Stories_Cannes 2014

Sous le soleil

Michael Kienzl verrät vier Gründe, warum es sich trotz des Trubels und Bling-Faktors lohnt, die Filmfestspiele in Cannes zu besuchen.    15.05.2014

Einmal im Jahr findet an der Côte d´Azur das wahrscheinlich bekannteste Filmfestival der Welt statt. Dann wird die Stadt Cannes, die ansonsten wenig zu bieten hat, für zwei Wochen zur Kampfarena. In dieser Zeit herrscht ein einziges Gewusel entlang der Croisette - der großen, mit Luxushotels gepflasterten Hauptstraße. Menschenmassen schieben sich die engen Gehwege entlang und drängeln vor dem roten Teppich, um einen Blick auf einen der Stars zu werfen. Jeder will hier mit dabei sein, jeder will mitreden. Wieviel man diesem hektischen Treiben abgewinnen kann, hängt letztlich mit der persönlichen Schmerzgrenze zusammen.

 

Ein Publikumsfestival ist Cannes ohnehin nicht. Es ist bezeichnend, daß es hier keine frei verkäuflichen Karten, sondern nur "Einladungen" zu den Premieren gibt. Ohne Smoking oder Abendkleid muß man eh draußen bleiben. Doch auch die Parallelwelt der Presse- und Fachbesucher ist in eine grausame Hierachie unterteilt. Allein die Presseakkreditierungen sind in fünf verschiedene Farben unterteilt. Wer etwa nur einen gelben Badge vorzuweisen hat und damit der untersten Kategorie angehört, muß sich für einen Film im Wettbewerb schon mal eine Stunde in die Warteschlange stellen und steht dann trotzdem vor verschlossenen Türen. Noch unangenehmer wird es, wenn es zu regnen beginnt. Anstellen muß man sich nämlich im Freien.

Doch genug mit dem Gejammer auf hohem Niveau. Es lohnt sich natürlich jedes Jahr aufs neue, nach Cannes zu fahren. Aber warum eigentlich? Hier vier Punkte, die Vorfreude aufkommen lassen.

 

Der Strand

 

Im Gegensatz zu anderen Festivals, auf denen einen Besucher entweder der stürmische Spätherbst (Viennale) oder der Kältetod (Berlinale) erwarten, herrscht in Cannes die meiste Zeit ein angenehm sommerliches Flair. Wenn man nicht gerade im Kino sitzt, spielt sich das Leben bei milden Temperaturen auf der Straße ab. Oder am Strand, wo nicht nur jeden Abend Partys gefeiert werden, sondern auch das Cinéma de la Plage mit kostenlosem Open-air-Kino lockt. Und auf welchem anderen Festival - abgesehen vielleicht von Venedig - kann man sich schon den Luxus gönnen, zwischen zwei Filmen mal kurz im Meer zu schwimmen?

 

Die Austern

 

Wer in Cannes gute Küche erwartet, wird bitter enttäuscht. Ausgerechnet im Land von Haute und Nouvelle Cuisine muß man sich mit einem desaströsen Essensangebot zufriedengeben: niedere Qualität zu hohen Preisen. Doch auch da profitiert Cannes von seiner Nähe zum Meer. Austern sind hier eine besondere Attraktion. Nicht nur wegen ihres luxuriösen Rufs, sondern auch, weil man sie hier so frisch bekommt, daß man sie noch zucken sieht. Besonders lecker sind sie im Lokal "Astoux et Brun", vor dem man schon in den Morgenstunden sieht, wie die Angestellten die ersten Muscheln aufklopfen. Mehr als einmal kann man sich diesen nicht besonders preiswerten Besuch freilich nicht leisten.

 

Der Trash-Faktor

 

Statt sich über das Grauen aufzuregen, sollte man es lieber umarmen. Wenn man ständig von Wichtigtuern, Neureichen und Wannabes umgeben ist, bleiben einem nur ironische Distanz oder die totale Kapitulation. Was auf den ersten Blick schrecklich wirkt, kann man auch als Chance verstehen, einmal in eine ganz andere Welt einzutauchen: operierte Gesichter, sonnenverbrannte Haut, protzige Yachten und viel Bling-Bling. In Cannes zeigt man, was man hat. Und wenn man nichts hat, dann tut man eben so, als ob.

 

Die Filme

 

Definitiv der Hauptgrund, warum es sich jedes Jahr immer wieder lohnt, an die Croisette zu kommen. Zwar setzt Festivalleiter Thierry Frémaux bekanntlich eher auf Stammgäste als auf den Nachwuchs, aber letzterem kann man sich dafür in den Nebensektionen widmen. Wo auch immer man auf Entdeckungsreise geht - verglichen mit anderen Festivals ist in Cannes die Dichte an guten Filmen unbestritten höher. Im Wettbewerb darf man sich dieses Jahr etwa auf Neues von David Cronenberg, Olivier Assayas, den Dardenne-Brüdern und dem türkischen Regisseur Nuri Bilge Ceylan freuen. Zwar liegt in Cannes der Schwerpunkt vor allem auf dem Autorenkino, es stehen jedoch auch einige Genrefilme auf dem Programm. So werden unter anderem neue Regiearbeiten von Fabrice du Welz ("Calvaire") und David Robert Mitchell ("The Myth of the American Sleepover") zu sehen sein. Man darf also gespannt sein, was der Jahrgang 2014 alles bringen wird. Das Resümee in zwei Wochen wird es zeigen.

Michael Kienzl

Festival de Cannes 2014

(Photos: Festival de Cannes)


14. bis 25. Mai 2014

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