Stories_Greed nix gut, Part I

Krisenkino made in Hollywood

Am 15. September jährt sich der Untergang des Investmentbank-Giganten Lehman Brothers, mit dem die weltweite Wirtschaftskrise begann, zum fünften Mal. Die Traumfabrik hat sich nur zögerlich an das nicht unbedingt publikumswirksame Thema gewagt. Dietmar Wohlfart riskiert eine Zwischenbilanz.    05.09.2013

Auch im Jahr 2013 taumeln die berufenen Repräsentanten von Nationalstaaten aller Größenordnungen, ehemaligen Supermächten und ihren chaotisch zusammengewürfelten Gegenentwürfen nach einer beträchtlichen Anzahl ökonomischer Wirkungstreffer planlos umher. Der ausgemachte Gegner - das Spekulantentum, das die weltweiten Finanzmärkte durcheinanderbringt - kämpft dabei nicht nur mit offenem Visier, sondern narrt und verhöhnt ganz unverblümt die ins Leere stolpernden politischen Würdenträger. Die gewählten Eliten treten nicht nur unkoordiniert und inkonsequent auf, sondern versuchen zudem, von ihrer Hilflosigkeit durch Machtspielchen auf höchster bis provinzieller Ebene abzulenken. Die Verlierer sind wie immer "die da unten": Schlechtverdiener, verschuldete Jedermänner und Menschen, die weder geerbt noch sich ein Vermögen zusammenspekuliert haben.

Es verwundert kaum, daß sich der auf Massenunterhaltung spezialisierte Moloch Hollywood nur langsam an das deprimierende Thema herangetastet hat. Doch Filme haben immer auch gesellschaftliche Realitäten eingerahmt und abgebildet - sodaß mittlerweile auch die Krisenthematik unweigerlich in aktuelle Werke Einzug hält.

 

 

Geschichten aus dem Epizentrum

 

Die Krise aus Sicht der Mitschuldigen? In schicken Villen residierende, sportwagenfahrende, golfspielende Entscheidungsträger als Opfer des erschütterten Systems? Was zunächst widersinnig und provokant anmutet, ergibt schließlich dann Sinn, wenn aus vermeintlich heiklen Plot-Ideen stark gespielte Ensembledramen herausgearbeitet oder kühle Wirtschafts-Thriller konstruiert werden. The Company Men (2010) von John Wells beispielsweise federt die gewagte Idee, Schicksale von Abkömmlingen der White-Collar-Oberschicht vor dem Krisenhintergrund zu ergründen, in einer behutsamen Hochglanzinszenierung ab. Ben Affleck gibt den selbstbewußt-schnöseligen Aufsteiger eines Bostoner Großkonzerns, der tief fällt, um sich gedemütigt, aber nicht vollends besiegt als Mitstreiter auf dem Arbeitsmarkt und wiedererstarkter Ernährer neu zu erfinden. Affleck meistert seine Hauptrolle wacker, wird jedoch von altgedienten Kollegen (allen voran Tommy Lee Jones und Chris Cooper) überflügelt, die dem unaufgeregten, geschmeidigen Werk ihren Stempel aufdrücken.

Ebenfalls geschmackvoll, wenn auch insgesamt intensiver, legt Nicholas Jarecki den sich abzeichnenden Untergang seines Investment-Tycoons Richard Gere an, der in Arbitrage (2012) als Finanzmogul in Nöten und fahrerflüchtiger Unfallenker versucht, den vor ihm aufragenden, aus Lug und Trug gewachsenen Eisberg zu umschiffen, nachdem sein rote Zahlen schreibendes Firmenschiff bereits gen Meeresgrund sinkt. Vom Abwärtsstrudel erfaßt wird auch die Ehe des Finanzhais samt der ehemals innigen Vater-Tochter-Beziehung, während die Gesetzeshüter schon den Gnadenstoß vorbereiten. Atmosphärisch und wendungsreich ist das, was uns Jarecki mit einem hakenschlagenden Gere in der Hauptrolle serviert - und gut gespielt noch dazu.

Daß finanzstarke Quasi-Antihelden mit goldenen Krawattennadeln nicht unbedingt zu Sympathieträgern hochstilisiert werden müssen, demonstriert der ebenfalls - unter anderem mit Kevin Spacey, Paul Bettany und Jeremy Irons - starbesetzte Krisenthriller Margin Call ("Der große Crash", 2011), in dem Analysten und hochrangige Mitarbeiter einer bedeutenden Investmentbank die abendliche Stille inmitten ihres Glaspalasts mit hitzigen Diskussionen rund um den bevorstehenden, unabwendbaren Börsencrash zerschneiden. Regisseur und Autor J. C. Chandor führt uns in seinem Erstling nicht nur kurz vor den Krisen-Urknall und hinter die ansonsten verschlossenen Türen der Macht, sondern porträtiert die Beteiligten auch in ihrem moralischen Niedergang.

 

 

"My life ended and nobody noticed." ("The Company Men")

 

"When I was a kid, my favorite teacher was Mr. James. Mr. James said world events all revolve around five things. M - O - N - E - Y." ("Arbitrage")

 

"There are three ways to make a living in this business: be first, be smarter, or cheat." ("Margin Call")

 

 

"America´s not a country. It´s just a business."

 

Die cineastische Begegnung mit der Krise kennt auch weitaus handfestere Lösungsansätze. Dies veranschaulicht zum einen Andrew Dominic ("The Assassination Of Jesse James By The Coward Robert Ford") mit seinem lakonischen Kopfgeld-Thriller Killing Them Softly (2012). Brad Pitt schreitet hier als abgebrühter Profikiller Jackie Cogan zur Tat. Jackie, der zynische Exekutor, beseitigt nicht nur Auftragsziele, sondern die unappetitlichen Überreste eines längst ausgeträumten American Dream gleich mit. Und er tut dies vorzugsweise aus der Distanz. Der direkten Konfrontation und dem damit einhergehenden Gejammer seiner Opfer überdrüssig, greift Jackie gern auf möglichst lautlose Tötungsmethoden zurück. Ein Sinnbild für gesichtslose Großkonzerne, die die beruflichen Existenzen ihrer Angestellten kalt und unpersönlich ausradieren? Dominic schafft jedenfalls einfache Kontraste: Während herabgewirtschaftete Kleinganoven wie ausgezehrte Hyänen um Raubgelder feilschen, beschwören die allerorten über TV-Schirme flimmernden amerikanischen Spitzenpolitiker den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Es sind schale Trugbilder, via medialer Überfrachtung millionenfach verbreitet und dennoch wirkungslos. In "Killing Them Softly" wird das Politgefasel zur karikierenden Hintergrundmusik einer implodierten Gesellschaft, in der sich jeder selbst der nächste ist.

Umfassend und radikal sieht der Masterplan des The Dark Knight Rises-Superschurken Bane (Tom Hardy) die fiktive Metropole Gotham City samt ihrer sich skrupellos bereichernden Elite und all der georteten Korruption und Dekadenz untergehen. Bane, ein schon physisch einschüchterndes Monstrum mit diabolischem Intellekt, ist die menschgewordene Apokalypse - eine unbarmherzige Kreatur von biblischer Zerstörungskraft, für die der Schlüssel zu Gothams Erlösung nur in der totalen Vernichtung liegen kann. Daß der "Dunkle Ritter" (Christian Bale) nicht nur angesichts der archaischen Urgewalt Banes schwer in Mitleidenschaft gezogen, sondern auch sein ziviles Alter ego, der millionenschwere Philanthrop Bruce Wayne, mittels Börsenmanipulation in den Bankrott geschickt wird, ist ein Zugeständnis an die aktuell entfesselt wirkenden dunklen Kräfte der Märkte, mit denen die Gesellschaft im Hier und Jetzt konfrontiert ist.

 

 

"They cry, they plead, they beg, they piss themselves, they cry for their mothers. It gets embarrassing. I like to kill ´em softly. From a distance." ("Killing Them Softly")

 

Börsenhändler: "This is a stock exchange! There´s no money you can steal!"

Bane: "Really? Then why are you people here?" ("The Dark Knight Rises")

 

Zur Fortsetzung ...

Dietmar Wohlfart

The Company Men

ØØØ 1/2

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Universum Film (USA 2010)

DVD Region 2

100 Min. + Zusatzmaterial, dt. Fassung oder engl. OF

Features: Making of, Audiokommentar, Deleted Scenes, alternatives Ende

Regie: John Wells

Darsteller: Ben Affleck, Tommy Lee Jones, Chris Cooper, Kevin Costner u. a.

Links:

Arbitrage

ØØØØ

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Universum Film (USA 2012)

DVD Region 2
102 Min. + Zusatzmaterial dt. Fassung oder engl. OF

Features: Featurettes, Interviews, Deleted Scenes, Trailer

Regie: Nicholas Jarecki

Darsteller: Richard Gere, Susan Sarandon, Brit Marling, Tim Roth u. a.

Links:

Der große Crash

ØØØ 1/2

(Margin Call)

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Koch Media GmbH (USA 2011)

DVD Region 2
102 Min. + Zusatzmaterial dt. Fassung oder engl. OF

Features: Audiokommentar, Interviews, Hinter den Kulissen, entfallene Szenen, Trailer

Regie: J. C. Chandor

Darsteller: Kevin Spacey, Paul Bettany, Jeremy Irons u. a.

Links:

Killing Them Softly

ØØØØ

Leserbewertung: (bewerten)

Universum Film GmbH (USA 2012)

DVD Region 2
94 Min. + Zusatzmaterial dt. Fassung oder engl. OF

Features: Deleted Scenes, Making of, Trailer

Regie: Andrew Dominic

Darsteller: Brad Pitt, James Gandolfini, Ray Liotta u. a.

Links:

The Dark Knight Rises

ØØØØ 1/2

Leserbewertung: (bewerten)

Warner Home Video (USA 2012)

DVD Region 2
158 Min. + Zusatzmaterial dt. Fassung, franz. oder engl. OF

Features: Die Reise des Bruce Wayne

Regie: Christopher Nolan

Darsteller: Christian Bale, Tom Hardy, Gary Oldman u. a.

Links:

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