Print_Chuck Palahniuk/Porträt

Master of Puppets

The first rule of Chuck: you talk about Chuck. Seine Bücher erreichen zwar nicht alle die Genialität von "Fight Club" - aber besser als das meiste auf dem internationalen Literaturmarkt sind sie trotzdem noch. Und das ist Grund genug für den EVOLVER, das bisherige Schaffen eines seiner Helden etwas ausführlicher zu betrachten.    22.12.2008

 

Als Chuck Palahniuk vor zwei Jahren das erste Mal in Wien bei einer Lesung im Rabenhoftheater auftauchte, war das Publikum mehr als gespannt: Wie würde sich der Mann benehmen, der die Protagonisten seiner Romane wie Hunde leiden läßt und deren (also unser) gesellschaftliches Umfeld derart verächtlich und zynisch beschreibt? Würden die Fans seiner Bücher einen überheblichen Star und skrupellosen Egozentriker zu sehen bekommen? Einen Freak, der nicht besser ist als eine der beinahe willenlosen Puppen in seinen überzeichneten Geschichten?

Weit gefehlt: Palahniuk betrat kahlgeschoren das Auditorium und zeichnete sich durch sympathische Zugänglichkeit aus. Er trug einen Auszug aus einer seiner unveröffentlichten Kurzgeschichten vor, stellte dem Publikum Fragen über seine Bücher und honorierte richtige Antworten mit der Übermittlung seiner Mail-Adresse und dem Angebot, der wissende Leser dürfe sich jederzeit bei ihm melden; vielleicht käme es ja gar zu einer Einladung in die Heimat des Autors. Anschließend plauderte Chuck ungezwungen mit seinen Fans und signierte Bücher. Ein offensichtlich angenehmer und unkomplizierter Zeitgenosse also, dieser 46jährige Amerikaner mit französisch-russischen Wurzeln, um dessen Lebenslauf- und -stil sich dennoch eigenartige Geschichten ranken...

 

Palahniuk wurde am 21. Februar 1962 in Burbank, Washington geboren, wo er auch aufwuchs. Seine Familiengeschichte ist selbst für amerikanische Verhältnisse stark von Gewalt geprägt. Das fing schon damit an, daß sein Großvater die Oma ermordete - und setzte sich fort, als Chucks Vater vom Ehemann der Geliebten bei einem Techtelmechtel im Auto erschossen und anschließend verbrannt wurde. Inwieweit diese Erlebnisse den Autor geprägt haben, überlassen wir den Hobbypsychologen - fest steht, daß er sich mit unserer gewalttätigen, dekadent-perversen Gesellschaft ganz gut auskennt.

Als Palahniuk Mitte dreißig war, begann er seine Erkenntnisse in Geschichten aufzuarbeiten - nach einem offenbar recht wirksamen Selbsterfahrungskurs. Zuvor hatte er unter anderem als Mechaniker, Filmvorführer, Kellner und Journalist gearbeitet. Außerdem war und ist er Mitglied einer Vereinigung namens "The Cacophony Society", eines Clubs von Männern mittleren Alters, die es sich zum Ziel gesetzt haben, chaotische und anarchistische Aktionen zu liefern, um dem allgegenwärtigen Reglement sämtlicher Lebensbereiche ein wenig Unberechenbarkeit entgegenzusetzen. Die Herren verkleiden sich zum Beispiel als Weihnachtsmänner und besuchen irgendein Städtchen im Nirgendwo der USA. Das wäre ja an sich noch nichts Besonderes, wenn nicht gleich 100 Santas im jeweiligen Kaff für Verwirrung sorgten - und das nicht unbedingt zu Weihnachten.

Neben solch wunderbar zweckfreien Vergnügungen hat Palahniuk genug Zeit gefunden, etliche Bücher zu schreiben. Neun davon sind auf deutsch beim Goldmann-Verlag erschienen. Und lesenswert sind sie, wenn einen die "Chuckeria" einmal erfaßt hat, beinahe alle:

 

Fight Club ist das wohl bekannteste Werk Palahniuks. Die brutale Gesellschaftssatire über einen Versicherungsangestellten und sein Alter ego Tyler Durden, die nachts in "Fight Clubs" die Sau rauslassen, indem sie sich mit anderen gelangweilten Großstädtern prügeln, bis Blut und Zähne den Boden der Arena bedecken, hat längst Kultstatus.

Palahniuk schrieb die dem Roman zugrundeliegende Kurzgeschichte in einer Mittagspause bei der Arbeit. Die Idee kam ihm, als er eines Montags (nach einer Wochendschlägerei, in die er hineingeraten war) völlig ramponiert im Büro erschien und feststellen mußte, daß sich niemand für seine Verwundungen interessierte und alle so taten, als wäre nichts geschehen. Dermaßen unerkannt ein extremes Doppelleben zu führen, faszinierte Chuck und inspirierte ihn zu einer siebenseitigen short story. Ein Verlag ermunterte ihn schließlich, ein Buch daraus zu machen - auf das wiederum David Fincher aufmerksam wurde. Der Rest ist Geschichte.

 

Invisible Monsters wurde vom Verlag Random House erst nach dem bahnbrechenden Erfolg von "Fight Club" akzeptiert. Davor galt das Buch über ein entstelltes Model und einen Hermaphroditen als zu düster und der Leserschaft nicht zumutbar. Inzwischen warten die Fans Palahniuks hierzulande schon ungeduldig auf die Übersetzung des grausamen Märchens über Schönheit und Oberflächlichkeit.

 

Der Simulant ("Choke") erzählt die Geschichte Victor Mancinis, der als Sexsüchtiger mit Aufmerksamkeitsdefizit seine Mitmenschen mittels vorgetäuschter Erstickungsanfälle dazu bringt, ihn zu retten. Weil diese Helden des Alltags nun glauben, für Victors weiteres Wohlergehen verantwortlich zu sein, schicken sie unter anderem auch Geld, um sein offenbar trauriges Leben erträglicher zu machen. Denny, der einzige Freund des Schmarotzers, baut mit Vorliebe Türme aus Steinen und arbeitet in einem Mittelalterdorf für Touristen, wo er sich gern an den Pranger stellen läßt, um sich von den Besuchern demütigen zu lassen. Mit Denny als einzigem Freund und den Sex-Eskapaden mit weiblichen Mitgliedern der Anonymen Sexsüchtigen darf man Victors Dasein getrost als trist bezeichnen - bis Victor die Ärztin Dr. Marshall kennen lernt und sich in sie verliebt. Daß sie etwas Besonderes ist, spürt er sofort ...

Die Filmpremiere von "Choke" fand vor kurzem in Amerika statt. Ob der Streifen genauso ein Erfolg wird wie "Fight Club", bleibt abzuwarten.

 

Auch Flug 2039 ("Survivor") soll demnächst verfilmt werden. Die Story über den letzten Überlebenden der ominösen Sekte der "Credisten", der kurz vor einem Flugzeugabsturz seine Lebensgeschichte auf die Blackbox plaudert, würde jedenfalls Filmstoff genug bieten. Akribisch beschreibt Palahniuk im Roman das Leben des Tender Branson - und scheut auch nicht davor zurück, der geneigten Leserschaft wertvolle Putztips (wie etwa das nachhaltige Entfernen häßlicher Blutflecken aus Anzügen) zukommen zu lassen. Derlei Detail-Informationen erhält der Schriftsteller übrigens nicht zuletzt auf von ihm selbst veranstalteten writer´s parties, wo er seinen Gästen Themen vorschlägt und alle ihren Senf dazugeben. Ob die Idee zu der Sekten-Selbstmordserie, die den Alltag des "Survivor"-Protagonisten schlagartig ändert, ebenfalls auf einer solchen Party entstanden ist, läßt sich schwer ergründen. Die Vorgangsweise scheint auf jeden Fall zu funktionieren.

 

Lullaby bietet ebenfalls ein gutes Beispiel für den Recherchewahn Palahniuks: Er durchforstete eine ganze Serienkiller-Enzyklopädie, um anschließend auf lediglich zwei Seiten einige der Mörder zu erwähnen. So finden sich nun auch die Wiener "Lainz-Schwestern" in einem Buch wieder, in dem es um ein afrikanisches Wiegenlied geht, dessen Verse tödlich sind. "Kinderliteratur" mit starkem impact, sozusagen.

 

Das letzte Protokoll ("Diary") ist erfreulicherweise nicht wirklich der letzte Roman Palahniuks, aber leider auch nicht sein bester. Die Künstlerin Misty lebt auf der kleinen Insel Waytansea. Ihr Mann liegt nach einem Selbstmordversuch im Koma, die Tochter ist ertrunken. Noch dazu ist die arme Frau nach einer Vergiftung ans Bett gefesselt und wird von düsteren Visionen geplagt. Üble Prophezeiungen erscheinen auf den Wänden der sich auf dem Eiland befindlichen Häuser. Misty kommt auf die glorreiche Idee, sich mit dem Malen ihrer Wahnvorstellungen von diesen befreien und so dem Tod entrinnen zu können. Wie wir jedoch aus jeder zweiten Stephen-King-Geschichte (oder einschlägigen Creative-Writing-Seminaren) wissen, kann sowas nur schiefgehen. Und das tut es auch. Als Leser darf man sich allerdings die berechtigte Frage stellen, ob Palahniuk dieses Territorium nicht lieber dem Meister aus Maine überlassen sollte.

 

Die Kolonie ("Haunted") vereint 18 etwas abseitige Geschichten zu einer großen, der Story hinter den Stories sozusagen. Palahniuk spart darin nicht mit Perversion und Ekel. Gerüchten zufolge sollen auf der Lesetour zu "Haunted" regelmäßig Zuhörer ohnmächtig geworden sein, speziell beim Vortragen des Kapitels "Der Vorfall" ("Guts"). Die handelnden Figuren: ein onanierender Teenager, sein Arschloch und sein Dickdarm. Mehr kann der geneigte Leser der ausführlichen Rezension von "Die Kolonie" im EVOLVER oder aber gleich dem Buch entnehmen. Viel Spaß!

 

Das Kainsmal ("Rant") zählt zu den Werken aus dem Schaffen des Puppenspielers, die nicht allzu wohlwollend rezensiert wurden. Palahniuk versuchte sich hier an einer für ihn neuen Form des Romans: Sämtliche Ereignisse, die zum Tod der Hauptfigur Rant führen, werden in Interview-Form und mittels Verkehrsmeldungen geschildert. "Man kann das dem Leser von heute schon zumuten", sagt der Autor dazu. "Wir sind es gewöhnt, verschachtelt erzählte Filme zu sehen. Warum soll dieses Konzept nicht auch für ein Buch gelten? Warum soll man alles bis ins kleinste Detail erklären und nicht auch Handlungsstränge offenlassen, die der Leser dann selbst auflösen kann?" Tja, warum wohl? Weil wir keine zerfetzten Bücher brauchen, die überhaupt keine Bücher sind. Hätte der Autor die Geschichte linear erzählt, wäre sie genauso gut (oder schlecht) gewesen. Und man hätte so oder so bemerkt, daß auch ein Palahniuk ganz gern einmal stiehlt - im gegebenen Fall zum Beispiel vom großen J. G. Ballard. Wer "Das Kainsmal" gelesen hat, findet sich schnell in "Crash" wieder. Der Schluß, Seelenwanderung und Zeitreisen inklusive, ist zwar abgehoben, könnte aber noch durchgehen, wäre da nicht der ewig gleiche redundante "Plot-Twist-Zwang" Palahniuks, der einem manchmal ordentlich auf die Nerven gehen kann.

 

Apropos more of the same: In dem nur 205 Seiten dünnen Bändchen Snuff zwingt uns der König des Absurden in ein Casting für einen Weltrekordversuch im gang bang. Das alternde Pornostarlet Cassie Wright soll es mit 600 Typen treiben - ein Unterfangen, das höchst anstrengend und sogar lebensgefährlich ist. Zum Glück wollte Palahniuk aus dieser Idee kein Epos machen, in dem er sämtliche 600 Stecher porträtiert. Nur einige davon erzählen uns, warum sie zur Rudelbumserei erschienen sind, und ihre Motive sind naturgemäß höchst unterschiedlicher Natur. Was sie sehen, ist jedoch immer das gleiche - und das schildert der böse alte Chuck wieder einmal bis ins kleinste Detail.

 

In Stranger Than Fiction wiederum, einer gelungenen Reflexion über das Schreiben selbst, läßt Palahniuk eine Reihe von Bildern und Szenen Revue passieren, die er direkt seinem photographischen Gedächtnis entnimmt - wie etwa jene vom Interview mit Marilyn Manson, der Chuck während des Gesprächs die Karten legt; oder von den drei Männern, die sich in den Staaten Schlösser bauen, weil sie das so wollen und müssen.

 

Auch Chuck Palahniuk muß - schreiben nämlich. Er ist ein Getriebener, ein Besessener, dem man seine literarischen Ausrutscher gern verzeigt. Sein Roman Pygmy wird nächstes Jahr in den USA und hoffentlich bald auch bei uns erscheinen. Er wird von einem hochbegabten Austauschschüler handeln, der mit 13 Jahren an einem Wettbewerb in Physik teilnehmen soll, dessen Finale in Washington stattfindet. Und niemand weiß, daß der Bub ein Terrorist ist, der darauf trainiert wurde, an jenem Tag das Leben von Millionen Menschen zu vernichten.

Es geht also wieder um einen Außenseiter, der leiden muß und Leid bringt - wie immer eigentlich. Der Protagonist ist eine Marionette mit all ihren Unzulänglichkeiten, ein Neurotiker in einer dekadenten Welt, also im Prinzip einer wie wir. Und Palahniuk hält uns den Spiegel vor, berichtet aus unser aller Vorhölle und kann davon bestens leben.

Auch dafür lieben wir ihn.

Nikolaus Triantafyllidis

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