Kino_The Day After Tomorrow

Leise rieselt der Schnee

Nach "Independence Day" und "Godzilla" zerstört Roland Emmerich diesmal nicht nur amerikanische Großstädte, sondern gleich die ganze Welt. Scheißwetter, die dritte.    27.05.2004

Hinter uns die Sinnflut – vor uns die Eiszeit. So könnte man Roland Emmerichs "The Day After Tomorrow" kurz umschreiben, würde der Film ein echtes Anliegen transportieren und nicht nur plakative Bilder. Der aus dem schwäbischen Sindelfingen stammende Regisseur läßt die apokalyptischen Reiter in Form von "Superstürmen" und einer neuen Eiszeit über die Welt toben, enthält sich aber jeder ernsthaft kritischen (oder gar politischen) Botschaft. Die neue Eiszeit, die am Ende des Filmes beginnt, ist ein unaufhaltsames Naturereignis, das durch die Mithilfe des Menschen nur ein bißchen früher passiert als ohne ihn.

Die globale Erwärmung, die letztlich zum Abschmelzen des polaren Eisgürtels und zum Zusammenbruch des Nordatlantikstroms führt, der die nördliche Hemisphäre mit Wärme versorgt, ist ein Teil des Lebenszyklus der Erde - und hat sich in der Vergangenheit bereits mehrmals ereignet, zuletzt vor etwa 8000 Jahren. Diese Entdeckung macht der Paläoklimataloge Jack Hall (Dennis Quaid), der die Vergangenheit des Erdklimas erforscht und plötzlich von der Gegenwart eingeholt wird. Sein Modell eines plötzlichen Klimawechsels wird über Nacht Realität. Der Nordatlantikstrom versiegt, wodurch es zu extremen Wettersituationen kommt, die schließlich im "Supersturm" münden. Die Zivilisation bricht zusammen, halb Amerika muß nach Mexiko evakuiert werden, die Welt versinkt in Eis und Schnee - so wie es das Autorengespann Whitley Strieber/Art Bell in seinem Buch "The Coming Global Superstorm" bereits im Jahr 2000 vorausgesagt hat.

"The Day After Tomorrow" deshalb als Ökothriller zu bezeichnen (oder irgendwas anderes mit Öko- als Vorsilbe), wäre allerdings naiv. Er geht als im ersten Crashtest als spannender Film durch, bei dem vor allem die Effekte positiv auffallen. Offenbar freute sich Emmerich, daß er nach "Independence Day" den großen Apfel ein zweites Mal entkernen durfte. Ganz biblisch läßt er dem (außerirdischen) Feuer nun das Wasser folgen, und das mit ausgereifteren Tricks. Sein Katastrophenfilm lebt von den großen Bildern der Verwüstung - wenn Hurricans mitten durch Los Angeles ziehen oder Liberty Island unter einer Flutwelle versinkt und nicht wieder auftaucht. Der Rest ist solides Handwerk ohne übertriebenen Humor und leider auch ohne besondere Handschrift.

Emmerich inszeniert nach Hollywood-Schema: Alles ist so einfach wie möglich aufgebaut, Stereotyp auf Stereotyp. Die Figuren gewinnen nicht an Tiefe, sind gut gespielt und doch egal. In Erinnerung bleiben vielleicht Dennis Quaid und die Frage, seit wann er so verschwollen aussieht. (Beeindruckend sind übrigens auch die schottischen Protagonisten, die allsamt schwere Leber- und Nierenleiden zu haben scheinen.)

Wie es sich für einen Film gehört, der als Blockbuster konzipiert wurde und daher auch vom Durchschnittsamerikaner verstanden werden will, wird gnadenlos schubladisiert. Der Vizepräsident (Kenneth Welsh) wird bis ins letzte Drittel als bornierter Republikaner stilisiert. Erst als der Präsident auf der Flucht erfriert (und mit ihm Millionen Amerikaner), wird der Vize geläutert. Das ist eine recht einfache Schablone, die keine Grautöne zuläßt. Mit dementsprechend wenig Anteilnahme beobachtet man die Figuren auf der Leinwand. Fast sorglos kann man den Leuten beim Erfrieren zuschauen; alles wirkt ein bißchen wie aus der Ferne beobachtet und ohne emotionales Beiwerk, da die Charaktere nie zu eigenständigem Leben erwachen.

In "The Day After Tomorrow" erfahren wir unter anderem, daß Europa unter einer so dicken Eis- und Schneedecke begraben ist, wie sie sich die Wirte in Kitzbühl und Sölden jeden Winter wünschen würden. Wie es aber beispielsweise in Berlin zugeht, wenn das Kaufhaus des Westens bis zum vierten Stock zugeschneit ist, verrät uns Emmerich allerdings nicht. Das eiszeitliche Schicksal von Sindelfingen ist ebenfalls nicht dokumentiert - lediglich nach England riskiert der Schwabe einen intensiven Blick. Dort muß die königliche Familie ausgeflogen werden, weil die Straßen zugeschneit sind. Schon beim ersten Versuch gehen drei Hubschrauber verloren, weil sie in eine "Mega-Zelle" geraten, in die Luft aus der oberen Atmosphäre mit minus 100 Grad strömt (eine "Adaption" des 1901 gefundenen Berezowka-Mammuts, das im zoologischen Garten von St. Petersburg bewundert werden kann. Es hatte unverdaute Blumenreste im Magen, was auf einen sehr plötzlichen Temperatursturz von 27 Grad auf minus 100 Grad hindeutet).

Die Logik im Film kommt bisweilen zu kurz. Da gehen beispielsweise der Doktor und sein liebes Team zu Fuß nach New York, kommen an Philadelphia vorbei und passieren dann die Freiheitsstatue, bevor sie Manhattan erreichen. Gut, das Meer ist zugefroren - aber die Route ist doch ein wenig eigenwillig. Einen Mangel an Sinnhaftigkeit sagen dem Film auch verschiedene Meteorologen und Klimaforscher nach, die ein derartiges Szenario für übertrieben bis unrealistisch halten.

Es gibt in Emmerichs neuem Werk vielleicht zwei, drei Momente, die zumindest ein bißchen berühren, doch die dauern leider jeweils nur ein paar Sekunden. Im Strom der Spezialeffekte geht etwa die bescheidene Szene unter, in der auf dem Computerbildschirm eine zweite Boje einen Temperatursturz im Meer meldet. Die Wissenschaftler stehen vor dem Monitor, und wir ahnen, daß es jetzt losgeht; dann meldet eine dritte Boje Alarm, und die Szene ist zu Ende. Nur ganz kurz dauert auch die Einstellung gegen Ende, in der Hubschrauber das vom Sturm verwüstete und vom Eis überzogene Manhattan anfliegen. Auf den Dächern der Hochhäuser, die plötzlich keine mehr sind, stehen Überlebende, mit denen keiner gerechnet hätte. Viele. Trotz allem ist noch jemand da. Schnitt.

Dann das letzte Bild: die Erde, von der ISS aus gesehen - ein geläuterter Planet. Fragt sich nur, für wie lange.

Chris Haderer

The Day After Tomorrow

ØØØ


USA 2004

124 Min.

dt. Fassung und engl. OF

Regie: Roland Emmerich

Darsteller: Dennis Quaid, Jake Gyllenhaal, Emmy Rossum u. a.

 

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