Stories_Dolls

Melancholie unterm Kirschbaum

Während in Japan bereits Zatoichi auf DVD wütet, bekommt unsereins als "Trostpflaster" Kitanos "Dolls" in einer wunderschönen Collector´s Edition zu sehen.    19.04.2004

Daß Kitano Takeshi zu den bedeutendsten Gegenwartsregisseuren Japans zählt, sollte mittlerweile bekannt sein. Seine Filme sind voller Gewalt, aber auch voller Liebe zu den Figuren und deren Schicksal, das er immer wieder in schlichte und dennoch visuell berauschende Bilder packt und mit der Musik Joe Hisashis unterlegt. Nach seinem eher mittelmäßigen, aber nett anzusehenden Gangster-Spektakel "Brother" wandte sich Kitano-san wieder stilleren Gefilden zu und lieferte mit "Dolls" eine berührende Geschichte, basierend auf drei ineinanderverwobenen Episoden und zusammengehalten von Chikamatsu Monzaemons Bunraku-Stück "Der Bote der Unterwelt", einer - surprise! - tragischen Love-Story.

Erzählt werden die Geschichten dreier (Beinahe-)Paare. Da wäre zum einen der junge Matsumoto auf seinem Weg zum Traualtar, um in die reiche Familie seines Bosses einzuheiraten. Als er erfährt, daß seine große Liebe Sawako, die er des schnöden Mammons wegen verlassen hat, nach einem Selbstmordversuch im Sanatorium dahinvegetiert, läßt er die Hochzeitsgesellschaft kurzerhand stehen, um mit Sawako zu flüchten. Verbunden durch eine rote Kordel, ziehen sie seither als die "aneinandergebundenen Bettler" durchs Land.

Episode zwei handelt vom Oyabun Hiro, der ebenfalls - der Yakuza-Karriere wegen - seine damalige Geliebte im wahrsten Sinne des Wortes sitzengelassen hat. Seit damals wartet sie jeden Samstag auf derselben Parkbank mit einer Lunchbox darauf, daß er - wie einst versprochen - zu ihr zurückkehrt.

Episode drei dreht sich um Nukui, einen eingefleischten Fan des Nippon-Pop-Sternchens Yamaguchi Haruna, das - durch einen schweren Autounfall entstellt - ein Erimitendasein führt. Um dennoch in die Nähe seiner Angebeteten zu kommen, blendet sich Nukui kurzerhand. Den roten Faden, der sich dabei durch die drei Geschichten zieht, stellen die beiden Bettler mit besagter Kordel dar.

Wenn Kitanos Figuren, in Yamamotos Gewänder gehüllt, unter den Kirschblüten dahinwandeln, drängen sich einem unweigerlich Reminiszenzen an Mizoguchis "Ugetsu mogatari" oder Shinodas "Under the Cherry Blossoms" ins Gedächtnis. Die gewählten Motive und die für Kitano erstaunlich farbenprächtig verspielte Komposition existieren dabei nie um ihrer selbst willen; es ist stets die jeweilige Geschichte, die den Zuseher an den elegischen Film fesselt.

In dem subtil und zartfühlend inszenierten Werk begleitet man die Charaktere auf ihrer Reise ins Nirgendwo der Gefühle und empfindet "Dolls", je nach eigener Gemütslage, als Sammelbecken naiver, unbefleckter Liebe oder aber ausgelebten Narzißmus. Dazwischen blitzt spärlich, aber doch der typische Kitano-Humor auf, den man ob seiner Seltenheit hier umso mehr zu schätzen weiß.

Ein erfreuliches Wiedersehen gibt es im übrigen mit einigen der von Kitano gewählten Schauspieler. So hat man Kanno Miho noch bestens aus Horrorstreifen wie Satos "Eko Eko Azarak", Oikawas "Tomie" oder Ochiais "Hypnosis" im Gedächtnis, und Nishijima Hidetoshi kennt man aus Kurosawas wunderschönem "License to Live". Aber auch an Yakuza-Boß Tatsuya Mihashi erinnert man sich vielleicht noch aus der einen oder anderen Cushingura-Verfilmung oder den Kurosawa-Akira- Streifen "The Bad Sleep Well" sowie "High & Low". Und zum Abschluß die alte Frau auf der Bank - Matsubara Chieko, die in jungen Jahren oftmals in Suzuki-Seijun-Streifen mit dabei war, sowie in Hasebes trashig-charmantem "Black Thight Killers" (als US-DVD zu beziehen über Image Entertainment).

Auch wenn "Dolls" im Vergleich zu anderen Werken des Regisseurs kein Meisterwerk ist (Kitano hat sich die Latte mit "Sonatine" & "Scene at the Sea" selbst zu hoch gelegt), trägt es trotz alledem seine unverkennbare Handschrift und wird Liebhaber des Zelluloidpoeten garantiert wieder für einige Zeit in die magische Welt des Office Kitano zaubern, auch wenn diesmal etwas mehr Sitzfleisch als sonst vonnöten sein könnte.

An der DVD-Umsetzung sollten sich deutsche und amerikanische Labels ein Beispiel nehmen: Sind die meisten Kitano-Filme immer noch nur als Minimal-Releases mit fest eingebrannten Untertiteln und in nicht gerade berauschender Bildqualität zu bekommen, glänzt die Collector´s Edition von Sunfilm Entertainment bereits bei der Verpackung des Doppel-DVD-Sets: technisch schlicht, aber hübsch mit dem Postermotiv aufbereitet, das dazupassende Booklet gestaffelt gefalzt. Doch vor allem der Inhalt der Bonus-DVD begeistert, bekommt man doch neben unkommentierten Aufnahmen von den Dreharbeiten und Kitanos Besuch in Venedig ein ausführliches Interview mit dem Regisseur sowie seinen Hauptdarstellern und Modezar Yamamoto zu sehen. Natürlich alles mit deutschen Untertiteln (wer japanische DVDs sein eigen nennt, weiß dies um so mehr zu schätzen, weil dort vorhandenes Bonusmaterial - sofern man es im japanischen DVD-Menü-Dschungel überhaupt entdeckt - leider nie über Untertitel verfügt).

Fazit: Mit der Collector´s Edition von "Dolls" hat Sunfilm die DVD-Umsetzung eines japanischen Films gezaubert, wie man sie sich öfters wünschen würde.

 

Jürgen Fichtinger

Dolls

ØØØØØ


Sunfilm (Japan 2002)

DVD Region 2

ca. 108 Min. + ca. 74 Min. Zusatzmaterial, dt. Fassung oder jap. OF mit einblendbaren dt. UT (DTS/DD 5.1/2.0)

Features: Interviews mit Regisseur Kitano, Designer Yohji Yamamoto und den Darstellern, "Scenes from the shoot", Originaltrailer, Bio/Filmographien, div. Trailer

Regie: Kitano Takeshi

Darsteller: Kanno Miho, Nishijima Hidetoshi Mihashi Tatsuya u. a.

 

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