Kino_Monster

Der Domino-Effekt

Nick Broomfield widmete ihr bereits zwei grandiose Dokus, doch nun kommt das Leben der Serienkillerin Aileen Wuornos als Oscar-geschmückte Dramaversion in die Kinos.    15.04.2004

Charlize Theron ist so richtig bedient. Eine Bierdose in der einen, eine Kippe in der anderen Hand und ein schwer beschädigtes Leben im Rucksack, torkelt sie betrunken aus einer Bar. Selbst im Delirium steht ihr die Anspannung noch ins Gesicht geschrieben - in ein vom Alkohol aufgeblähtes Gesicht mit schiefen Zähnen. Sie weiß es nicht, aber ahnt es wohl: Es ist zu spät. Sie werden sie kriegen. Es gibt keinen Ausweg mehr. Doch es hatte für sie auch nie einen gegeben.

Charlize Theron ist das Monster. Charlize Theron ist Aileen "Lee" Wuornos, die erste weibliche Serienkillerin der Geschichte (was streng genommen ganz arger PR-Schwachsinn ist; dazu sei dem geneigten Leser das Hiess/Lunzer-Standardwerk "Die zarte Hand des Todes" ans Herz gelegt).

Nachdem die True Stories der männlichen, von einem psychotischen Geist und/oder (unterdrückten) Sexualtrieb motivierten Serienmorde all der Jeffrey Dahmers und Ed Geins dieses Planeten hinreichend und mehrfach filmisch ausgeschlachtet worden waren, bedurfte es offensichtlich eines Wechsels der Perspektive hin zur weiblichen, der Dauererniedrigung entsprungenen Massentötung, hin zur verlorenen, Unheil magisch anziehenden Hure, die im Herbst 2002 wegen sechsfachen Mordes in Florida hingerichtet wurde.

Regisseurin Patty Jenkins´ Herangehensweise ist dabei auf seltsam ähnliche Art und Weise genau jenem Gefühl der Hilflosigkeit verhaftet, das sich wie ein roter Faden durch die verpfuschte Existenz der Wuornos zog. Wie sich ihr Leben charakterisieren läßt als ewiger aussichtsloser Kampf gegen eine sich immer schnellere abwärts drehende Unheilspirale (Vergewaltigung in der Kindheit, mit 15 bereits Prostituierte) mit ihren bescheidenen Mitteln, jenem der gleichgeschlechtlichen Überlebensliebe zur Kindfrau Selby (großartig, dezent: Christina Ricci) etwa, so gibt sich auch Jenkins´ Annäherung unablässig bemüht und kämpferisch, bemüht, das bislang transportierte Medienbild eines unberechenbaren Monsters posthum geradezurücken. Doch dabei hat sie inmitten dieser Tour de force aus asynchron laufenden Emphase- und Abschreckungsbemühungen erst recht wieder einen Monsterfilm geschaffen. Sieht man einmal von der absolut dümmlichen Vokabel vom "Mut zur Häßlichkeit" (ja: 15 Kilo zugenommen, wir wissen´s schon) ab, mit der einen Wiederkäuermedien zu traktieren trachten, ist es ausgerechnet die Oscar-prämierte, in erster Linie auf physische Wirkung abzielende Leistung von Ex-Model und Immer-noch-Diva Theron, die die Balance zeitweilig gefährlich zum Kippen bringt.

Permanent unter Dampf und Strom, entschlüpft ihr kaum eine Szene ohne gepflegtes Overacting (fast schon ein Running Gag: das verdrossene Nach-hinten-Werfen des angefetteten Haupthaares). Vom Doppelkinn hin zu den zahlreichen Posen muß hier jeder Auftritt, jede Geste krachen und donnern, als ob´s der/die letzte sein könnte. Paradoxerweise offenbart "Monster" seine stärksten Momente aber in seinen dezenteren, leisen Augenblicken: beim verspielten Anbändeln zwischen Lee und Selby in einer Rollschuhdisko, bei einem letzten Durchatmen, bevor alles unweigerlich den Bach runtergehen muß und die Schwelle hin zum Meucheln endgültig und unwiderruflich überschritten sein wird. Bevor der Reihe nach die Menschenleben wie Dominosteine fallen werden.

Christoph Prenner

Monster

ØØØØ


USA 2003

109 Min.

dt. Fassung und engl. OF

Regie: Patty Jenkins

Darsteller: Charlize Theron, Christina Ricci, Bruce Dern u. a.

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