Stories_Internet-Aufteilung

Die Sieger wollen die Beute

Amazon, E-Bay & Google schicken sich an, das Web zu übernehmen - doch WWW und die Welt sind mehr als nur AEG. Das findet nicht nur Stefan Becht.    04.05.2004

Wieder einmal überschlagen sich die Meldungen zum Thema "Internet" in den Medien: Gerade erst klagte das Versicherungsunternehmen AXA in Frankreich die Suchmaschinenfirma Google, da bei Suchanfragen mit den Begriffen "Axa" oder "Direktversicherung" Werbung, sogenannte GoogleAds, von Konkurrenten eingeblendet wird. Und sogleich folgt die Nachricht, daß Google nun seinen 768 Seiten umfassenden Börsenprospekt bei der US-Börsenaufsicht SEC eingereicht hat.

Wie wir ja mittlerweile alle wissen, strebt Google geradlinig auf den Börsengang zu - die Investmentfirmen Credit Suisse First Boston und Morgan Stanley wurden mit den Vorbereitungen beauftragt, und schon wird Google in den USA als der "heißeste IPO des Jahres" gehandelt und der Emissionswert mit 10 bis 30 Milliarden US-Dollar antaxiert. Ganze 2,7 Milliarden Stück Aktien sollen wohl innerhalb der nächsten drei Monate verkauft werden.

Doch die eigentlich wichtige Information kam am 1. April 2004 und ist nur die Spitze des Eisberges. Sie war auch, wie Vizepräsident Urs Hölzle und Technikchef Craig Silverstein vor kurzem in einem Interview mit der Zeitschrift "c´t" bekräftigten, kein Aprilscherz: Google, die größte und beliebteste Suchmaschine des Internets, stellte in Amerika einen kostenlosen, mit Werbung versehenen E-Mail-Service namens "Gmail" ins Web. Ein Gigabyte oder 1000 Megabyte Platz für Nachrichten sollen dem Nutzer zur Verfügung stehen, der seine "Gmail"-Mailbox künftig per Volltextsuche durchforsten kann und sich somit das oft leidige Sortieren spart. Finanziert werden soll "Gmail" mit textbezogener Werbung innerhalb der E-Mails. Konkret heißt das: Wenn man in einer E-Mail das Wort "Amazon" verwendet, wird eine Werbung (Textanzeige oder Link) des Web-Händlers eingeblendet. Angeblich wird das alles maschinell und automatisch passieren, wie Hölzle versichert: "Kein Mitarbeiter von uns wird die E-Mails zu Gesicht bekommen."

Auch wer´s glaubt, wird nicht selig. Denn spätestens, wenn die durch Maschinen generierten Werbeeinblendungen einer bestimmten Firma sich in bare Münze umwandeln sollen, wird dies ohne menschliches Händchen nicht funktionieren. Ganz davon abgesehen: Jede (maschinell erstellte) Statistik ist nur soviel wert, wie der Betrachter hinein- oder herausinterpretiert. Und in der Regel ist auch das "nur" ein Mensch.

 

Keksfabrik

 

Wie die Google-Justitiarin Nicole Wong in den USA dieser Tage bestätigte, reicht ein einzelner "Cookie", der dem Nutzer auf die Festplatte geschmuggelt wird, um eine Verbindung zwischen der Web-basierten "Gmail" und Google herzustellen. ("Cookies" sind kleine Web-Applikationen, die im Browser eines Surfers hinterlegt werden, meist zur späteren Identifizierung. Sie werden mit Vorliebe bei Registrierungen bzw. Log-ins gesetzt. Für das "Session-Management" einer Website, also zum Beispiel beim Einkaufen in mehreren Schritten, sind "Cookies" unerläßlich.) Google kann also, in Verbindung mit "Gmail" und seinen anderen Web-Diensten (siehe unten) ein sehr komplexes persönliches Profil eines Nutzers erstellen und vermarkten.

Allein die Tatsache, daß in allen Meldungen zu "Gmail" von "kontextbezogener Werbung" gesprochen wird, offenbart schon das sprachliche Dilemma. Es geht, ganz klar, um Werbeeinblendungen in E-Mails, die sich auf den Text der Nachrichten beziehen - und um nichts anderes.

Google kann sich mit über 200 Millionen täglichen Suchanfragen, über drei Milliarden indexierten Web-Seiten und fast 2000 Angestellten brüsten. Bereits 2001 kaufte das Unternehmen das News-Archiv Deja.com und bietet seitdem auch 650 Millionen Usenet-Einträge an. Im Februar 2003 fraß Google dann Pyra Labs und damit Blogger.com, den beliebtesten Weblog-Dienst, mit über einer Million registrierter Nutzer. "Google News" durchsucht weltweit 4500 Nachrichtenquellen und läuft für Deutschland (700 Nachrichtenquellen) gerade in der Testversion. Was bei Wörtern möglich ist, funktioniert auch bei Bildern - und so kann man bei Google natürlich auch nach Photos und Abbildungen suchen. Und weil bei Google immer noch was geht, gibt es (in einer Betaversion) jetzt auch Froogle: "Smart shopping through Google". Man höre und staune - ab sofort kann man im Web mit Google-Froogle auch einkaufen. Mit anderen Worten: Was es bei Google nicht gibt, gibt´s nicht. Basta.

 

Der totale Gemischtwarenladen

 

Mitte April zeigte dann Jeff Bezos, der Gründer von Amazon, daß auch er immer den Finger am Puls des Web hat. Amazon startete in den USA seine eigene Suchmaschine A9.com nach dem Interface-Vorbild von Google. Das Besondere an A9.com: Web-Suchergebnisse von Google und Alexa, einem weiteren, ebenfalls zu Amazon gehörenden Suchdienst, werden mit Amazons "Search Inside the Book"-Service kombiniert.

"Search Inside the Book" erlaubt es momentan, in ca. 100.000 bei Amazon angebotenen Büchern den gesamten Inhalt nach Stichwörtern zu durchsuchen. Alexa wiederum sucht nicht nur nach Websites zu einer Anfrage, sondern liefert gleichzeitig eine Fülle sogenannter "Site Infos". Wenn man beispielsweise "Süddeutsche Zeitung" eingibt, erhält man auch Informationen über den durchschnittlichen Traffic, der auf der Website des Blattes herrscht, wie viele Besucher da waren, was sie sich auf den Seiten genau anschauten, wohin die Surfer anschließend gingen, welche Links von außen auf die Website führen usw. usf. Das ist ein bißchen so, als würde man einem Ladenbesucher, der gerade zur Tür hereinkommt, zuallererst einmal die kompletten Geschäftsbücher auf die Theke knallen, bevor man ihn überhaupt fragt, was man für ihn tun kann.

Nicht ohne Grund rief Alexa bereits im Frühjahr 2000 die amerikanische FTC (Federal Trade Commission) auf den Plan. A9.com, Amazons neue Suchmaschine, toppt nun das Web-Suchergebnis nochmals mit den zum Suchbegriff passenden Büchern, die es natürlich - wer hätte es gedacht - bei Amazon zu kaufen gibt. Die "Search History" speichert jede Suche auf A9.com, allerdings muß man sich vorher registrieren lassen - außer, man hat das schon bei Amazon erledigt. Die gerade veröffentlichten Quartalszahlen 2004 von "Earth´s biggest selection" (längst hat man sich vom "größten Buchladen der Welt" verabschiedet) sprechen für sich: Umsatz 1,53 Milliarden, Gewinn 111 Millionen US-Dollar. Im Gegensatz zu Deutschland bietet Amazon in den USA bereits über 60 Shops unter einem Dach an - dort kann man nicht nur alles kaufen, vom Gartenrechen bis zur Jeans, sondern auch wieder verkaufen. Mit anderen Worten: Was es dort nicht zu kaufen gibt, gibt´s nicht. Basta.

 

Zum ersten, zum zweiten...

 

Fast wie bei E-Bay, dem mit weltweit über 100 Millionen registrierten Nutzern größten Versteigerungshaus im Web. E-Bay übernahm erst im Januar die dickste Gebrauchtwagenbörse des Internet, mobile.de, für 120 Millionen Euro, und bietet pünktlich zum 1. April bei ebay.de auch Immobilien an. Auch die E-Bay-Zahlen für das erste Quartal 2004 stimmen: Der Umsatz kletterte auf das Rekordniveau von 756,2 Millionen und der Nettogewinn auf 200,1 Millionen Dollar. Wie leicht es ist, bei E-Bay etwas zu verkaufen, sehen wir am Beispiel von Büchern, CDs oder DVDs. Die Eingabe der ISBN- bzw. EAN-Nummer reicht - und die Datenbanken von Libri oder dem Münchner Entertainment Media Verlag liefern die gesamten Daten.

Der Versteigerungsmarktplatz E-Bay ist, abgesehen von kleineren Ausnahmen wie dem österreichischen Unternehmen OneTwoSold, nach der sukzessiven Übernahme der Mitbewerber praktisch konkurrenzlos. 146.000 Online-Läden versammelt E-Bay bereits unter seinem Dach; selbst Quelle betreibt hier einen Shop, und die E-Bay-Tochter PayPal, ein ebenfalls eingekaufter Web-Zahlungsdienst, wickelte im ersten Quartal 2004 Transaktionen im Wert von 4,3 Milliarden Dollar ab. Das sind Zahlen, von denen selbst Web-Euphoriker niemals zu träumen wagten und die all jene Lügen strafen, die das Internet totgesagt haben. Was es hier nicht zu ver- und ersteigern, zu verkaufen oder zu kaufen gibt, gibt´s nicht. Basta.

Amazon, E-Bay und Google, das AEG des Webs, lernen ständig voneinander. Was dem einen Geld bringt, ist dem anderen nur billig. Wenn Google suchen kann, kann das auch Amazon, nur noch ein bißchen ausgefuchster. Wenn E-Bay versteigert, kann Google auch verkaufen. Und wenn Amazon verkauft, kann E-Bay auch die Bilder für Googles Bildsuche liefern, damit man dann bei E-Bay das ersteigern kann, was man bei Amazon kaufen wollte... Oder haben wir da jetzt etwas durcheinandergebracht?

Vielleicht ist ja genau das das Problem. Textbezogene Werbung in privaten E-Mails, doppelregistrierte Nutzerschaften, geschlossene Angebots-, Verkaufs- und Zahlungssysteme, technologisch abgebildete Nachrichtenlandschaften, gekaufte Suchergebnisse - AEG, Amazon, E-Bay und Google versuchen uns sehr geschickt vorzuflunkern, sie seien das Web, das gesamte Web und damit die Welt. Daß das Web längst seine Unschuld verloren hat und damit gutes Geld zu verdienen ist, steht längst außer Frage. Was wir heute wissen wollen, ist: Wer wird das Web dominieren? AEG?

In diesem - durchaus kritischen - Moment ist der größte Feind auch der beste Freund: das Web. Man muß sich nur immer daran erinnern, daß die Welt größer und das Web weiter ist als AEG.

Google auf den Kopf gestellt und von hinten gelesen heißt übrigens "Elgoog" - und unter dieser Adresse findet sich ein kleiner Suchmaschinenroboter, der schon ganz brauchbare Ergebnisse liefert. Es gibt also auch Alternativen.

Stefan Becht

Kommentare_

Akzente
Ein Bild und seine Geschichte #2

Die coole Einstiegsdroge

Stefan Becht macht sich schon wieder Gedanken. Im Mittelpunkt der zweiten Ausgabe von "Ein Bild und seine Geschichte" steht Edward Steichens Ablichtung des Stummfilmstars Gloria Swanson.  

Akzente
Ein Bild und seine Geschichte #1

All Tomorrow´s Parties: Wie im richtigen Leben, nebenan

Stefan Becht macht sich endlich wieder für EVOLVER Gedanken. Im Zentrum seiner Aufmerksamkeit: ein Bild, ein Buch und die Geschichte dahinter. In der ersten Ausgabe dreht sich alles um "I went to the worst of bars hoping to get killed. but all I could do was to get drunk again" von Ciáran Óg Arnold.  

Stories
William Gibson im Interview

"Meine neue Droge ist Jetlag"

Stefan Becht und Markus Friedrich trafen den "Granddaddy des Cyberspace" wieder einmal zum Gespräch - und der EVOLVER präsentiert das Interview erstmals in seiner ungekürzten Fassung. Cyberpunk ist für Gibson "nur noch eine Pantonefarbe im bunten Farbfächer der Popkultur".  

Stories
Web-Welt und E-Book-Reader

Die Rechnung ohne den Wirt

Auf der Leipziger Buchmesse will man uns wieder einmal erzählen, daß bedrucktes Papier der Vergangenheit angehört. Stephan Becht fragt nach, wer am Hype rund ums elektronische Buch verdient: Frißt die Revolution schon ihre Kinder, bevor sie überhaupt begonnen hat?  

Stories
Web-Welt: Amazon kauft Fabric.com

All That Money Can Buy

Kaufrausch ohne Ende: Amazon hat mit der Modestoff-Großhandels-Seite Fabric.com schon wieder einen Zukauf getätigt - und Jeff Bezos beteiligt sich außerdem am Micro-Blogging-Dienst Twitter.  

Akzente
The Experimental Witch

Einer für alle, alle für einen

Bestseller-Autor Paul Coelho läßt seine Leser via MySpace und YouTube seinen Roman "Die Hexe von Portobello" verfilmen. Warum? Stefan Becht weiß Genaueres.