte reizte schon öfters zu Spekulationen und Adaptionen; eine gelungene Bearbeitung ist etwa der Spielfilm "Patty" von Paul Schrader. Dokumentarfilmer Robert Stone verpackt die Story in flotte, detailverliebte Bildmontagen und spart nicht an interessanten Informationen, spitzer Ironie und feinsinniger Medienkritik. Es ist nicht zu übersehen, wo letztlich seine Anteilnahme liegt. In Zeiten von Al-Kaida und Co. hat das auch eine Prise Brisanz.

Klara Musterfrau

Guerilla: The Taking of Patty Hearst


USA/GB 2004

89 Min.

OF

Regie: Robert Stone

Darsteller: Russ Little, Mike Bortin, John Lester u. a.

 

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