Kino_Vergiss mein nicht!

Gedächtnis(tr)übungen

Eraserheads: Jim Carrey und Kate Winslet wollen in einem weiteren umwälzenden Charlie-Kaufman-Headtrip ihre Liebe zueinander ausradieren. Als ob das so einfach wäre...
   19.05.2004

Bad news first: Der deutsche Verleihtitel dieses zweiten Spielfilms des sehr exzentrischen (weil sehr französischen) Videoregisseurmeisters Michel Gondry (u. a. Clips für The White Stripes, Beck, Björk etc.) ist eine Frechheit, eine dreiste Verkürzung des wunderbar poetischen englischen Originaltitels, der sich aus einem Gedicht Alexander Popes herleitet ("The world forgetting, by the world forgot: Eternal sunshine of the spotless mind! Each prayer accepted and each wish resigned") - kurzum eine Beleidigung jedweden Intellekts. Doch genug der Kritik und hinein in eine Würdigung, die wohl gar nicht umfassend genug ausfallen kann.

Denn "Eternal Sunshine" ist ein absoluter, weil sehr rarer Glücksfall von Film, wie man ihn nur alle paar Jahre findet, einer aus der Kategorie, die einen packt und für Tage und Wochen nicht mehr los-, sondern mit einem Gefühl der positiven Benommenheit und schieren emotionalen Überwältigung zurückläßt. Einem Zustand, der sich so ähnlich auch bei "Lost In Translation" und "Punch-Drunk Love" einzustellen wußte, beide ebenso RomComs wie diese hier. Und es mutet schon wie ein besonders denkwürdiges Paradoxon an, daß sich ausgerechnet aus dem vermeintlich klischeeverseuchtesten Genre aller Zeiten die derzeit innovativsten Filmentwürfe herausarbeiten lassen. Wenngleich die Parallelen zu besagten Werken auch mehr als evident scheinen, da Gondry eben ein weiterer im Bunde innovativer Regie-Offsprings (S. Coppola, P. T. Anderson) ist, der sich mit Hilfe von bislang eben noch als Klamaukbeutel durchgehenden männlichen Mimen (Murray, Sandler, hier: Carrey) an reichlich imaginativen, bildgewaltigen, herzblutversetzten Umdeutungen des Boy-meets-Girls-Sujets versucht. Aber dennoch ist "Eternal Sunshine" noch um ein kaum für möglich gehaltenes Quentchen vielschichtiger, faszinierender und außergewöhnlicher geraten.

Das dürfte nicht zuletzt auch an der Drehbuchvorlage von Charlie Kaufman liegen, der bereits für hirnschmalzaufsaugende Meisterwerke wie "Being John Malkovich", "Adaptation" und eben auch Gondrys (im direkten Vergleich sterilen) Erstling "Human Nature" in Kreativbelangen verantwortlich zeichnete. An einem jener grauen Februarmorgen, die weder Sonnen- noch sonstiges Licht für die Einsamen dieses Planeten bereitstellen (vor allem, wenn der Valentinstag unmittelbar bevorsteht), trifft der von Neurosen geschüttelte, jeglichem Herzensglück abholde Joel (Carrey) in der Bahn auf die manisch-hyperaktive, knallbunthaarige Clementine (Kate Winslet). Wie es scheint, ist dies eine zufälliges Begegnung - und doch breitet sich eine seltsame Magie (und zugleich Widerspenstigkeit) zwischen den beiden Sonderlingen aus, die sie den Abend miteinander verbringen läßt. Was beide nicht (mehr) wissen: Im Anschluß an ihre gemeinsam durchlebte Beziehungskatastrophe hat sich zuerst Clementine und danach - aus lauter Gram darüber - auch Joel einer professionellen Gehirnwäsche, die die unliebsame Vergangenheit auszuradieren vermag, bei einer ominösen Firma namens Lacuna, Inc. unterzogen.

Aus der ohnehin schon irrsinnigen Konstellation leiten sich danach ganz essentielle Fragen ab: Was macht einen Menschen aus, wenn (er) bestimmte Erinnerungen verschwinden (läßt)? Ist die Liebe wirklich bloße Kopf- oder vielmehr Bauch- und Herzensangelegenheit? Kann sie (mitsamt ihren Schattenseiten) überhaupt jemals ganz ausgelöscht werden? Und will man das überhaupt? Ist zu guter Letzt doch wieder alles Vorbestimmung und Schicksal?

Diesen avancierten Gedankenspielen nähert sich das Gespann Gondry-Kaufman in unnachahmlich vertrackter Manier mittels Zeitschleifen sowie wilden Orts- und Gedankensprüngen gewohnt nonlinear und elliptisch. Dabei ist es schon hochgradig faszinierend, mit welch teils klassischen Stilmitteln (was für ein fabelhaftes Set-Design!) das Team um Gondry und Kamerafrau Ellen Kuras fernab öden CGI-Zaubers die wunderlichsten und wunderbarsten (Gedanken-)Welten kreiert, in denen sich ein unfaßbar guter Jim Carrey (der eben zum ersten Mal nicht sich selbst spielt, sondern hundertprozentig in der Rolle aufgeht) auf die Suche nach der Liebe, ihrem Verschwinden und dem Wiederfinden macht. Um schließlich zur Erkenntnis zu gelangen, daß manche Dinge im Leben eben unvergeßlich sind. Genauso wie dieses Meisterwerk.

Christoph Prenner

Vergiss mein nicht!

ØØØØØ

(Eternal Sunshine of the Spotless Mind)


USA 2004

108 Min.

dt. Fassung und engl. OF

Regie: Michel Gondry

Darsteller: Jim Carrey, Kate Winslet, Kirsten Dunst u. a.

 

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