Kino_Kung Fu Hustle

Shanghai Surprise

Ist diese Kung-Fu-Groteske die komische Mutter aller Martial-Arts-Filme? Auf jeden Fall sprengt sie respektlos die Grenzen der Schwerkraft und des guten Geschmacks. Action extrem.    02.06.2005

Bitte anschnallen! Es könnte nämlich sein, daß zartbesaitete Seelen und Asienkino-Novizen bei einem der irrwitzigen Szenensprünge und bewußt tief angelegten Pointen aus der Kurve fliegen. Aber das muß selbst der "Godfather of Kung Fu", Bruce Lee, neidlos anerkennen: eine gezielte "Buddhas Handfläche" wirkt allemal durchschlagskäftiger als sämtliche Kraniche, Todeskrallen und 36 Shaolin-Kammern zusammen.

Dabei beginnt die rasante Berg- und Talfahrt durch viele Genre(un)tiefen noch ganz zivil mit einem blutigen Shootout mitten auf einer Hauptstraße, mit abgetrennten Extremitäten, kleidsamen Maschinenpistolen und einem Ballett der brutalen "Axt-Gang". Diese gestylt gefilmte Eröffnungssequenz erinnert stark an "High Noon", "Das Valentinstag-Massaker", "Gangs of New York" und "Zatoichi" – und macht von Beginn an klar, daß Regisseur Stephen Chow mit Sachkenntnis quer durch die westliche und fernöstliche Kinogeschichte zitiert, daß selbst einem Quentin Tarantino schwindelig würde, der ebenfalls mit Anspielungen auf "Kill Bill" präsent ist. Die beilschwingenden Urheber des Massakers sind wegen ihrer Geldeintreibereien im Shanghai der 40er Jahre sehr gefürchtet, üben aber auf den Möchtegern-Gangster Sing (Stephen Chow) und dessen naiven Freund (Chi Chung Lam) große Faszination aus – die beiden wollen unbedingt aufgenommen werden. Nur die Bewohner des Slumviertels "Schweinestall", das unter der Kuratel einer übellaunigen, kettenrauchenden Vermieterin in Lockenwicklern (Qiu Yuen) steht, leisten der Kleinmafia erbitterten Widerstand. Bei einem atemberaubend artistischen Kampf erweisen sich der ansässige Schneider (Chiu Chi Ling), Coolie (Xing Yu) und der Bäcker Donut (Dong Zhi Hua) als berühmte, in Ehren ergraute Kung-Fu-Kämpfer, die hier sozusagen undercover leben. Als sich auch das derangierte Vermieterehepaar als sagenumwobene Kampflegenden enttarnt, sinnt der gelackte Oberganove auf Rache. Dafür engagiert er den wahnsinnig gewordenen, älteren Martial-Arts-Meister The Beast (70er Jahre-Star Siu Lung Leung) und als Mittelsmann endlich auch Sing. Dieser muß aber nach einigen denkwürdigen Begegnungen mit der Vergangenheit und körperlichen Veränderungen die Sache mit Gut und Böse erst mal neu überdenken.

 

Die marginale Handlung dient allerdings nur als Gerüst für überbordende Schauwerte, die "Kung Fu Hustle" in zielsicherer Dynamik abfeuert und dabei Musicals, Stummfilmslapstick, Hollywood-Action à la "Matrix" und Eastern ebenso strapaziert wie Looney-Tunes-Cartoons. Eine so noch nicht gesehene, perfekt nachgestellte Verfolgungsjagd Marke Roadrunner und Bugs Bunny, allerdings mit Realmenschen, ist dann auch einer der Höhepunkte des jüngsten Boxoffice-Hits aus Hongkong. Die Fightsequenzen sind originell und grandios inszeniert (von den "Matrix"-Choreographen Yuen Wo Ping und Sammo Hung), die Special Effects gelungen, das inkludierte Filmquiz oft heiter und der Showdown mit Sing alias "The One" gehört in seiner Überzogenheit zum Besten, was man in letzter Zeit in der Richtung sehen konnte. Dazwischen aber begibt sich die Actionkomödie in geschmacklose Niederungen, die erklären, warum chinesischer Humor nicht zu den weltweit geschätztesten gehört und die den lupenreinen Genuß ziemlich trüben. Etwa ein oft und gern ins Bild gereckter halbnackter Männerpo als Running Gag ist irgendwie nicht lustig und irritiert nach dem 20. Mal beträchtlich. Solche Entgleisungen lassen einen immer wieder zweifeln, ob man nun einen der schlechtesten oder besten Hongkong-Movies aller Zeiten sieht, es schwankt eben auch dabei extrem.

"Kung Fu Hustle" ist die siebente, mit massig Preisen bedachte Regiearbeit von Stephen Chow und sein 61. Film als Schauspieler. Der 41jährige spielt auch die Hauptrolle, war Produzent und Drehbuchautor und ist in seiner Heimat ein gefeierter Star, der auch schon an der Seite von Chow Yun-Fat agierte. Seine Filme wie "Shaolin Kickers" (2001) oder "The King of Comedy" (1999) waren Publikumserfolge. Und er ist eindeutig der attraktivere Jackie Chan. Trotz kleiner Schwächen ist dieses Überraschungspaket ein definitives Must-see für Fans des Asian Cinema, vor allem für jene, die von den in ihrer gefrorenen Ästhetik erstarrten Historienkostümschinken à la "House of Flying Daggers" schon ein bißchen übersättigt sind. Hier geht es erdig zu.

Klara Musterfrau

Kung Fu Hustle

ØØØ 1/2


Hongkong 2004

99 Min.

dt. Fassung und OF

Regie: Stephen Chow

Darsteller: Stephen Chow, Wah Yuen, Qiu Yuen u. a.

 

Links:

Kommentare_

Kino
Last Days

Smells like Selbstmord

Die letzten Tage von Grunge-Rock-Idol Cobain bebildert Gus Van Sant als symbolreiches Stoßgebet. Langsam und unglamourös wird das private Sterben stellenweise zur Geduldsprobe.  

Kino
Manderlay

Sklaven und Herren

Der zweite Teil von Lars von Triers Anti-Amerika-Trilogie rechnet mit Rassismus und Sklaverei ab. Ein zwiespältiges Lehrstück eines richtigen Zynikers über falsche Moral und die Folgen.  

Kino
Der wilde Schlag meines Herzens

Herzrhythmusstörung

Der beste neue Scorsese kommt aus Frankreich. Das Porträt des 28jährigen halbkriminellen Tom ist ein echter Glücksfall von Film: hart, intensiv, unberechenbar und gut.  

Stories
Viennale 05: Rückblick

Wake Me Up Before You Go

Die Viennale ist zu Ende und hinterläßt zermürbte Filmfreunde. Selten zuvor hat man eine solche Konzentration von belanglosen Filmen über sich ergehen lassen müssen.  

Stories
Viennale 05: Manderlay

Sklaven und Herren

Der zweite Teil von Lars von Triers Anti-Amerika-Trilogie rechnet mit Rassismus und Sklaverei ab. Ein zwiespältiges Lehrstück eines richtigen Zynikers über falsche Moral und die Folgen.  

Stories
Viennale 05: Eli, Eli, Lema Sabachtani?

Selbstmord, Sounds und Science Fiction

Nahrung fürs Auge, Lärm für die Ohren, Balsam fürs Gehirn: Der neue Ayoama kreist um Selbstmord und Science Fiction und taucht uns in ein Meer aus Geräuschen und hypnotischen Bildern.