Stories_Frankfurter Buchmesse 2014

Die Abschaffung der Bücher

Von 8. bis 12. Oktober fand heuer wieder die Frankfurter Buchmesse statt. Lucas Bahl war vor Ort und liefert eine persönliche Stellungnahme über Bücherberge und Elektrolektüre.    17.10.2014

Ich war nach langjähriger Abstinenz mal wieder, wenn auch nur für ein paar Stunden, auf der Frankfurter Buchmesse.

Was sich nicht verändert hat: Nach wie vor halten die bouquinistes mit ihren Gebrauchtbuchzelten vor dem Messeeingang die Stellung. Sie erinnern die peinlich berührt beiseiteblickenden Anzugträger, die schnell an ihnen vorbeistürmen, um sich ins laufende Geschäft mit viertelstündig segmentierten Terminplänen zu stürzen, an die kurze Halbwertszeit der diesjährigen Herbstproduktion.

Drinnen im noch halbwegs erträglichen Getümmel - das gemeine Lesepublikum bekommt erst am Wochenende seine Chance, die heiligen Hallen zu erobern - stoße ich 1. mit der hastig umhereilenden Prominenz zusammen bzw. trete ihr 2. auf die glänzend polierten Schuhe oder belausche 3. ihre Telefonate (1: Denis Scheck, 2: Roger Willemsen, 3: Harald Welzer).

Was sich ebenfalls nicht verändert hat: Neue, mäßig schicke Hallen haben die Großen der Belletristikbranche dazu bewogen, ihr Stand-Design noch weiter in Richtung Distinktion aufzuhübschen. Das heißt auf deutsch: Bei uns weht der Große Geist, und dort seid ihr und wollt ein laues Lüftchen der Erleuchtung erhaschen. Diese Abstandshalter zum Kunden, den man sich ja leider nicht aussuchen kann, werden mit den üblichen Mitteln erreicht, etwa edel anmutender Auslegware und kühn gestalteten, aber unpraktischen Empfangstresen, hinter denen freundlich-falsch lächelnde Hostessen die Termine verwalten und die Auslese treffen, wer zu wem darf und wer mit einem besonders süßen Grinsen in die durch die Gänge wogenden Massen zurückgestoßen wird.

Neben dem High-Style-Messe-Mobiliar geht der Trend zur kleinen Stufe - nett anmutenden, aber auch leicht zu übersehenden unfallträchtigen Stolperfallen, sodaß der feine Effekt durch schnöde "Vorsicht Stufe!"-Schilder wieder konterkariert wird. Dies ist ein Trend, dem sich auch die etwas Größeren der noch kleinen, unabhängigen Verlage nicht entziehen zu können meinen; also Verlage wie Liebeskind oder Berenberg, die hoffen, irgendwann in die Riege der wirklich Großen vorstoßen zu können oder zumindest von ihnen geschluckt zu werden (Tropen).

Ich frage mich, wann die Messeleitung erstmals einem der Branchenriesen erlauben wird, einen Stand in Pyramidenform aufzubauen. (Wäre das nicht eine Idee für dich, Bene? Du kennst meine Kontonummer!) Hoch genug sind die Hallen ja. Die unteren Stufen werden der Präsentation dessen dienen, weshalb alle vor Ort sind: Gesichter, Namen und ja, auch Bücher. Der Zerberus, der vor dem oberen Teil wacht, wird in diese höheren Gefilde natürlich nur handverlesenes Publikum lassen - wichtige Einkäufer, Autoren, die für gute Umsätze sorgen bzw. deren Agenten -, während schließlich ganz oben der Verleger residiert oder der Geschäftsführer oder wer auch immer an der Spitze des Unternehmens gerade "den Hut aufhat", um mal gängiges Marketing-Sprech zu benutzen.

Neben ein paar interessanten persönlichen Gesprächen, etwa mit dem Gewinner des diesjährigen Kurt-Wolff-Preises, schnappe ich im Vorbeigehen auch noch die Ein-, manchmal wäre hier besser von Auslassungen zu reden, des früheren "Spiegel"-Chefredakteurs Stefan Aust auf, der anfangs gewohnt meinungsstark am Stand des Deutschlandradios über den Verlust demokratischer Werte angesichts der virulenten Überwachungsskandale schwadroniert. Natürlich hat auch er ein neues Buch zu verkaufen. Im Verlauf des Gesprächs, als es letztlich um die Konsequenzen geht, die aus dieser Situation vernünftigerweise zu ziehen wären, wird er dann windelweich und wetterwendisch, fast glitschig wie ein Bündel frisch gefangener Aale vom Fischmarkt. Dabei attestiert er nicht zuletzt der Kanzlerin, mit der Ausweisung eines US-Diplomaten ein starkes Signal gesetzt zu haben. "Mehr kann man da nicht machen!" Aust eben. Es war ihm wohl irgendwie peinlich, aber auch er weiß: Dies ist eine Messe, hier geht es ums Verkaufen, und seine Kunden wählen nun mal Kretschmann oder eben doch die Merkel. Macht eh keinen Unterschied.

Doch die wichtigste Erkenntnis des Tages stand mir noch bevor.

 

Als ich spätabends nach Hause zurückkehrte, erzählte mir meine Frau - wie ich eine Vielleserin -, daß sie es leid sei. Sie habe meine Abwesenheit genutzt, um unter ihren sie zu erschlagen drohenden Bücherbergen aufzuräumen, und sie dann gleich bei Happy Books und Momox abgestoßen. Das sind internetbasierte Gebrauchtbuchaufkäufer. Für "Der Hals der Giraffe" wurden zum Beispiel neun Cent geboten. Der gewinnträchtigste Titel mit immerhin zwei Euro dreißig war ein Buch über Rückengymnastik. Das Geschäft funktioniert so: Man gibt die ISBN in die Online-Formulare ein oder scannt mit dem Smartphone den EAN-Code und sieht, was man für den Staubfänger bekommt. Dann wird ein dickes Paket geschnürt. Das Porto ist bereits bezahlt. Man muß das Schwergewicht nur noch zur Post schleppen. Viel Vergnügen.

Das Buch zur Rückengymnastik ist ja erst mal weg. Allerdings wird nicht jedes Buch angenommen. Den Ratgeber "Was ich wirklich brauche - Hilfe beim Entrümpeln" will niemand haben.

"Bücher, die ich lesen will und von denen ich weiß, daß ich sie sicher nur ein einziges Mal lesen werde, kaufe ich mir nur noch als E-Book", erklärt sie mir. "Wir haben einfach zu viel von diesem Zeug, das nur rumsteht und mir Arbeit macht." Damit meint sie in erster Linie mich, der ich mich - zugegeben - schlechter von Dingen trennen kann als sie und der - auch das sei gestanden - wesentlich unempfindlicher in Sachen Hausstaub ist als sie.

Sprechen wir vom prekären Vielleser. Reden wir über Leute wie uns, die zwar gerne (schließlich beruhigt das das Gewissen) ihr Geld zum kleinen, kettenunabhängigen Buchhändler des Vertrauens bringen würden, aber schlicht nicht genug Kohle haben, um nur dort den tatsächlichen Lesebedarf stillen zu können. Klar, auch ich konsumiere E-Books. Nicht zuletzt, weil ich eingesehen habe, daß ich nicht jeden Schinken im Regal stehen haben muß (manch einer davon stellt sich ja auch als ziemlich peinlich heraus). Davon abgesehen sind diese Stellplätze bei uns mittlerweile sehr, sehr rar. Was mache ich, um mein Bedürfnis nach neuem Stoff zu befriedigen?

Ich beziehe seit Jahren rund 80 Prozent meiner Lektüre bei bouquinistes (20 Prozent verbleiben beim kleinen, kettenunabhängigen Buchhändler des Vertrauens). Um es weniger geschwollen auszudrücken: Das meiste Geld versickert in Antiquariaten und bei Gebrauchtbuchanbietern, sei es über Plattformen wie ebay, Booklooker, ZVAB etc. pp. Es gibt gut funktionierende Suchmaschinen, die all diese virtuellen Anbieter erfassen und die gesammelten Ergebnisse ausspucken. Bei ihnen kosten die gewünschten Titel nur noch maximal die Hälfte und liegen oft noch deutlich darunter. Vor allem: Gebraucht unterbieten sie in der Regel auch die E-Books. Die E-Books aus den meisten Verlagen haben in Deutschland das Problem, daß sie zu teuer sind. Bei gedruckten Büchern verstehe ich als Ex-Verleger die teilweise satten Preise, bei E-Books nicht. Hier regiert die blanke Gier, vor der selbst ein hochgeschätzter Verlag wie Wagenbach nicht gefeit ist.

Von meinen eigenen Büchern sind inzwischen auch einige Titel als E-Book erschienen - einige davon bei "normalen" Verlagen, das bisher letzte aber bei einem von mir betreuten Label, das allerdings Bestandteil eines ebenfalls "normalen" Verlags ist. Doch das, was bei diesem Label geschieht, ist ausschließlich meine Sache. Na ja, fast ausschließlich. Damit bin ich jetzt in die Nähe der kaum noch überschaubaren Gruppe der Selfpublisher gerückt - eine Gruppe, über die in der Branche zwar gerne die Nase gerümpft wird, aber kaum ein größerer Verlag verkneift es sich noch, genau diese Autoren mit Plattformen wie neobooks o. ä. zu umwerben.

"Du willst also keine gedruckten Bücher mehr kaufen", sage ich zu meiner Frau. "Richtig", antwortet sie. "Nie mehr." "Nie mehr?" "Nie mehr, außer bei Fachbüchern oder Bildbänden, also solchen Werken, die als E-Book wenig Sinn haben." "Okay", erwidere ich, "aber E-Books sind im deutschsprachigen Raum kaum billiger als gedruckte Bücher ..." "Ich weiß, aber - egal." "Liebes Weib, wir wissen beide, wir sind nicht mit Reichtümern gesegnet. Heißt das nun, du wirst deinen Lektürekonsum einschränken? Oder wirst du nicht doch noch dann und wann zuschlagen, wenn du einen 2,99-Euro Titel in der Ramschkiste findest und das nach wie vor lieferbare E-Book kostet weiterhin 12,99?" "Das habe ich nicht vor. Überhaupt ist ja das Preis-Seitenverhältnis für mich enorm wichtig." Das ist jetzt kein Witz. Ein 15-Euro-Taschenbuch, das deutlich mehr als 500 gedruckte Seiten stark ist, ist für sie ein potentiell starker Titel. Und - das ist Ihnen natürlich aufgefallen - sie versteht es gut, in ihrer Argumentation Nebenwege einzuschlagen, wenn sie sich mit dem eigentlichen Thema nicht weiter beschäftigen will.

"Fürs Kino gebe ich für, sagen wir, zwei Stunden Unterhaltung auch acht bis zehn Euro aus. Da steht ein Zwanzig-Euro-Buch, das mich immerhin deutlich mehr Stunden zu fesseln weiß, im Vergleich besser da." "Vorausgesetzt, das Preis-Seiten-Verhältnis stimmt", ergänze ich. Sie nickt.

"Die gedruckte Ausgabe deines letzten Buches schneidet da übrigens sehr schlecht ab", sagt sie. Sie meint das schmale Bändchen mit den drei Erzählungen, das gerade mal 60 Seiten umfaßt und auf Papier stolze 7,80 kostet. Das hast du davon, wenn du ihr ein Buch widmest, denke ich, immerhin mußtest du keinen Cent dafür bezahlen. "Der Band ist als E-Book mit 1,99 aber unschlagbar günstig", wende ich ein.

"Ist schon okay", sagt sie, "ich habe dein Buch nicht in das Momox-Paket gepackt." "Da bin ich aber beruhigt." - "... noch nicht ..."

 

Lucas Bahl

Frankfurter Buchmesse 2014

Leserbewertung: (bewerten)

8. - 12. Oktober

 

(Photos: Frankfurter Buchmesse/Alexander Heimann, Bernd Hartung)

Links:

Kommentare_

Akzente
Sport als Thema im Gaming

Play the Controller!

Man kann sich als Hobbysportler im Freien abmühen, Sehnen zerren und Knochen brechen - und wird doch nie so ein Profi wie die im Fernsehen. Alternativ dazu kann man aber auch als Computer-/Konsolenspieler die Höhen aller möglichen Sportarten erklimmen.  

Akzente
Gesundes Leben

Gesünder im Jahr 2023

Irgendwann holt einen das schlechte Leben ein. Dann ist es höchste Zeit, endlich etwas zur Verbesserung der eigenen Gesundheit zu tun - angefangen mit mehr Bewegung über das Ablegen schlechter Gewohnheiten bis hin zu vernünftiger Ernährung.  

Akzente
Dokumentarfilme

Warum wir Dokus brauchen

Hollywood liefert nur mehr Remakes und/oder Woke-Belehrungsfilme. Der TV-Serien-Boom bringt mittlerweile auch vorwiegend Mittelmäßiges hervor. Es ist höchste Zeit, sich einem noch relativ "unverdorbenen" Genre zu widmen: dem Dokumentarfilm.  

Akzente
Infos für Lotto-Fans

Lotterien in Europa

Wo lauern die besten Gewinnchancen? Können euch die EuroMillionen oder die spanische Weihnachtslotterie wirklich ganz schnell in die Riege der Superreichen befördern? Oder geht es nur um den Nervenkitzel?  

Akzente
Gaming im Netz

Online-Spiele

Wie sicher ist das neueste Online-Game, mit dem Sie oder Ihr Nachwuchs sich gerade intensiv beschäftigen, für Ihren PC? Könnte es sein, dass Viren drinstecken, irgendwer Ihnen die Kontodaten stiehlt oder Ihre persönlichen Daten durchs Netz schwirren? Wir informieren.  

Akzente
Fußball-WM 2022 - die Songs

Kick it like Udo

Die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar beginnt in wenigen Wochen. Damit ist klar, daß jetzt auch die Songs aus dem offiziellen Soundtrack verstärkt aus den Boxen hämmern werden.