Kino_The Incredibles - Die Unglaublichen

Die Superhelden von nebenan

Am Boden der Realität gelandet: Was passiert, wenn man eine Superhero-Sippe in die Normalität zwängt? Klar, sie bricht aus - zumindest in diesem CGI-Glanzstück von Pixar.    07.12.2004

Zu Beginn soll ein Eingeständnis stehen. Ganz recht, der Autor dieser Zeilen konnte - als einer von geschätzt fünf Menschen der westlichen Hemisphäre - mit all den hochgepriesenen Streifen aus der Ära der ausschließlich mit Computer-Generated-Images arbeitenden Familien-Blockbuster bisher eher wenig anfangen. "Shrek" und seine Fortsetzung, zuletzt "Shark Tale" und zuvorderst natürlich die Werke der Pioniere von Pixar, "Toy Story", "Die Monster AG" und "Findet Nemo": Phantastisch animierte und durchaus nicht eindimensional strukturierte Machwerke modernster Tricktechnikerei sind das, aber doch primär auf die Unterhaltung von Kindern abzielend, kalkulierterweise immer mit dem gewissen Schuß Ironie und hintergründigem Witz gewürzt, um sie auch für Erwachsene genießbar zu machen. Und doch blieben all die knuffigen Viecherln, Spielfiguren und sonstigen Phantasiewesen immer nur Entertainment für Zehnjährige jedweden Alters.

"The Incredibles - Die Unglaublichen" stellt in dieser Entwicklung gleich in zweierlei Hinsicht eine eindeutige Zäsur dar. Zum einen dürfte Brad Birds Film schon allein seines komplexeren Tonfalls wegen einem älteren Publikum wesentlich mehr entsprechen. Reichlich problembeladen und neurotisch geht es darin bisweilen zu, leichtherzigen Eskapismussuchenden dürfte stellenweise das Popcorn im Halse stecken bleiben. Keine Frage: Dies ist alles andere als Kinderkram.

Zum anderen spielen in der voraussichtlich letzten Produktion, die Pixar über Disney vertreiben läßt (denen sie über Jahre die Bilanzen nicht gerade schlampig aufgebessert haben), erstmals Menschen die Hauptrollen. Keine aus Fleisch und Blut natürlich, und selbstverständlich sind sie auch sonst keine gewöhnlichen, nein, sie sind Computer-leibhaftige Superhelden. Und zu allem Überfluß gleich eine ganze Familie davon. Es ist also schon des Filmes Ausgangslage ein purer Glücksfall.

 

Zur Handlung: Wir schreiben die Post-Superhelden-Ära. Da die Einsätze und Heldentaten der Übermenschen oft mehr Schaden anrichten als manchen Beteiligten lieb ist, hat die Regierung ein "Superhero Relocation Program" verabschiedet, das es übernatürlich Veranlagten unter Strafe verbietet, auf ihre Kräfte zurückzugreifen. Einer dieser Superhelden ist Mr. Incredible, ein Kasten von einem Mann mit einem Brotkasten von einem Kinn, der - einstmals von den Millionen geliebt - nun als absoluter Nobody seine Brötchen im Halsabschneidergewerbe des Versicherungswesens verdienen und noch dazu in einer grauen Vorstadtsiedlung leben muß. Die Anonymität quält ihn, das Zur-Untätigkeit-verurteilt-sein zermürbt ihn, Midlife-Crisis und Existenzkrise machen ihm schwer zu schaffen. Wozu all die Superkräfte, wenn man sie nicht einsetzen darf?

Doch auch seinen ebenfalls superbefähigten Kindern geht es nicht besser. Es drängt und zieht sie hin zu Großtaten, und keiner läßt sie gewähren. Nur seine Frau, das strapazierfähige Elastigirl, scheint sich mit ihrer ereignisarmen Mutti-Existenz abgefunden zu haben - bis ihr Mr. Incredible eines Tages auf einer eher fadenscheinigen "Dienstreise" verschwindet ...

Allein diese stark verkürzte Synopsis dürfte klarmachen, daß es "The Incredibles" bei aller Liebe zum Action- und Klamaukfeuerwerk - natürlich gibt es auch davon zuhauf während und vor allem gegen Ende des Films - auch um so altmodische Dinge wie Charakterzeichnung und Dramaturgie (unbedingt in der Originalfassung anschauen!) geht. Die Schwärmerei kommt aber erst so richtig in Gang, wenn man auch den Look der "Incredibles" mehr als nur eines Blickes würdigt. Absolut hinreißend ist es, wie sich Bird der überzeichneten Retro-Ästhetik alter B-Movie- und Spionagefilme bedient, sie in seine überdrehte Superheldenwelt eingliedert und es schafft, die dabei entstandenen Bilder auch noch so prächtig und wenig künstlich aussehen zu lassen.

Kurzum: "The Incredibles" gelingt, was dieses Jahr sonst nur "Spider-Man 2" für sich beanspruchen konnte: ein Film für die Massen zu sein und dabei sowohl Spaß und Geschichtenerzählen als auch visuelle Pracht und Effektezauber auf subtile und schlaue Art zu vereinen. Dies alles schafft ein auf Rechnern enstandener Film über und für Familien. Unglaublich? Ganz und gar, aber doch wahr.

 

Der EVOLVER verlost in Kooperation mit Buena Vista International 3 Fan-Pakete zu "The Incredibles - Die Unglaublichen" (siehe Link unten)!

 

Christoph Prenner

The Incredibles - Die Unglaublichen

ØØØØ 1/2

(The Incredibles)


USA 2004

115 Min.

OF und dt. Fassung

Regie: Brad Bird

 

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