Kino_Aviator

Himmel und Hölle

Mit dem Howard-Hughes-Biopic hat Good Fella Scorsese ein inhaltlich wie visuell kraftvolles Werk auf die Leinwand gewuchtet, das viel Kritikerlob einheimste. Bald auch den verdienten Oscar?    20.01.2005

Nach wie vor besitzen Martin Scorseses Bilder eine ungeheure Strahlkraft und hohe Perfektion. Sie fesseln mit einer opulenten Detailfülle, einem wahren Kaleidoskop an Dekors und stimmigen Einzelheiten. Seit Stanley Kubrick tot und Francis Ford Coppola offenbar in Pension gegangen ist, ist der einstige Regie-Rebell der einzige und vielleicht letzte Visionär Hollywoods: Einer, der große Themen auf die Leinwand wirft und sich nicht scheut, in langen Material- und Budgetschlachten seine künstlerische Vision konsequent zu verfolgen. Deshalb ist er längst eine Klasse für sich, in der jeder seiner neuen Filme höchstens mit vorangegangenen verglichen wird - aber nicht mehr mit dem eines Kollegen. Er setzt Maßstäbe und es gelingt ihm, auch aus Durchschnittsmimen wie Sharon Stone oder Leonardo diCaprio das letzte Gramm Talent herauszupressen und sie das Beste ihrer Laufbahn leisten zu lassen. Da macht auch "Aviator" keine Ausnahme.

Das visuell überbordende Biopic über das Leben des Milliardärs,

Filmproduzenten und Flugpioniers Howard Hughes von den 20er- bis 40er-Jahren variiert einmal mehr Scorseses Lieblingsthemen Leidenschaft, Obsessionen und manische Hingabe an ein Ziel. Unschwer ist dabei zu erkennen, daß sich der Regisseur nicht nur "leibhaftig" in einem Cameo, sondern auch mit autobiographischen Referenzen in das ehrgeizige Projekt geschmuggelt hat. Marty aus Little Italy ist wie Hughes ein Besessener, der Jahre und Jahrzehnte um seine Filme kämpft, ein kompromißloser Perfektionist, ein Maniker und angeblicher Essensexzentriker.

 

Howard Hughes (Leonardo diCaprio) beschritt in den Anfängen des Tonfilms mit kreativer Originalität und beispielloser Verschwendungsbereitschaft neue Wege und erweiterte mit dem kalkulierten Einsatz von Erotik und Gewalt in Streifen wie "Hell's Angels", "Scarface" und "The Outlaw" enge Genregrenzen.

Gleichzeitig verfolgte der von Adrenalinkicks und Geschwindigkeit besessene Hobbypilot den Traum vom schnellen, hypermodernen Kampf- und Passagierflugzeug. Kongenial dazu agiert übrigens die Kamera in stilistischer Präzisionsarbeit. Sie hebt mit chromblitzenden Flugzeugen ab, fegt über einen blauer als blauen Himmel, in den Cockpits ein Haufen verwegener Abenteurer, todesverachtend wie Hughes selber. In einer der besten Sequenzen stürzt sie mit ihm über Häusern ab, zieht den Zuseher mit in die Tiefe, bis alles in einem hyperrealistischen Chaos aus Stein, Fleisch, Blut und Feuer endet. Neben den Ambitionen verliert sich der Womanizer nach zwei ernsthaften Liaisonen mit den Hollywood-Diven Katherine Hepburn (ernsthaft bemüht: Cate Blanchett) und Ava Gardner (schön: Kate Beckinsale) in endlosen Affären mit blutjungen Starlets. Aber es prägen auch Paranoia, grausame Zwangsneurosen und eine exzessive Bakteriophobie Alltag und Existenz, die sich trotz des loyalen Beistandes von Weggefährten schubweise zur privaten Hölle steigern. Anhaltender Ekel und die Sehnsucht nach etwas absolut Reinem, Sicherem und Perfektem werden zur Qual, die die an sich unermessliche Freiheit dieses Mannes in eine verdunkelte, versperrte Kammer voller Abfälle, Papiertücher, Milch- und Urinflaschen schrumpfenlassen.

Wie immer von Thelma Shoonmaker grandios gecuttet ist "Aviator" zwar kein lupenreines Meisterwerk, aber großartig genug für nachhaltige Eindrücke. Intelligent erspart er uns üblichen breit ausgewalzten Leidensvoyeurismus. Nur einzelne Szenen, die DiCaprio übrigens mit unerwarteter Eindringlichkeit ziemlich brillant darstellt, deuten an, wie ein an sich rebellischer Geist implodiert. Nach zähem Kampf um sein Imperium, seine Filme und Fluglinie gegen ideenlose Bürokraten und Konkurrenten zieht sich der reichste Mann der Welt komplett von jeder Öffentlichkeit zurück. Sicher, die kolportierte Tragik des späten Howard Hughes klingt schrecklich, genauso wie das Faktum, bis zur Unkenntlichkeit deformiert in einem Hotel dahinzusiechen. Wichtiger jedoch, impliziert "Aviator", daß er davor ein intensives Leben mit aufregendem Sex führte, Todesabenteuer erlebte und vor allem Visonen realisierte. Obsessionen haben vielleicht ihren Preis, unausgelebte - so Scorsese an anderer Stelle - aber auch.

Klara Musterfrau

Aviator

ØØØØ

(The Aviator)


USA 2004

170 Min.

dt. und engl. OF

Regie: Martin Scorsese

Darsteller: Leonardo DiCaprio, Cate Blanchett, John C. Reilly u. a.

 

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