Stories_Jack Ketchum Interview, Pt. 2

"Ist die Katze in Eile, bekommt sie eigenartige Kätzchen"

Der amerikanische Erfolgsautor Dallas Mayr alias Jack Ketchum über Hunde, Katzen, Elvis, globale Katastrophen und den Traum vom Haus im mythenverhangenen Griechenland: des Interviews zweiter Teil.    08.07.2008

Über Inspiration


EVOLVER: Du sagst immer wieder, daß Menschen die Hauptinspiration deiner Geschichten sind.
Ketchum: Stimmt.


EVOLVER: Gibt´s da auch persönliche Vorbilder in der Literaturgeschichte für Jack Ketchum?
Ketchum: Zu viele, um sie alle zu nennen. Aber es sind ganz unterschiedliche Autoren wie Robert Bloch und Ray Bradbury, Henry Miller, Raymond Chandler und James M. Cain, Faulkner, Hemingway, Jim Thompson, Elmore Leonard, J. P. Donleavy, die Spätviktorianer wie Hardy und Fielding, Camus, Emile Zola - also, ich könnte den ganzen Tag weitermachen.


EVOLVER: Welche Filme hatten (und haben immer noch) Einfluß auf dein Schreiben?
Ketchum: Auch viel zu viele, um sie alle zu nennen. Ich klaue sowieso ständig aus Filmen ...


EVOLVER: Und Musik? Welche schätzst du nicht nur als mögliche Inspirationsquelle, sondern als wesentlichen Bestandteil deines Lebens? Elvis erwähnst du echt häufig, wenn ich richtig informiert bin.
Ketchum: Elvis, ja! Er war der erste Held meiner Kindheit. Aber auch der Blues war immer eine starke Quelle der Freude und Inspiration für mich.


Über Katzen

EVOLVER: Katzen spielen in deinen Geschichten oft wichtige Rollen. Wieso?
Ketchum: Ich selbst habe vier von ihnen. Ja, ich hatte eigenlich immer Katzen, seitdem ich erwachsen bin. Ich verstehe sie ja nicht wirklich - ich hab´ schon bei vielen Gelegenheiten gesagt, ich gäbe gern ein Jahr meines Lebens für einen einzigen Tag im Kopf einer Katze -, aber ich mag es, wie sie mich verstehen. Und ich glaube nicht, daß ein schöneres und beruhigenderes Geschöpf auf diesem Erdball wandelt. Warum sie also nicht in meinen Texten feiern?


EVOLVER: Wenn du so ein Katzenliebhaber bist: Wieso hast du dann ausgerechnet einen Hund für die "Titelrolle" von "Red" gewählt?
Ketchum: Ich bin mit Hunden aufgewachsen und generell ein Tierliebhaber. Aber "Red" kam eigentlich aufgrund eines Gesprächs mit dem Betreiber meines Stammlokals zustande, der weiß, wie sehr ich Tiere mag. Er fragte mich eines Tages, ob ich diesen Beitrag auf CNN über einen alten Mann gesehen hätte, der fischen war und seinen Hund dabei hatte, als diese Halbwüchsigen vorbeikamen und ihn um Geld anschnorrten. Und da er keines dabei hatte, erschossen sie seinen Hund - aus purer Bosheit. Der alte Mann wandte sich also an die Justiz, doch das System war nicht interessiert. Tja, und das lief dann im Fernsehen. Ich selbst habe den Beitrag ja gar nicht gesehen, weiß auch gar nicht, was dann wirklich mit dem Mann geschehen ist. Aber die ganze Sache hat mich ehrlich angekotzt. Und machmal schreibe ich meine besten Sachen, wenn mich was ankotzt. Außerdem gab´s ja auch einen echten Red, der - wie Sam Berrys Hund im Buch - einen Onkel von mir rettete, den ich sehr mochte, als der sich bei einem Jagdunfall den Fuß weggeschossen hatte. Ich wollte schon lange Zeit darüber schreiben, und da ergab sich die Gelegenheit.


Über Filme


EVOLVER: Du schreibst in einem sehr "filmischen" Stil - die Dialoge, die Art und Weise, wie du Suspense aufbaust. Wie viele deiner Bücher wurden bisher verfilmt? Und bist du mit den Ergebnissen zufrieden?
Ketchum: Bis jetzt wurden drei meiner Bücher verfilmt: "The Lost", "The Girl Next Door" und "Red". Ich bin ziemlich glücklich darüber, daß die Drehbuchautoren bei wirklich jeder der Verfilmungen dem Ausgangsmaterial die nötige Beachtung geschenkt und so der literarischen Vorlage Genüge getan haben. Es sind drei sehr unterschiedliche Filme bezüglich der stilistischen und inhaltlichen Herangehensweise. Gemeinsam ist ihnen die Kraft und Ernsthaftigkeit meiner Intention, was klarerweise sehr erfreulich und befriedigend für mich ist.


Über Politik


EVOLVER: In Interviews erwähnst du sehr oft die politische Rechte in den USA und - damit Hand in Hand gehend - die Republikaner (allen voran Präsident George W. Bush). Üblicherweise ziehst du recht bissig über sie her. Bist du in irgendeiner Weise politisch aktiv?
Ketchum: Junge, da bin ich wirklich die absolut falsche Person, der man eine solche Frage stellen kann. Ich bin in etwa so politisch aktiv wie meine Katzen, mit dem Unterschied vielleicht, daß meine Katzen Politiker nicht dermaßen eklig finden wie ich. Ich halte die politische Rechte - weltweit - für einen Haufen Schulhof-Rotzbuben. Und als ich noch zur Schule ging, endeten diese Typen üblicherweise irgendwo in Gewahrsam.


Über Rauchen, Trinken und den Rest


EVOLVER: Es wird immer ungemütlicher. Fürs Rauchen riskiert man früher oder später beinahe die Todesstrafe; Alkohol scheint die nächste Sache zu sein, für die man gehängt wird; die Art von Literatur, die von 99 Prozent der Kritiker bejubelt wird, wird immer anämischer ... Du selbst scheinst Gott sei Dank nicht nach dem Regelwerk der Schönen Neuen Welt zu leben. Was glaubst du, warum sich die neue Harmlosigkeit so ausbreitet?
Ketchum: Ich war nie daran interessiert, mich politisch oder sozial korrekt zu verhalten. Das heißt jetzt nicht, daß ich bei Parties regelmäßig anderen in den Teller kotze. Aber ich finde es ausgesprochen dumm, mehr Regeln aufzustellen und zu befolgen, als unbedingt notwendig sind, um halbwegs erträglich miteinander auszukommen. Ich habe das Gefühl, daß wir, seit ich in meinen Zwanzigern und Dreißigern war, immer neurotischer werden. Wir haben vor allem Angst. Wir wollen alles möglichst restriktiv halten und so in den Griff kriegen. Aber das Leben ist nicht so einfach in den Griff zu kriegen. Die Häufigkeit von Naturkatastrophen sollte uns da eigenlich schon genug sagen. Aber wir schnallen´s einfach nicht. Als ich zum Beispiel noch ein Kind war, wäre man alleine für die Idee, sich beim Fahrradfahren einen Helm aufzusetzen, in der ganzen Nachbarschaft ausgelacht worden - und das war gut so. Ich kann mich auch nicht erinnern, daß bei den Vietnam-Protesten irgendjemand einen Helm gegen die Schlagstöcke der Polizisten verwendet hätte. Ich würde ja gern so lange leben, daß ich noch erleben darf, wie die Welt wieder zu etwas mehr Haltung und Mut zurückfindet - aber ich fürchte, das wird nicht so rasch geschehen, leider.


Über Europa


EVOLVER: Du sagtest einmal, daß du alte Plätze und alte Gebäude magst. Hast du jemals darüber nachgedacht, vielleicht ins "alte" Europa zu ziehen? Wenn ja, wohin?
Ketchum: Griechenland. Sollte ich jemals ganz ekelhaft reich werden, wonach es derzeit ja eher nicht aussieht, würde ich mein Apartment hier (in New York, Anm. der Red.) behalten und mir drüben ein Haus kaufen. Griechenland ist ja verwunschen im denkbar besten Sinne. Wie im Sommer der Blumen ist auch hier vor langer, langer Zeit für eine vergleichsweise kurze Zeitspanne etwas ganz Großartiges geschehen, eine Art Fest. Und davon spürt man jetzt auch noch was ...


Über Wasauchimmer


EVOLVER: Gibt es etwas, was du uns noch sagen willst? Dann tu´s bitte!
Ketchum: Ich werde mich mit den Worten von Louis de Bernieres in "Birds Without Wings" verabschieden: " 'Nimm dir Zeit', pflegte er zu sich zu sagen. 'Ist die Katze nämlich in Eile, bekommt sie eigenartige Kätzchen.' "

Thomas Fröhlich

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