Kino_Last Days

Smells like Selbstmord

Die letzten Tage von Grunge-Rock-Idol Cobain bebildert Gus Van Sant als symbolreiches Stoßgebet. Langsam und unglamourös wird das private Sterben stellenweise zur Geduldsprobe.    09.02.2006

Ein akutes Frühneunziger-Revival scharrt vor der Zeitgeistvermarktungstüre heftig mit den Füßen und an vorderster Front werden wieder einmal Nirvana stehen. Kurt Cobain, Dave Grohl und Krist Novoselic schufen mit "Bleach", "Nevermind" und "In Utero" geniale Alben und Songs, die bis heute einwandfrei funktionieren. "I feel stupid and contagious. Here we are now. Entertain us": Für eine Nanosekunde im Popkultur-Universum war Seattle der Mittelpunkt von allem, mit Sup Pop, Karohemden, Slackerismus, der Generation X und Grunge-Gitarren der einzig gültige Soundtrack zum Leben in der einsetzenden neuen Beliebigkeit. Die vielleicht letzte, zaghaft authentische Jugendkultur kulminierte, bevor sie sich in öden "MTV Unplugged"-Sessions selber auslöschte, in der Lichtgestalt Cobains. Er bot alles, was sich Medien und Rezipient an einem professionellen Rock-Idol nur wünschen können: Trailerpark-Vergangenheit, Charisma, Drogensucht, fatale Lieben, Reichtum, Depressionen. Die ideale Projektionsfläche endete wie bekannt mit 27 Jahren und einer Gewehrkugel im Kopf. Während man über Leben und Werk der Legende so ziemlich alles weiß, ist ihr Selbstmord noch etwas mysteriös - und eine weitere Projektionsfläche, die sich Indie-Regisseur Gus Van Sant für "Last Days" aneignet.

Die letzten Tage des blonden Rockstars Blake (Michael Pitt) vollziehen sich in einem alten, ungeheizten Jagdhaus und dem angrenzenden Wald irgendwo in Amerika. Während seine beiden Bandkollegen im Obergeschoß noch so ein bißchen Rock’n’Roll-Lifestyle mit Sex und Drogen imitieren, ist er als ausgebranntes, völlig kaputtes Wrack von der letzten Tour zurückgekehrt. Unansprechbar, abgedriftet schlurft Blake durch die Gegend, in dreckigen T-Shirts und Pyjamas, verweigert er jede Kommunikation, schließlich jeden Kontakt und kritzelt nur ab und zu etwas in sein Tagebuch. "I’ve lost something on my way" notiert er zittrig. Aus dem langsamen, monotonen Niedergang läßt sich Blake weder von Entzugspsychologen noch der Religion oder Aussicht auf weiteres Geld holen.

 

Verfall und Verweigerung inszeniert Gus Van Sant als eine einzige Abwärtsspirale. In ziemlich langsamen Loops, die sich ständig wiederholen und variieren wie Musikakkorde, geht das langsame Sterben eines Idols unglamourös und unspektakulär vonstatten. Die an sich wagemutige Machart stellt sich aber mehrfach als Geduldsprobe heraus, wenn die Kamera minutenlang starr auf einige grüne Blätter hält oder ähnliche leere Momente liefert. Kontrastiert werden die monotonen Fluchtversuche durch den Wald mit einer symbolschwangeren Tonspur, auf der Schritte, Türenächzen und ein Gottesdienst zu hören sind. Und man könnte Van Sant, dem Meistererzähler desolater Teenie-Themen, der für sein Highschool-Drama "Elephant" die Goldene Palme von Cannes erhielt, gratulieren, daß er wieder einmal experimentelles Kino in den Mainstream einschleust, wenn das Ergebnis nicht viel zu langatmig und -weilig wäre.

Blake/Kurt läuft wie ein gefangenes Tier im Käfig hin und her. "Are you free now?" fragt Sonic Youth-Veteranin Kim Gordon den Schlüsselsatz in das für ein Wrack doch etwas zu liebliche, gut genährte, schmollippige Armani-Model-Gesicht von Michael Pitt, der den berühmtesten Pullover der Musikgeschichte mit einiger Ehrfurcht trägt. Die Sache mit der Unfreiheit in einem Busineß, das für die totale Freiheit steht, ist eine mögliche Antwort, die uns der Regisseur mit auf den Weg gibt. Ansonsten läßt er wie so oft in seinen Filmen vieles offen, auch natürlich, ob die Protagonisten Opfer sind oder selbstbestimmt handeln. "Last Days" scheitert daher ganz ungrungig auch an seiner übertriebenen Zurückhaltung und Sensitivität, die eher Fadesse als Nachdenklichkeit erzeugt.

Klara Musterfrau

Last Days

ØØØ


USA 2005

97 Min.

Regie: Gus Van Sant

Darsteller: Michael Pitt, Asia Argento, Scott Green, Luke Haas u. a.

 

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