Stories_Kettcar/Interview

"Es wurde viel gejammert, aber es war halt einfach so"

Mit ihrem neuen Album stiegen die Hamburger Sympathen sensationell auf Platz fünf der deutschen Charts ein. Zuvor hat sich der EVOLVER noch mit Gitarrist Erik Langer unterhalten.    23.03.2005

EVOLVER: Euer neues Album "Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen" erweckt den Eindruck, daß ihr euch bewußt etwas zurückgenommen habt, reduzierter geworden seid.

 

Erik: Teils, teils. Die Texte sind vielschichtiger geworden und die Musik einfacher. Bei unserem ersten Album waren die Texte schon relativ fixiert auf das eigene Leben und so blöde Lebensumstände. Es wurde viel gejammert, aber es war halt einfach so. Textlich ist da viel aufgebrochen worden. Die Texte wurden einfach vielschichtiger: Es gibt einen, der etwas abstrakter ist ("Stockhausen, Bill Gates und ich"), einen, der eine lineare Geschichte erzählt ("48 Stunden"), und einen, der ganz anders, über Schlagwörter funktioniert ("Einer").

Was die Musik betrifft: Beim ersten Album hatten wir da ganz schön übereinander geschichtet. Drei Gitarren, Keyboard, Elektrogetucker, drei Gesangslinien drüber usw. Auf dem neuen sind wir viel simpler geworden und haben uns gegenseitig mehr Raum gelassen.

 

EVOLVER: Wie groß war der Druck beim Produzieren nach dem sensationellen Erfolg von "Du und wieviel von deinen Freunden"?

 

Erik: Der war ganz sicher unterschiedlich groß, auf Marcus war er sicher größer, weil er eben die Texte schreibt und sich auch entscheiden mußte, auf die sichere Sache, die Depri-Texte, die ja die Leute halt auch erwarten, großteils zu verzichten. Auf ihm lastete also schon mehr Druck als etwa auf mir, der ich mich ja nur mit der Musik befaßt habe. Ich hab ganz ehrlich keinen so großen Druck gehabt, weil wir schon sehr früh einige sehr gute Lieder gehabt haben, wie eben "Nacht" und "48 Stunden", die letztendlich auch zu Pfeilern des Albums geworden sind.

Nachdem wir uns im August auf dem Land eingeschlossen und die Vorproduktion gemacht haben, haben wir festgestellt, daß wir als Musiker ganz einfach gut miteinander arbeiten können. Das war eine tolle Erfahrung als Band. Spätestens ab da hab ich mir keine Sorgen mehr gemacht, daß wir das hinkriegen können.

 

EVOLVER: Apropos Sorgen: Kann man mittlerweile von Kettcar leben?

 

Erik: Ja, schon seit ca. eineinhalb Jahren. Ich mache seit 12, 13 Jahren Musik in Bands und war dabei immer extrem erfolglos, mußte oft genug noch was draufzahlen. Und daß ich jetzt wirklich meine Miete davon bezahlen kann, ist gerade für mich ein besonderes Ding. Ich hab in Hamburg eine Zeitlang im Bauwagen gelebt, weil ich kein Geld hatte für eine Wohnung. Das war letztendlich aber auch eine tolle Lebenserfahrung. (lacht)

Ich hab mir oft Gedanken gemacht: Was soll ich immer so Scheiß-Jobs machen, nur damit ich jeden Monat irgendwelchen Arschlöchern 300 Euro in den Hals stecken kann? Jetzt krieg ich das Geld durch eine Tätigkeit, die einfach mein absoluter Traumjob ist. Doof das so zu sagen, es ist halt so. Ich kann's nicht fassen, daß ich soviel Glück gehabt habe. Ich weiß aber auch, wie schnellebig das Business ist und bin auch jederzeit darauf vorbereitet, daß es wieder anders kommen kann. Wir sind eben alle schon etwas abgeklärter in der Band, sind alle schon etwas länger dabei, ich bin da noch der Jüngste mit 28.

 

EVOLVER: Wie groß war denn die Versuchung, zu einem Major zu gehen und dafür einen dicken Produktionsvorschuß abzukassieren?

 

Erik: Die war überhaupt nicht gegeben. Einerseits sehen wir, was wir Gutes tun mit unserem Kleinlabel Grand Hotel van Cleef, andererseits auch bei anderen Bands, wie die von Labels – auch von Indies - eiskalt abserviert werden. Die bringen eine Platte raus, die wird nicht genug promotet, zack, die Band gibt’s nicht mehr ...

Außerdem haben wir mittlerweile auch alle unseren Stolz. Wir wollten zu einem Major gehen zu Beginn, da hat uns keiner genommen. Jetzt machen wir’s so und treten ihnen in den Arsch. Weil wir ihnen zeigen, daß wir die Platten auch so verkaufen. Ohne Business-Strategien und den ganzen Kram.

 

EVOLVER: Wie läuft das Label sonst so?

 

Erik: Also, ein richtiges Minusgeschäft ist keiner der Acts. Die großen Flaggschiffe sind natürlich Kettcar und Tomte. Ohne die beiden hätte das Label so nicht existieren können.

 

EVOLVER: Nach welchen Kriterien werden die Artists ausgewählt?

 

Erik: Das Label besteht im Grunde aus drei Leuten, Marcus, Reimer und Thees. Hauptkriterium ist, daß alle drei bedingungslos ja sagen müssen zu einer Band. Natürlich sollten nach Möglichkeit auch gute Leute dahinter stehen. Wobei mit Death Cab For Cutie und Maritime auch Acts gesigned wurden, die man persönlich nicht kannte.

 

EVOLVER: Man hat euch von Beginn an kaum mit anderen Bands verglichen und hört auch jetzt kaum jemals den Vergleich, daß sich eine neue Band anhört wie Kettcar. Ihr habt es quasi mit einem einzigen Album zur Referenzgröße gebracht. Wie ist das zu erklären?

 

Erik: Ganz sicher durch Marcus’ Stimme, seine Texte. Bei der Musik ist das schwerer zu sagen. Wir haben unsere musikalischen Wurzeln im englischen und amerikanischen Gitarrenrock jeglicher Couleur, von Pop bis Punk. Ich glaub auch nicht, daß Kettcar vom musikalischen her so einzigartig ist.

 

EVOLVER: Generell scheint es derzeit im Deutschen Pop auf allen möglichen Seiten ein besonderes Bedürfnis zu positionieren, sich zur Heimat positionieren. Wie seht ihr diese Entwicklung?

 

Erik: Kettcar wird sich nie daran beteiligen, Musik an einem Konstrukt wie dem einer Nation festzumachen. Sowas ist völlig irrelevant. Wenn nun Bands wie Mia oder Virginia Jetzt teilweise sehr unbefangen mit deutscher Geschichte umgehen, vermute ich, daß das aus einer gewissen Naivität geschieht. Die haben ja auch auf den Deckel gekriegt dafür. Ich würde da nix Böses unterstellen.

Ich mache meine Heimat nicht an Grenzen fest. In Hamburg steht z. B. ein schöner Satz an der Hamburger Kunsthalle in Stein gemeißelt: "Heimat ist eine Gemeinschaft der Gefühle." Das hab ich durch viel Reisen schon sehr früh festgestellt. Heimat ist Freunde, Familie - und keine Nation. Man sollte sich als deutsche Band eben einen Gedanken mehr machen als Bands aus anderen Ländern.

Christoph Prenner

Kettcar - Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen


Grand Hotel van Cleef/Wohnzimmer (D 2005)

 

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