Kolumnen_Ausweiskontrolle

Angst macht krank

Nach langer Abwesenheit tritt die "Ausweiskontrolle" wieder ihren Dienst an. Es geht einfach nicht anders, weil: Alles hat sich verändert, nur die Zustände sind die gleichen geblieben. Aber lesen Sie selbst ...    30.07.2009

Mehr als zwei Jahre mußten Sie auf die regelmäßigen "Ausweiskontrollen" verzichten. Ich könnte behaupten, daß es mir leid tut, aber das wäre ziemlich gelogen. Obwohl die "Neuigkeiten aus dem Land des Großen Bruders" nie versiegen, hatte ich plötzlich kein Anliegen mehr. Das ist so, als setzte ein Poet sich hin, um sich durch Schreiben von einer schiefgegangenen Beziehung zu heilen, und nach zwei oder drei Sätzen käme nichts mehr nach, so groß die Liebe auch war. Irgendwie fehlt bei dieser Art der Selbsttherapie das Allgemeingültige - und ähnlich verhält es sich mit der "Ausweiskontrolle". Es gibt Zeiten, in denen es Spaß macht, seinen Zorn so zu formulieren, daß er nicht der eigene bleibt - und auch das Gegenteil. Nur: Ein kaputtes Pendel schwingt nicht.

 

Was sich seit der bisher letzten "Ausweiskontrolle" ("Angst vorm schwarzen Mann", 18. Juli 2007) alles ereignete, ist mit wenigen Worten kaum wiederzugeben, von der "Haider-Verschwörung" bis zur Mediensatire "Pension F." von Hubsi Kramar, die bereits als Skandal galt, bevor noch eine einzige Zeile Text geschrieben war. Immer stärker hat man den Eindruck, daß sich "objektive" Informationsmedien zu Parteiblättern entwickeln, die den Eindruck der Unabhängigkeit erwecken, ohne es auch nur annähernd zu sein. Es mag Ausnahmen geben; und es gibt auch in Österreich eine Reihe von Zeitungen, die den Leser informieren und nicht manipulieren. Leider werden sie immer seltener. Irgendwie hat man den Eindruck, daß sich zwar alles verändert hat, aber die Zustände gleichgeblieben sind - mit wechselnder, schauspielerisch aber nicht abwechslungsreicher Besetzung des Stücks "Pension Österreich".

 

Anknüpfend an eine frühere Story ("Er kommt!", 8. Juni 2006) haben wir deshalb heute gleich mehrere Ausweise zu kontrollieren, wie den von Außenminister Spindelegger oder dem dynamischen Duo Pröll/Faymann: Die erklärten unisono, vom Plan, Österreich solle zwei der freigelassenen Häftlinge des US-Foltercamps Guantanamo Asyl gewähren, so ziemlich das Gegenteil von begeistert zu sein. "Wer ein Problem verursacht, der muß es auch wieder lösen", erklärte beispielsweise Spindelegger. "Wenn es unbescholtene Bürger sind, spricht auch nichts dagegen, ihnen in den Vereinigten Staaten eine Zukunft zu geben"; obwohl Manfred Nowak, UNO-Sonderberichterstatter für Folter, sagt: "Ich glaube, daß das Sicherheitsrisiko gerade bei jenen Personen in den USA ein höheres ist als in anderen Staaten der Welt, die ihnen nichts angetan haben."

 

Werner Faymann, prinzipiell dagegen, möchte aber von jedem, der (möglicherweise) nach "Österreich kommt, verlangen, daß uns bekannt gemacht wird, wer das ist - und dann beginnen wir mit Prüfungen. Unser Asylrecht verlangt, daß man weiß, wer es ist, woher und warum er kommt - dann wird genauestens geprüft." Überhaupt dagegen ist Josef Pröll. Seine Argumentation: Die US-Regierung werde schon gute Gründe dafür gehabt haben, die Leute zum Sonnenbaden auf Kuba zu bitten. Kein Wort über die mittlerweile nachgewiesenen "Retention-Flights", mit denen US-Geheimdienste auf EU-Territorium Menschen entführt haben. Als am Ende der Ära Schüssel noch einmal George W. Bush nach Wien kam, blieb Schüssel keine andere Wahl, als sich öffentlich bei seinem Kumpel nach dem weiteren Schicksal das Folter-Camps zu erkundigen. "I want to close Guantanamo", sagte Bush; zugemacht hat es dann der Obama, und nun will sich niemand mit den (Ex-)Häftlingen auseinandersetzen. Daß Bush in Wien die Schließung von Guantanamo verkündete, Österreich aber nichts mit den Insassen zu tun haben will, hat eine fast schon historische Doppelbödigkeit.

 

Ein bißchen Geschichte geschrieben haben in der ersten Jahreshälfte auch die "Kronen Zeitung", das Pendler-Kleinformat "Heute" und BZÖ-Kultursprecher Gerald Ebinger. Als Hubsi Kramar im 3raum Anatomietheater in der Wiener Beatrixgasse ein Stück namens "Pension Fritzl" aufführen wollte, schäumte die völkische Seele. Ausgewählte Medien, die sich bestimmten politischen Richtungen verschrieben haben, wollten das Stück nicht auf der Bühne sehen. Für ein paar billige Gags verhöhne Hubsi Kramar die Opfer eines Kriminalfalls, der Zeitungsauflagen und Einschaltquoten durch Dauerberichterstattung ständig in die Höhe trieb. Zeitweise waren in Amstetten mehr Journalisten anwesend als Einheimische. Zwei (kurze) Spielzeiten erlebte "Pension F." - und während der Premiere, bei der fast ausschließlich Journalisten (und angeblich auch Zweiblum von der Scheibenwelt) anwesend waren, erlebte das Publikum den medienbekannten Herrn F. dann nur als Randfigur. "Pension F." steht auf irgendeine Art für "Pension Österreich", eine Unterkunft, in der die Verletzungsgefahr zunehmend größer wird. Menschen sind immer schon mißhandelt und gefoltert worden; und trotz aller Aktionen und Sanktionen glaube ich nicht, daß sich das in nächster Zeit ändern wird, weil Gewalt schon im Partnerumfeld beginnen kann. Mit der Menge der Menschen ist auch die Anzahl der Toten gestiegen, auch die der gewaltsam ums Leben gekommenen. Die Zeitungsmeldungen der vergangenen Wochen lassen auf viele Brandherde schließen, vom ethnischen Mord bis zum simplen Amoklauf in der Familie.

 

"Bei der Premiere von 'Pension F.' Ende Jänner waren so viele Journalisten anwesend, daß sie sich schon gegenseitig interviewt haben", sagt Hubsi Kramar am Anfang der Zweitauflage des Stücks (März 2009). "Die ganze Theatergeschichte ist voll mit Stücken, in denen Inzest und Gewalt in der Familie thematisiert werden, die ganze Welt kennt diese Themen, und sie kennt sie insbesondere, weil diejenigen Medien, die nunmehr die Aufführung von Hubsi Kramar verhindern wollen, am allermeisten zur Ausbreitung des aktuellen Anlaßfalls beigetragen haben", meint Gerhard Ruiss von der IG-Autoren in nachrichten.net.

 

Man erfährt etwas, wird berührt, setzt sich hin und beginnt zu schreiben. Zum Beispiel darüber, daß die Wiener Linien ihre Videoaufnahmen um Tage länger speichern darf als die Polizei. Dann plötzlich die Meldung, daß Justizwachebeamte und handverlesene Polizisten nun "Taser"-Waffen einsetzen dürfen. Diese töten das Opfer nicht, sondern lähmen es kurzzeitig durch einen ausgesprochen schmerzhaften Stromschlag, der die Muskeln des Getroffenen in Salzsäulen verwandelt - was die Waffe zu einem idealen Folterinstrument macht. Ihr Einsatz ist am Probanden kaum nachzuweisen, da die einzige "Verletzung" aus zwei Nadelstichen (die Waffe verschießt Nadeln mit Drähten zur Stromübertragung; wobei am Fraunhofer Institut bereits an einer Waffe gearbeitet wird, die keine Drähte mehr braucht, sondern den Stromschock über einen Plasmastrahl erteilt) besteht. Laut einer Studie von Amnesty International sind in den vergangenen paar Jahren gut 400 Personen an den Folgen eines Taser-Einsatzes gestorben. Die Waffe, die ursprünglich unter dem Label "non-lethal weapon" angepriesen wurde, darf mittlerweile nur noch als "less-lethal weapon" vermarktet werden.

 

Dann sitze ich vor zwei Stories und weiß nicht, welcher ich den Vorzug geben soll, weil im Hinterkopf noch drei weitere Themen anstehen. Wie bei dieser Trennungsgeschichte von vorhin sind die tausend Puzzle-Teilchen, aus denen das Bild besteht, plötzlich nicht mehr wichtig. Das schöne am Älterwerden ist, daß man sich leichter von Dingen trennen kann - auch von Ideen. Die Seele färbt sich schwarz: Was ist so schlimm an ein bißchen mehr Videoüberwachung, wenn sich 80 Prozent der Alpenländer dadurch sicherer fühlen, wie Ex-Kanzler Schüssel dereinst behauptete. Man will ja überwacht werden, bloß daß kaum jemand weiß, daß Überwachung mehr ist als eine Videokamera am Karlsplatz (von der Anpeilung von Mobiltelefonen und ähnlichen Aktionen gar nicht zu sprechen). Die tatsächliche Überwachung findet sozusagen im "Back office" statt: die Verknüpfung und Auswertung des in verschiedensten Datenbanken gespeicherten Materials. Und Datenbanken gibt es (nicht nur) in Österreich jede Menge, nur daß diese Tatsache dem gelernten Österreicher ziemlich Blunzn sein dürfte.

 

Ich sitze also im Café Weidinger, wo es noch ein Sardinenbrot auf der Speisekarte gibt, und verliere die Worte. Wenn man schon hundertmal erklärt hat, wie Daten zu Persönlichkeitsprofilen oder Zeit-Weg-Diagrammen verarbeitet werden können, wird man irgendwann einmal müde. Egal, was man darüber schreibt - ich glaube, daß sich die eher nah an Verschwörungstheorien gelegenen Datenschutz-Highlights eher für einen gepflegten Smalltalk an der Bar eignen als für einen Zeitungsartikel, mit dem sich dann jemand den Hintern auswischt.

Überhaupt plaudert es sich bei Wein und Bier recht fein über den "Großen Bruder", den zwar keiner sieht, aber der irgendwo in der Nähe sein muß. Man sitzt beim dritten Manhattan Icetea und erzählt ein paar Grauslichkeiten aus "Orwell Country" - und schon ist man der Held der Stunde. Ab einem Promille herrscht dann Staunen, fassungsloses Staunen darüber, was denn hierzulande nicht alles möglich sei (obwohl das meiste davon ohnehin in der Zeitung stand). Bei mehr als eineinhalb Promille kann die Welle des Volkszorns wirklich hoch schlagen, sodaß sogar die Benzinpreise und die Frage, ob es sich bei Werner Faymann um eine Wachsfigur handelt, in den Hintergrund treten. Ich finde es nicht einmal mehr erstaunlich, genau eine Woche später genau die gleichen Geschichten zu erzählen und genau das gleiche Staunen zu ernten.

Das ist auch einer der Momente, in denen man draufkommt, daß man wirklich schon alles gesagt hat, wie bei dieser Liebesgeschichte vom Anfang. Manche fangen dann an, Gedichte zu schreiben, aber das sollte man unbedingt lassen - und den Mund erst wieder aufmachen, wenn man wirklich was sagen will und sich nicht nur den Kummer von der Seele reimen.

 

Aber irgendwann mag man nicht mehr ständig wiederholen, was in Traiskirchen oder Oberwart los ist oder sonstwo. Da fühlt man sich plötzlich in den Teleshoppping-Kanal auf ATV versetzt, in dem Dr. Jörg Haider zur Förderung des Memorial-DVD- und CD-Pakets Gstanzeln über ein Dirndl singt, das er bald besuchen wird. Daß er ein bißchen zu schnell und mit zu wenig Blut im Alkohol unterwegs war, wird beim Teleshopping nicht erwähnt. Bloß daß sich der Moderator in zwei Dinge verliebt hat: in die unpackbare Kärntner Landschaft und in das zum Verkauf stehende CD/DVD/etc.-Fan-Paket. "Kärnten ist ein Land der Chöre", sagt Haider in einer vor dem 1. Oktober aufgenommenen Videozuspielung, und der Moderator bricht fast in Tränen aus. Danach kommt dann eine Werbung für ein fabelhaftes Mini-Dampf-Bügeleisen und irgendetwas, was Flecken wegmacht, wo vorher gar keine waren.

Und bald ein Jahr nach Haiders Tod beginnen die Verschwörungstheorien zu wuchern wie um die Leiche von Michael Jackson. Ein Attentat auf den ehemaligen Landesfürsten wäre schon im Bereich des Möglichen, Geheimdienste gibt es ja schließlich einige; und auch sonstige "Ungereimtheiten" im Ermittlungsverfahren lassen Petzner fast zu einem Alfred Wormschen Aufdecker wachsen. Wenn man ein paar Wochen nicht in Österreich ist und dann wieder heimkommt, hat sich außer den Benzinpreisen nichts verändert (ja, vielleicht ein Haider weniger, aber wie gesagt, selber schuld). Vor zwei Jahren verschlug es mich im Sommer für vier Tage nach Klagenfurt, Es gab damals keine Bushaltestelle, an der einem nicht der Landeshauptmann entgegenlächelte - meist mit einem menschenleeren und damit sehr realistischen Wörtherseee im Hintergrund, getrachtet in engangliegende Jeans und mit einem Nietengürtel behübscht, mit dem er im Wiener Savoy keine zwei Minuten alleine gewesen wäre.

 

Weg von Kärnten: Was nun geschieht, ist vorerst nicht der Einsatz neuer Überwachungstechnologien (zu der auch Datenbanken gehören) sondern die Optimierung und Weiterentwicklung der bestehenden Systeme sowie die zunehmende Verknüpfung des Datenmaterials. Und es macht so müde, immer wieder die gleichen Dinge zu bekritteln, ohne etwas zu bewirken (selbst im eigenen Bekanntenkreis ist oft ein Gespräch über den richtigen Fischköder wichtiger als Kritik am Aufbau der Alkoholikerdatenbank durch die "Vorsorge NEU"). Medien brauchen Schlagzeilen, Opferschutz ist zweitrangig, und immer mehr beginnen die Klein- und Mittelformate das politische Bild Österreichs nicht mehr nur zu beschreiben, sondern auch zu steuern. Daß Bürgermeister Häupl die Schanigartensaison eröffnet, ist nun einmal wichtiger als jede Naturkatastrophe, die sich zur gleichen Zeit ereignet.

Kurzum: Da bloßes Kopfschütteln über die Ereignisse zu wenig ist, wird der EVOLVER in Zukunft wieder Auweise kontrollieren. Der Wille, die Worte und die Liebe sind zurück ...

Chris Haderer

Ausweiskontrollen


Links zu früheren "Ausweiskontrollen", auf die in diesem Beitrag Bezug genommen wird. Bitte beachten Sie, daß für alle Links natürlich die Unschuldsvermutung gilt.

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