Print_Marie Phillips - Götter ohne Manieren

Die Götter müssen verzogen sein

Erbauliche Literatur hat ja eher selten Unterhaltungswert - und wenn, dann eher unfreiwillig. Religion und Humor scheinen einander naturgemäß aus dem Weg zu gehen. Nur Gottheiten mit schlechter Kinderstube wagen dieses Kunststück. Und sie sind menschlich genug, um dafür Anerkennung zu ernten.    28.04.2009

Obwohl unser Zeitalter als eines der gottlosesten gilt - zumindest wird das in unregelmäßigen Abständen vom "Herrn der sieben Hügel" Ratzibatzi verlautbart -, kommt es doch immer wieder zu erstaunlichen Manifestationen des Göttlichen. Man denke nur an Marienantlitze in vom Regen verwaschenen Fenstergläsern (Osteuropa), den Gekreuzigten im Schnittkäse oder Papas Bastelkeller, dessen 70er-Jahre-Tapeten jahrhundert alte Ikonen freigeben ... Da können sich die Olympier natürlich nicht lumpen lassen und schicken uns eine himmlische Botschaft.

Als zeitgemäße Sybille haben sie Marie Phillips auserkoren, eine 33jährige Anthropologin, die einige Jahre für die BBC gearbeitet hat. Danach war sie Buchhändlerin und begann mit der Arbeit an "Götter ohne Manieren". Wer die handelsübliche humanistische Bildung durchlaufen hat und sich über das Verschwinden der antiken Götter Gedanken macht, dem kann jetzt geholfen werden. Des Rätsels Lösung: Die Unsterblichen sind mit Nektar und Ambrosia 1665 nach London übersiedelt. Im Norden der Großstadt fristen sie ein trauriges ewiges Leben, unerkannt und von Alltagssorgen geplagt, die ihrer nicht würdig sein können. Aphrodite arbeitet im Telefonsexgeschäft, was ihren Sohn Eros, der inzwischen zum Christentum konvertiert ist, mit tiefem, echt christlichem Abscheu erfüllt. Artemis verdient ihr Geld als Hundesitterin, und Apollo vegetiert in einer schmierigen Orakelshow noch schillernd, aber bereits erbarmungswürdig vor sich hin. Auch ihre übernatürlichen Kräfte schwinden mit jedem Tag, den sie sich von der ihnen gebührenden Verehrung entfernen - ein Schicksal, das sie durchaus mit aktuellen Erlöserfiguren teilen.

Noch dazu drohen die Olympier im eigenen Dreck zu ersticken, der mittlerweile mythologische Ausmaße angenommen hat. Deshalb zieht die weise Artemis die Notbremse und engagiert die schüchterne Putzfrau Alice. Diese an sich harmlose Entscheidung löst eine Flut von Ereignissen aus, die einer antiken Tragödie alle Ehre machen. Den Auftakt macht der frisch konvertierte Eros, indem er Alice mit einem seiner Pfeile trifft, woraufhin Apollo sich im wahrsten Sinne des Wortes unsterblich in sie verliebt. Leider hat sie wiederum nur Augen für ihren Neil, dem die Aufgabe zufällt, in einer modernen Version von "Orpheus und Eurydike" die Rolle des männlichen Helden zu übernehmen und einen Ausflug in die Unterwelt zu wagen. Hier drängt sich der pessimistische Schluß auf: Wenn man sich des Himmels schon nicht sicher sein kann - die Hölle funktioniert immer. Und das gilt auch, wenn es nur die Hölle der eigenen Mißverständnisse ist, gegen die selbst ein Apollo nicht gefeit ist. Das kulminiert dann darin, daß ein vergreisender Göttervater Zeus in einer übermächtigen Kraftanstrengung die Putzfrau mit einem Blitz erschlägt. Auf den Seiten des Romans spielt sich also nicht gerade das ab, was in den Sagen des klassischen Altertums Erwähnung findet.

Andererseits empfehlen sich die "Götter ohne Manieren" für eine im besten Sinn des Wortes naive Weltsicht; keine Modernisierungsflucht, sondern eher eine Modernisierungsalternative, die aktuelle religiöse Vorstellungen nur mehr zum Teil abzudecken imstande sind, da sie sich darin erschöpfen, sich einer komplexen Gesellschaft entgegenzustemmen. Wenn uns schon die Wege des Herrn als unergründlich beschrieben werden, besteht wohl ein gewisser Nachholbedarf, was die Umwege des Herrn betrifft. Die sind nämlich mit großer Sicherheit ein kleines bißchen weniger unergründlich, aber dafür gangbarer. Nichts könnte das besser veranschaulichen als die Rückkehr der Götter Griechenlands in die Jetztzeit sowie ihre Hilflosigkeit und Verzweiflung angesichts der Erfordernisse des Alltags.

Dafür gibt es, soviel sei verraten, ein herrlich kitschiges Happy-End, eine berührende Auferweckung, die treuen Liebenden werden vereint, und über all dem geht eine zuvor erloschene Sonne auf und bescheint die Gesichter einer knapp dem Weltuntergang entronnenen Menschheit. Na dann, heureka und viel Spaß mit Marie Phillips gelungener Satire über das vorgeblich Göttliche in jedem Menschen und die davon abgeleitete projektive Vorstellung einer übergeordneten spirituellen Konstante. Sie sei besonders jenen Religionsführern und -führerinnen (sofern vorhanden) ans Herz gelegt, die dazu neigen, vor einer überzogenen Erwartung einer jenseitigen Glückseligkeit auf die Erfordernisse des Diesseits zu vergessen.

Claudia Jusits

Marie Phillips - Götter ohne Manieren

ØØØØ

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C. Bertelsmann Verlag (2008)

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