Stories_Web-Welt und E-Book-Reader

Die Rechnung ohne den Wirt

Auf der Leipziger Buchmesse will man uns wieder einmal erzählen, daß bedrucktes Papier der Vergangenheit angehört. Stephan Becht fragt nach, wer am Hype rund ums elektronische Buch verdient: Frißt die Revolution schon ihre Kinder, bevor sie überhaupt begonnen hat?    13.03.2009

Während der Leipziger Buchmesse ist die Lage, was die vielen E-Book-Reader, ihre Vermarktung, Dokumentenformate und Inhalte anbelangt, mehr als unübersichtlich geworden. Es könnte sehr gut sein, daß die vielen Beteiligten im großen Spiel um die "Revolution des Buches" die Rechnung ohne den Wirt gemacht haben. Denn die Frage "Wer kann eigentlich an den E-Books verdienen?" wird bisher eher sträflich behandelt.

Doch verschaffen wir uns erstmal einen Überblick: Das aktuelle Heft des Branchenmagazins "BuchMarkt" versuchte mit seiner Geschichte "E-Book: Das müssen Sie wissen!" eine Orientierung zu geben und arbeitet seitdem auf seiner Website fast im Stundentakt daran, weitere Tips zu geben.

Am 3. März legte der Kollege Helmut Merschmann im Web-Magazin "telepolis" den Verlagen in seinem Artikel Preise runter! noch eine nachvollziehbare und günstige Preisgestaltung bei ihren digitalen Inhalten nahe und erinnerte an den Erfolg von Apple beim Vermarkten von Musik:

 

Von Apple lernen heißt siegen lernen ... daß nur kostengünstige digitale Angebote auf dem Markt eine Chance haben ...

 

Am 4. März stolperte AP-Kollege und Web-Urgestein Peter Zschunke auf der CeBit über den Linux-E-Book-Reader von txtr, den die gleichnamige Berliner Online Text Community auf den Markt bringen wird; während Jürgen Kuri (noch ein Urgestein) bei Heise Online von den "versteckten E-Book-Readern" auf der Messe berichtete.
Als würde das alles noch nicht genügen, verkündete Amazon-Chef Jeff Bezos am Nachmittag des 4. März die Freigabe aller 240.000 englischen Kindle-Bücher von Amazon USA für das iPhone und den iPod Touch. Und schon waren die Karten ganz neu gemischt ...

Ganz freiwillig hat Bezos sicherlich nicht in diesen "Apfel" gebissen. Verantwortlich dafür war vielmehr die kleine, kostenlose Software "Stanza" von Lexcycle aus Portland/Oregon. Das Produkt des erst im vergangenen Jahr gegründeten Unternehmens verbreitet sich seit dem Herbst wie im Flug durch das Web. Die Applikation kann fast alle gängigen E-Book-Reader-Dokumentenformate verarbeiten und sowohl auf PC und Mac als auch auf iPhone und iPod Touch vierfarbig darstellen. Man kann damit E-Books nicht nur im Web finden und herunterladen, sondern auch mit anderen Nutzern teilen, Bibliotheken organiseren etc. "Stanza" ist also auf dem besten Weg, das "html" für E-Book-Reader zu werden.

Im Wissen darum entschied sich Bezos dafür, den Stier bei den Hörnern zu packen: Geteilter Gewinn ist besser als gar keiner. Mit geschätzen rund acht Millionen weltweit verkauften iPhones erscheint dann die (großzügig) vermutete Zahl von 300.000 verkauften Amazon-Kindles in den USA doch eher behaglich. Doch Ratespaß beiseite: Unternehmerisch betrachtet hat Bezos die absolut richtige Entscheidung getroffen. "Stanza" und seine rasante Verbreitung werden dafür sorgen, daß früher oder später E-Book-Texte auf jedem Mobiltelefon, Computer, PDA, Netbook usw. usf. herunterzuladen und zu lesen sein werden. Christian von Zittwitz, Chef der Zeitschrift "Buchmarkt", hat in seiner letzten Redaktionsnotiz bereits darauf hingewiesen: "Das iPhone: Schon jetzt der Reader mit der größten Verbreitung".

 

Womit wir bei der entscheidenden Frage wären: Wer kann am E-Book eigentlich verdienen? Was ist, wenn ab nächste Woche der Buchhandel die nun fast zwei Jahre alten Sony PRS 505 E-Book-Reader in Hülle und Fülle verkauft haben sollte? Und dann? Wo bekommt der Käufer seine Inhalte her? Warum blättert die Buchhandelskette Barnes & Noble, der es gerade nicht sehr gut geht, am 5. März 2009 - also nur einen Tag nach der Amazon-Freigabe seiner Kindle-Texte für das iPhone - satte 15,7 Millionen US-Dollar (in bar) für eine der größten Websites für E-Book-Texte hin? 60.000 Texte sollen "Fictionwise" und Co-Brand "eReader" ("ebooks for your iPhone, Windows Mobile Pocket PC ...") anbieten.

Was hat der stationäre Buchhandel vom E-Book-Angebot von Libri, wo es heißt: "eine große Auswahl an Bestsellern..." und "mehrere Tausend Titel zum Download..." oder gar Libreka, wo "Ab 12. März können über libreka die ersten E-Books gekauft werden" angekündigt wird?

Es könnte sehr gut sein, daß die "Revolution des Buches" für den Buchhandel ins Wasser fällt, bevor sie richtig begonnen hat. Denn er, der stationäre Buchhandel, kann zwar E-Book-Reader verkaufen, aber keine Inhalte dafür. Für dieses Geschäft bearf es keines physischen Ladens. Sicher ist heute jedoch schon eines: Alle Beteiligten am E-Book-Hype haben die Rechnung ohne den Wirt, das Web und "Stanza" gemacht.

Nach wie vor ist der Preis für ein reines Textlesegerät mit rund 300 Euro viel zu hoch und gleichzeitig die Verwendbarkeit viel zu eingeschränkt. Der nun fast zwei Jahre alte Sony-Reader PRS-505 zum Beispiel funktioniert nur an PCs, Mac-Nutzer werden außen vorgelassen. Die deutschen E-Book-Textangebote sind noch recht "übersichtlich". Und es gibt eine Alternative, die jetzt schon sehr viel mehr kann als nur Texte lesen: das iPhone. An der Umsetzung von "Stanza" für das GPhone von Google sitzen die Entwickler von Lexcycle nach eigenem Bekunden bereits.

Gewinner wird es trotzdem geben. Daß einer davon der stationäre Buchhandel sein wird, müssen wir dabei bezweifeln. Digitalität ist, wie es uns der schon legendäre Nicholas Negroponte vom MIT Lab bereits 1995 in einem Gespräch erzählte, "frei, nicht ortsgebunden und jederzeit verfügbar" - und: "Die neuen Multinationalen werden global mit Bits handeln und können kleine Unternehmen mit drei, vier Menschen sein. Sie können schnell, flexibel und weltweit agieren, eben weil sie mit Bits und nicht mit Atomen handeln werden." Wie recht der Mann doch hatte.

Zu lernen wäre von jemanden wie Christoph Kaufmann aus Berlin: Der gelernte Buchhändler betreibt seit 2006 die Website "beam", die sich ganz auf E-Book-Texte konzentriert. Gerade mal mit acht Titeln gestartet, hat Kaufmann inzwischen mehr als 10.000 deutsche E-Bücher im Angebot, natürlich auch für das iPhone, dank "Stanza". Sein Wachstum, sagt er, sei stetig - und trotzdem hält er den Hype, den es gerade ums E-Book gibt, für übertrieben. "Der Buchmarkt wird durch das E-Book nicht revolutioniert werden", sagt er und empfiehlt eine pragmatische Sicht auf den Markt.

Vom Untergang des Printmediums seien wir jedenfalls weit entfernt: "Ich würde das am ehesten mit der Einführung des Taschenbuchs vergleichen." Ein treffender Vergleich - und ein Buchhändler, der zu den Gewinnern des E-Book-Hypes zählen wird; einfach, weil er sich in die Web-Welt eingearbeitet hat.

Stefan Becht

Kommentare_

Walter - 14.03.2009 : 13.36
Stanza ist ein Programm. html eine Formatierungssprache. Ansonsten sehr interessanter Artikel. Wobei ich mir nwv nicht vorstellen kann - und das als noch nicht Brillenträger und iPhone-für-alles-Verwender - ein Buch bei Seite zu legen und in das Display meine Telefons zu starren.
Anja - 16.03.2009 : 16.48
Tja, selbst als Brillenträger ung GooglePhone-fuer-(fast)-alles-Benutzerin kann ich mir nicht vorstellen, auf eBooks umzusteigen. Ein Buch ist doch mehr als der Text auf den Seiten...
cp - 16.03.2009 : 21.13
time will tell (und zwar schneller als es allen beteiligten lieb ist). man hat auch lang genug behauptet (vergeblich), daß ein album mehr ist als musik auf einem tonträger.
jf - 17.03.2009 : 11.25
Den Vergleich zwischen Musikdatenträger und Buch finde ich doch etwas holprig. Schließlich muß man ein Buch in den Händen halten, um es zu konsumieren. Musik kommt so oder so aus den Lautsprechern.
cp - 17.03.2009 : 22.05
das stimmt freilich. allerdings wird's nach einer gewissen eingewöhnungszeit auch kein großer unterschied mehr sein, ob man nun echtes gedrucktes oder eben "nur" einen flimmerfreien lesebildschirm vor sich hat (wenn sich's nicht grad um bildbände, comics etc. handelt). entscheidender noch als bei cds ist hier sicher die platzproblematik: bücher nehmen einem doch erheblich viel platz weg - und wieviel prozent davon liest man öfter als ein-, max. zweimal? noch kann ich mir das eh auch nicht ganz vorstellen. aber in einigen jahren wird uns die diskussion hier schon eher amüsieren.

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